Leben

"Das Leichte mit Ernst planen" Wolfgang Joop hat ein neues Wunderkind

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Denkt immer noch an die Zukunft: Wolfgang Joop.

Denkt immer noch an die Zukunft: Wolfgang Joop.

(Foto: IMAGO/Future Image)

Neulich in Berlin-Mitte auf einem Hinterhof: Gut angezogene Menschen strömen durch den Torbogen, denn sie wollen zu Wolfgang Joop. Der hat was Neues kreiert und es hat auf den ersten Blick nicht so viel mit dem zu tun, was er früher getan hat. Aber eben nur auf den ersten Blick.

Die gut angezogenen Menschen blinken und blitzen nicht so, wie man das von einer Fashionweek kennt, sie sind lässig, sie wirken natürlich. So wie der Meister selbst, an diesem Tag ein Vorreiter in Sachen Dezenz. Der ewig Neugierige hat ein paar Kleidungsstücke für ein Label entworfen, das nicht vordergründig für Luxus steht. Es sei denn, man definiert Luxus neu. Und das ist wohl der Kernpunkt der Sache.

18 Teile mit Pailletten machen aus einer Frau nicht unbedingt eine Prinzessin oder Glamour-Queen, auch wenn einige das denken mögen. 18 vernünftige Teile aber, aus einem guten Material, perfekt geschnitten, die die Umwelt nicht belasten, immer wieder getragen und anders gestylt werden können - das ist Luxus. Und Luxus ist es auch, Nein zu sagen: Nein zu Überfluss, nein zu Verschwendung, nein zur Dekadenz. Und ja zur Zukunft.

"Für mich trifft hier kompromissloses Design auf kompromisslose Nachhaltigkeit, in Material wie Produktion. Diese Kernwerte habe ich auch bei meiner Marke 'Wunderkind' stets verfolgt. Jetzt kann ich diesem Grundgedanken neues Leben einhauchen", beschreibt der 78-Jährige gegenüber ntv.de seine Kollektion, die er für - früher hätte man es "Öko-Label" genannt - Hessnatur mit viel Lust am Handwerk und einer ordentlichen Portion Style entworfen hat. Und auch mit dem ihm typischen Humor: So richtig neu sieht das alles nicht aus, muss es aber auch nicht, denn hier geht es um das große Ganze. Von Erwin Blumenfelds Bildern in frühen Ausgaben der amerikanischen "Vogue" inspiriert sagt er trocken: "Lieber gut kopiert, als beschissen selbst entworfen."

Weg von der Babysabber-Farbe

Hessnatur steht für Fair-Fashion - was vor allem bedeutet, dass es kein Billig-Label ist. Aber auch - bezahlbare - Grenzen hat: 300 Euro kostet das teuerste Teil der Kollektion. Hess macht auf seiner Seite momentan auf den World Ocean Day aufmerksam, sagt nein zu Plastik, verwendet Naturfasern und ist längst dem Ruf entwachsen, nur der angesagteste Produzent für Babyklamotten in Schlammfarben zu sein. Denn es ist sehr sinnvoll, auch über das Kleinkindalter hinaus Kleidung auf der Haut zu tragen, die nicht von Chemikalien verseucht ist oder unter unmenschlichen Bedingungen, zum Beispiel mit Kinderarbeit, gegen die Hessnatur sich aktiv einsetzt, hergestellt wurde. Da passt Joops "Wunderkind" wirklich gut dazu, wie Geschäftsführerin Andrea Homann mit Wolfgang Joop einig ist: Das Thema Nachhaltigkeit ist eines der ganz großen Zukunftsthemen für beide, und der Designer betont, dass es ihm mit seiner limitierten Kollektion, die zu Teilen bereits "kurzfristig" ausverkauft ist, ein klares Statement setzen will.

Wolfgang Joop und Andrea Homann sind sich einig - kuschelig muss es sein.

Wolfgang Joop und Andrea Homann sind sich einig - kuschelig muss es sein.

(Foto: WUNDERKINDxhessnatur)

Als Hessnatur 1976 von Chemiker Heinz Hess und seiner Frau Dorothea gegründet wurde - die jungen Eltern Hess waren sehr pragmatisch und wollten ihren Kindern etwas anziehen, das weder für sie noch für den Planeten schädlich ist - hat noch niemand wirklich über Nachhaltigkeit nachgedacht. Seitdem aber ist das Label mit Sitz in Butzbach bei Frankfurt Vorreiter. Gemeinsam mit Joop geht es nun um die Notwendigkeit des Umdenkens, denn Nachhaltigkeit darf kein Luxus sein. "Es war zu lange kein Thema in der Mode", ergänzt Homann bei der Vorstellung der Kollektion.

Win-Win-Situation: Das 2017 eingestellte Label "Wunderkind" ist wieder da, und Hessnatur entfernt sich ein bisschen weg vom "Öko-Label".

Win-Win-Situation: Das 2017 eingestellte Label "Wunderkind" ist wieder da, und Hessnatur entfernt sich ein bisschen weg vom "Öko-Label".

(Foto: Christophe Gateau/dpa)

Ein paar Zahlen untermalen den Ansatz des Natur-Labels: 395 Tonnen CO2-Emissionen hat Hessnatur nach eigenen Angaben alleine durch den Einsatz von Bio-Baumwolle letztes Jahr reduziert. Das ist ein Flug von Frankfurt nach New York, täglich. 922 Millionen Liter Wasser wurden durch den Einsatz von Bio-Baumwolle eingespart: Das entspricht 369 olympischen Schwimmbecken. 19 Millionen Quadratmeter gesunde Erde hat Hessnatur durch ökologischen Landbau hinterlassen - das ist eine Fläche von 2667 Fußballfeldern, die vor dem Auslaugen geschützt wurde. 99,5 Prozent der von Hessnatur eingesetzten Fasern sind Naturfasern, und 67 Prozent der Materialien bestehen aus nur einem Material - was ein sortenreines Recycling ermöglicht. 56 Prozent der Materialien wurden in Europa produziert, 60 Prozent in EU-Mitgliedstaaten. 12,8 Tonnen Schnitt- und Garnreste wurden in Form von Jeans, Jerseys und Geweben zu neuem Leben erweckt. So werden neue Kleidungsstücke aus eigenen Produktionsresten gewonnen.

Klingt nachhaltig, öko, ein bisschen langweilig? Ja, aber auch irgendwie sexy, denn der Mensch bleibt nur bestehen, wenn er sich auf diesem Planeten fortpflanzt und überlebt. Und was denkt ein Mann wie Wolfgang Joop, der schon viel gesehen und erlebt hat, Höhen und Tiefen kennt, Erfolg und Neid; der nicht nur als Designer, sondern auch als Schriftsteller erfolgreich war und ist, über die Proteste derer, die mit Gewalt durchsetzen wollen, dass ihnen zugehört wird - sprich: die Klimakleber? Joop hat, wie immer, eine ganz klare Haltung und scheut sich nicht, sie zu äußern: "Gemälde, Monets Heuhaufen beispielsweise, mit Brei oder Tomatensuppe zu beschmieren, ist Mord. Monet war ein Advokat der Natur."

Er wirkt bestürzt und ein bisschen fragiler als sonst, als er das sagt. Die Kunst ist ihm heilig. Er mag sein Land und er liebt die Welt. Hess und Wunderkind nun also - deutscher kann es kaum klingen, oder? Er lacht: "Das Leichte mit viel Ernst planen - das ist deutsch. Aber bezahlbare Mode für jeden, das ist internationale Fashion-Sprache, kein deutsches Gedicht."

Leben, das ist Veränderung, glaubt Wolfgang Joop, und resümiert: "Manchmal ist es im Leben so wie in der Liebe: Du denkst immer, sie müsste doch bald kommen. Aber sie kommt nicht. Und plötzlich steht sie vor der Tür." Eine neue Geschäftsverbindung derart poetisch beschreiben - das kann nur Wolfgang Joop.

Quelle: ntv.de

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