Brutal schöne, riesig erdachte Welt Der Hexer macht sein Meisterstück
13.06.2015, 15:53 Uhr
Auf der Spur: Geralt kann dank seiner Fähigkeiten versteckte Fährten sehen.
Hexer Geralt von Riva hört von seiner Ex-Geliebten Yennefer. Doch seine Ziehtochter wird gesucht - und von tödlichen, eisigen Kämpfern verfolgt. In der fantastischen Videospielwelt von "Witcher 3" scheint jeder Jäger und Gejagter gleichzeitig zu sein.
Geralt von Riva hat lange gewartet. Jahrelang. Die ersehnte Nachricht hält er nun in seinen Händen. Yennefer bittet ihn um ein Treffen, so schnell wie möglich. Sie schreibt: Ich könnte schon wieder weg sein, wenn du dich nicht beeilst. Als Geralt den Ort Willoughby erreicht, ist seine ehemalige Partnerin und Geliebte wie befürchtet nicht mehr da. Aber Geralt ist ein Hexer. Er hat die Gabe - er kann Spuren lesen, hört Geräusche, erkennt Düfte wie kein anderer Mensch. Wie kein anderer Protagonist eines Videospiels.
Geralts Äußeres lässt die seltenen Fähigkeiten vermuten, mit denen er sich durch die offene Welt von "Witcher 3" bewegt. Gelbe Augen, weißes Haar, mächtiges Waffen; ohne Hoheitsabzeichen zieht er durch Termeria. Die vom polnischen Autor Andrzej Sapkowski erdachte Romanwelt wird nicht nur heimgesucht von Monstern, die von Hexern gegen Kopfgeld gejagt werden. In der digitalen Form haben zudem die Truppen Nilfgaards den Norden des Kontinents besetzt. Mit den ordnungsliebenden Fremden müssen sich die Einwohner der mittelalterlich geprägten Lande arrangieren; ebenso Geralt, der von ihnen Informationen braucht. Zunächst, um Yennefer zu folgen, später Cirilla. Die junge Frau wurde als Hexerin trainiert, ist das Ziehkind des Mannes, dessen Stimme immer rauchig, aber nie eintönig ist. Vor allem aber ist Ciri die leibliche Tochter des Kaisers. Das Staatsoberhaupt will, dass Geralt seinen erwachsen gewordenen Spross wiederfindet.
Allerdings sind auch andere hinter Ciri her. "Die Meute bringt ihre eigene Kälte mit sich", sagt der Volksmund über die Wesen, die an Nazgûl erinnern; die unbarmherzigen Geister vergangener Könige aus der Fantasy-Blaupause "Herr der Ringe". Tod und Krieg folgen. So geschieht es auch in "Witcher 3", wenn Geralt und Yennefer um Haaresbreite Cirillas Häschern entkommen. Auch diese Mischung aus europäischer Mythologie und Literatur ist etwas, das die Rollenspiele der polnischen Entwickler CD Projekt Red auszeichnet. Die Videospiele sind keine Nach-, sondern eigene, detaillierte Erzählungen abseits der schriftlichen Abenteuer.
Neben dem Erzählerischen beeindruckt die Szenerie. Wenn Geralt durch den Sonnenuntergang des voll dynamischen Tag- und Nachtzyklus' reitet, bewegt sich in der Umgebung fast alles: Das Gras, in dessen Wurzeln sich die Hufe bohren, die Blätter der Baumkronen, die sich im Wind bewegen, die Büsche, das Wasser; alles scheint zu leben. Dieser Eindruck entsteht auch in den Siedlungen. Die eine ist nie eine Kopie der anderen. Kinder laufen ebenso wie Haus- und Nutztiere herum, Einwohner beschweren sich bei zu rüdem Verhalten. Mit der Verfolgerperspektive entsteht eine andere Nähe als etwa bei "Pillars of Eternity" oder "Wasteland 2", neue Rollenspiele klassischer Art, die ihre Szenerien mehr mit Erzählung als Visuellem erschaffen.
Flexible Geschichte mit variablem Ende
Überall warten Aufgaben auf den Hexer. Die sind von Zeit zu Zeit etwas eintönig, und es gibt auch die im Genre üblichen Suche-Finde-Suche-Ketten, um an eine bestimmte Information oder einen Gegenstand zu kommen, mit der sich die Erzählung weiterspinnt. So etwa der Greif, den Geralt erlegen muss. Der Auftrag der Besatzer ist eingeflochten in die Erzählung, macht die Charaktere, die Interessensgruppen und damit die riesige Welt nicht nur schön anzusehen, sondern auch inhaltlich greifbarer für den Spieler. Trotz ihrer häufigen, manchmal unverzichtbaren Hilfe für Geplagte begegnen sie Hexern mit Argwohn. Ihre Feinde sind häufig dieselben, aber auch in dieser Fantasiewelt ist Anderssein ein Makel. Auch die Nebenaufgaben sind oftmals eben solche: Sie befinden sich neben der Erzählung und haben damit einen Bezug zu ihr. Und die fragt den Spieler: Wo ist Ciri?
Die eisigen, tödlichen Astralwesen lesen die Fährten die jungen Frau mit den magischen Fähigkeiten ebenso wie Yennefer und Geralt. Die Fratzen bedrohen nicht nur das Leben der Hexerin, sondern vieler anderer in der frei begehbaren Welt, die der polnische Entwickler CD Projekt Red mit 25 Mal größer als die des Vorgängerspiels beziffert.
Dies zeichnet das neue Abenteuer Geralt von Rivas: Es gibt zwar örtliche Leitplanken, aus denen der Spieler nicht ausbrechen kann, wenn er der Hauptgeschichte folgt. Anders kann das Spielkonzept auch nicht funktionieren. Aber wenn etwas anderes in der Umgebung sein Interesse weckt, kann er dem nachgeben, wann immer er will. Geralt bestimmt damit das Tempo der Erzählung und durch seine Entscheidungen in den vielen, vielen Dialogen auch ihren Abschluss. Mehrere Dutzend verschiedene Enden soll es geben.
"Witcher 3" hat eine Qualität, die Titel wie Skyrim oder Dragon Age ebenfalls haben, aber weniger vital gestalten: Die Detailfülle. Es sind nicht die Aufträge oder die Interaktion mit anderen Charakteren allein, nicht nur die Waffen, nicht die Zutaten und Tränke, die Geralt daraus brauen kann, nicht die Magie, mit der er sich Vorteile im Kampf gegen Mensch und Monster verschafft. Es ist alles zusammen. So werden Welten gebaut.
"Witcher 3" (PC, PS4, XOne) bei Amazon bestellen
Quelle: ntv.de