Unterhaltung

Amoklauf-"Tatort" aus Münster Der Klamauk ist tot, es lebe der Krimi

Kämpft erst mit zunehmenden Lähmungserscheinungen und schließlich mit dem Tod: der vergiftete Professor Boerne (Mitte)

Kämpft erst mit zunehmenden Lähmungserscheinungen und schließlich mit dem Tod: der vergiftete Professor Boerne (Mitte)

(Foto: WDR/Wolfgang Ennenbach)

Simpel gestrickte Flachwitze und leicht verdauliche Mordfälle bescheren dem Münsteraner "Tatort" zuverlässig absurd hohe Quoten. "Feierstunde" verlässt die Komfortzone und macht fast alles anders - angefangen mit dem kaltblütigen Mord an Professor Boerne.

Ruhig und gelassen schreitet der unscheinbare Brillenträger die Gänge des Schlosses entlang, in dem Professor Boerne gerade den Zuschlag zu einem drei Millionen Euro schweren Forschungsauftrag feiert. Der Mann ist nicht gekommen, um dem Wissenschaftler zu gratulieren, die gewaltige Pumpgun in seinen Händen verrät es ebenso wie die Stimme aus dem Off: "Ich schieße ihm vor allen Leuten in sein kleines selbstgerechtes Herz. Ich will ihn krepieren sehen, sein Ego, seine Hybris, seine Eitelkeit." Schließlich erreicht der angehende Amokläufer den Festsaal, in dem Boerne gerade eine Laudatio auf sich selbst hält, steuert gemessenen Schrittes durch die vollbesetzten Sitzreihen und schießt dem Professor mit einer ungeheuren Beiläufigkeit zweimal in die Brust. "Er soll an seiner eigenen Arroganz verrecken", schiebt die Stimme aus dem Off hinterher, als der Mann das Podium betritt, sich vor dem am Boden liegenden Boerne aufbaut, dem Sterbenden die Pumpgun aus nächster Nähe ins Gesicht hält und abdrückt. Schnitt.

Hat lebhafte Gewaltfantasien: Professor Götz

Hat lebhafte Gewaltfantasien: Professor Götz

(Foto: WDR/Willi Weber)

Der Auftakt des neuen Münsteraner "Tatorts" kommt, man kann es nicht anders formulieren, in seiner gelassenen Brutalität so lustvoll und elegant daher, dass sich ein Vergleich mit dem Amoklaufklassiker "Falling Down" mit Michael Douglas in der Hauptrolle geradezu aufdrängt. Dass der gewaltsame Tod des selbstverliebten Rechtsmediziners aus dem Münsteraner "Tatort" lediglich ein Gedankengespinst seines unscheinbaren Kollegen Harald Götz ist, wird indes bereits wenige Sekunden später klar: Der Professor, grandios gespielt von Peter Jordan, schildert seiner Therapeutin die neueste aus einer ganzen Reihe von Gewaltfantasien, die er gegen Boerne (Jan Josef Liefers) hegt.

Götz' Hass auf den eitlen Rechtsmediziner sitzt tief: Der sensible und hochintelligente Wissenschaftler forscht verzweifelt an einem Heilmittel für seine an der tödlichen Nervenkrankheit ALS erkrankte Frau, tritt aber auf der Stelle, weil ihm die finanziellen Mittel fehlen. Die werden nämlich wie so oft im Leben nicht nach Kompetenz oder Notwendigkeit vergeben, sondern fließen an denjenigen, der zu netzwerken weiß und auf Empfängen die besten Bonmots in petto hat. Und das ist selbstredend Professor Boerne, der den anfangs erwähnten Zuschlag für die drei Millionen Euro an Drittgeldern erhält - um an jahrtausendealten Mumien zu forschen.

Das genaue Gegenteil eines klassischen Münsteraner "Tatorts"

Die entgangenen Forschungsgelder sind für Götz gleichbedeutend mit dem Todesurteil für seine Frau, die sich am Tag von Boernes Triumph dann auch mit ebenjener Pumpgun in den Kopf schießt, die eigentlich für Boerne bestimmt war. Was folgt, ist ein lustvoll inszenierter Rachefeldzug eines Mannes, der alles verloren hat und mit einer Welt abrechnet, die bestenfalls Nichtbeachtung für ihn übrig hat: Götz dringt als Kellner verkleidet in den Gasthof ein, in dem Boerne seinen Triumph zelebriert und verteilt Hors d'oeuvres an die Feiergesellschaft. Weder der Rechtsmediziner noch seine Wissenschaftlerfreunde erkennen den langjährigen Professorkollegen zunächst, was bereits Bände spricht - bis Götz ihnen eröffnet, dass die Häppchen mit einem Gift versetzt waren, dass ALS-ähnliche Symptome hervorruft. Aus der Siegesfeier wird eine Geiselnahme, bei der man bald schon nicht mehr weiß, wer hier eigentlich die Täter und wer die Opfer sind. Ohne zuviel verraten zu wollen: Die geschätzten Wissenschaftlerkollegen lassen keine Möglichkeit unversucht, ihren eigenen Hintern zu retten und werfen dabei jede Moral über Bord, während mit fortschreitender Handlung immer klarer wird, dass Götz gar nicht so sehr aus eigenem Antrieb handelt wie zunächst vermutet.

"Feierstunde" ist in so ziemlich jeder Hinsicht das genaue Gegenteil eines klassischen Münsteraner "Tatorts": Statt leichtverdaulichem Klamauk serviert Regisseur Lars Jessen dem Zuschauer einen garstigen Krimi, in dem es von herzlosen Zynikern, empathiebefreiten - Verzeihung - Arschgeigen und Opportunisten nur so wimmelt. Kommissar Thiel (Axel Prahl) und Boerne bilden da keine Ausnahme, ganz im Gegenteil: Während den rückenschmerzgeplagten Polizisten die menschlichen Dramen ringsherum kaltlassen, bemerkt der champagnerselige Professor sie noch nicht einmal - bis es ihn schließlich selbst ereilt. Erstaunlicherweise ist es gerade diese Ignoranz, die den beiden Hauptdarstellern zu ihrem stärksten Auftritt seit langem verhilft.

Die für Münster sonst so typischen, mal mehr und mal weniger witzigen, Klamaukepisoden sind eigentlich ein zuverlässiger Garant für absurd hohe Quoten - alleine schon der Mut des WDR, den bewährten Pfad zumindest für diese eine Episode zu verlassen, verdient Respekt. Dass es Regisseur Jessen dann aber auch noch schafft, "Feierstunde" zu einem doppelbödigen und intelligent konstruierten Krimi zu formen, zeigt, welches Potenzial in den Münsteraner Ermittlern tatsächlich steckt. Manch eingefleischtem Fan wird das Fehlen der üblichen Flachwitze freilich sauer aufstoßen - alle anderen dürfen sich aber über eine gekonnte Groteske freuen, die Lust auf weitere Experimente macht.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen