Til Schweiger im Flüchtlingsheim Gegen den "verquasten Unsinn"
01.10.2015, 17:10 Uhr
Flagge zeigen - und irgendwo muss man ja mal anfangen ...
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Mit Auf-die-Schulter-Klopfen und "Toll, was du da machst", ist es nicht mehr getan. "Mach' mit", sagt Til Schweiger stattdessen, denn von Schulterklopfern, Facebook-Spackos und hohlen Sprüchen hat der Schauspieler die Nase gestrichen voll.
Idylle in Osnabrück, Herbstlaub fällt von den Bäumen, die Sonne lacht, alles könnte so einfach sein - ist es aber nicht. Auf dem Campus der Infektiologie und Dermatologie der Universität Osnabrück befindet sich auch die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen und einer der Anlauforte für Asylbewerber in dem Bundesland. Weil es hier, wo bereits viele Container stehen, wie an vielen anderen Orten auch an fast allem mangelt, was das Leben lebenswert macht, will Til Schweiger etwas unternehmen. Seine Stiftung soll Flüchtlingen den Start in ein besseres Leben ermöglichen. Deswegen steht er nun hier vor Ort mit seinen Mitstreitern, dem HipHopper Thomas D und dem niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) Rede und Antwort.

Thomas D, Boris Pistorius (SPD) und Til Schweiger (v.l.) stehen Rede und Antwort.
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Dafür wird er wieder ordentlich aufs Maul bekommen, aber das ist ihm inzwischen egal. "Ich habe Leute, die zum Beispiel auf meiner Facebook-Seite für Ordnung sorgen, quasi eine Art eigene 'Fahndungstruppe', die die schlimmsten Aussagen auch strafrechtlich nachverfolgen soll. Ich kann es mir zum Glück leisten, dass das andere für mich erledigen", sagt Schweiger auf die Frage von n-tv.de, wie er mit dem Hass gegen seine Person und seine Vorhaben umgeht. "Ich möchte mal sehen, wie sich 1000 Deutsche auf engstem Raum, mit ungewisser Zukunft und nichts zu tun, verhalten würden in so einer Situation. Egal, welche Religion sie haben, die würden irgendwann auch ausflippen." Auch Boris Pistorius wird deutlich: "Eines möchte ich mal klarstellen", erklärt er, "eine Trennung nach Religionen oder Herkunft vorzunehmen, ist total verquaster Unsinn, die Auseinandersetzungen haben doch damit überhaupt nichts zu tun." "Richtig!", will man den Herren zurufen, guckt euch doch bloß mal "Big Brother" an, da sind nur zehn in einem Container und die verhalten sich so asozial, wie man es sich in seinen schlimmsten Träumen nicht ausmalen könnte.
Thomas D, Deutsch-Rapper der ersten Stunde mit den "Fantastischen Vier", wirkt da fast buddhahaft ausgeglichen. Gefragt, ob er sauer sei, dass nicht so viele Kollegen, Künstler, Prominente mitmachen, wie man - genauer er und Schweiger - sich das anfangs vielleicht vorgestellt hatten, sagt er mit einem freundlichen Lächeln: "Nee, wir brauchen den langen Atem, da gibt es noch genug zu tun und das will organisiert werden. Jetzt schnell was, zum Beispiel ein Charity-Konzert oder so was, vom Zaun zu brechen, wäre kurzsichtig." Das ist weise, ja, aber dennoch fragt man sich, warum halten nicht mehr Promis ihr Gesicht in den Wind? "Ich hoffe, dass, wenn man sieht, dass das hier klappt, sich noch andere einklinken. Wir brauchen Partner, um in anderen Flüchtlingsunterkünften ebenfalls aktiv werden zu können. Das hier ist nur ein Anfang."
Kein Klopapier, aber WLAN
Eine Menge Journalisten haben sich nun mit einer Menge Verantwortlicher das Heim in Osnabrück angesehen, in dem bereits Flüchtlinge untergebracht sind. In kleineren Runden wurde mit einer Apotheker-Familie aus Syrien und einem jungen Mann aus dem Sudan gesprochen, die jeweils furchtbare Odysseen hinter sich haben. Die Herren Pistorius, Schweiger und D sind berührt. Und daran ist nichts falsch. Es ist berührend, wenn kleine Kinder einem wie Katzen um die Beine streichen, Fußball mit den Journalisten spielen wollen, wenn Frauen mit Kopftuch ein Selfie mit den deutschen Stars, von denen sie vorher sicher noch nie etwas gehört haben, machen wollen und wenn erwachsene Männer, die auf dem Campus Laub harken, die ungewohnten Besucher quasi zurückfotografieren. Wahrscheinlich schicken sie diese Bilder an die Zurückgebliebenen zu Hause, denn hier gibt es WLAN (vorbildlich), aber kein Klopapier. "Die verstopfen die ganzen Toiletten", klagen die Reinigungskräfte des Campus. Nun, kein Wunder, wenn ein WC auf 100 Leute kommt, aber das nur am Rande.
Til Schweiger sagt dann auch, was sich jeder klar denkende Mensch fragen würde: "Wie würde ich damit umgehen, wenn ich mit meiner Familie ins Ungewisse flüchten müsste, wäre ich nicht auch froh, wenn mir nach wochenlanger Flucht geholfen werden würde?" Einhelliges Nicken der Anwesenden, wohl wissend, dass das nicht alle so sehen. "Wir müssen die Sorgen der Menschen, die Bedenken haben, ernst nehmen", räumt Thomas D ein. "Wir wollen niemanden verdrängen oder ausschließen. Wir wollen aber auch nicht zur Untätigkeit verdammt werden, bloß weil es einigen Leuten nicht in den Kram passt, was wir hier jetzt machen."

Til Schweiger nimmt sich Zeit für die Bewohner in Osnabrück: "Ich muss immer aufpassen, dass ich nicht flenne, wenn ich die Geschichten höre."
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Und gemacht wird Folgendes: Das Heim in Osnabrück befindet sich im Aufbau, es soll in Sachen Bildung und Beschäftigung unterstützt werden. Schweigers erstes Projekt in Osterode im Harz, das "Vorzeigeflüchtlingsheim", sollte in einer ehemaligen Kaserne entstehen. Als sein Partner Wolfgang Koch wegen undurchsichtigem Finanzgebarens in die Kritik geriet, zog sich Schweiger zurück. In Osnabrück nun ein erneuter Anlauf, und der klappt auch. Hier kann man noch Dinge beeinflussen, und man trifft auf Haupt- und Ehrenamtliche, die zwar oft erschöpft, am Ende des Tages aber froh sind, konkret helfen zu können. Professor Dr. med. Swen Malte John, der Leiter des Fachgebiets Dermatologie, der seine Räume frei gemacht hat für die Flüchtlinge, wirkt unter diesen Umständen erstaunlich gelassen. Er ist es, der seinen Patienten - Menschen aus der ganzen Bundesrepublik, die an arbeitsbedingten Hauterkrankungen leiden und dort therapiert werden - und seinen Mitarbeitern klar machen musste, dass diese Räume hier ab jetzt für andere Zwecke genutzt werden sollen. Kein einfaches Unterfangen. "Aber bisher läuft hier alles mit großem Verständnis und Rücksichtnahme ab", erzählt er. "Die Patienten wurden in ein naheliegendes Hotel umgesiedelt, und wenn man richtig und freundlich erklärt, worum es hier geht, dann erntet man auch mehr Verständnis als unfreundliche Kommentare."
"Es koscht, was es koscht"
Klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Auf dem Campus sollen nun Dinge entstehen, die denen, die eh schon glauben, vom Leben benachteiligt zu sein, den Cholesterinspiegel in die Höhe treiben werden: Eine Sporthalle soll her, damit die Heim-Bewohner sich körperlich betätigen können (und damit Massenschlägereien, Frust und Aggression gar nicht erst aufkommen). Die Menschen sollen Deutsch lernen, denn die Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Dazu braucht man Räume, die sollen von der Til-Schweiger-Stiftung gebaut werden, ebenso wie eine Kita. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), namentlich Jogi Löw, will sich ebenfalls einbringen, Fußballplätze sollen ermöglicht werden. Kurzum: Es soll sich ganz einfach gekümmert werden.
Auf die Frage, wie viel Geld die Stiftung denn aufbringen wird, reagiert Schweiger ungehalten: "Ja, was soll ich denn sagen, wir haben schon eine Menge Geld, und das werden wir auch sinnvoll einsetzen, aber wie soll ich mich da jetzt festnageln lassen?" Til Schweiger geht gern an die Decke, wenn man sein Vorhaben anzweifelt, wenn man fragt, was schon tausend Mal gesagt wurde und wenn alle, vor allem "die Medien", alles per se "scheiße finden, aber selbst den Hintern nicht hoch kriegen". Seine Wut ist verständlich, dieses Projekt ist eine Art Baby von ihm: "Ich bin ein empathischer Mensch, ich will helfen." Da kann man auch mal genervt sein. Aber mit dem niedersächsischen Innenminister an seiner Seite, der sicher ähnlich empathisch und vor allem äußerst engagiert in der Flüchtlingsthematik ist, bleibt Schweiger erstaunlich ruhig. Nur zu einem "Sprech' ich vielleicht französisch, das hab ich doch eben alles schon gesagt!" lässt er sich hinreißen, als wiederholt gefragt wird, was denn mit all den anderen Flüchtlingsheimen nun ist und warum ausgerechnet diese Einrichtung in Osnabrück, die weder aus den Nähten platzt noch andere große Probleme hat, von ihm unterstützt wird. Vielleicht, weil man irgendwo mal anfangen muss? Und wieder springt Thomas D ihm zur Seite: "Ich erklär's mal auf schwäbisch: Es koscht, soviel's halt koscht - am Ende wird alles bezahlt werden."
Quelle: ntv.de