Alexander Oetkers Weihnachtsbuch "Es gibt die Sehnsucht, an Weihnachten wieder Kind zu sein"
24.12.2023, 12:41 Uhr Artikel anhören
Oetkers Roman spielt am Weihnachtsabend mit viel Schneefall in den Schweizer Alpen.
(Foto: imago/imagebroker)
Am Heiligen Abend kommt in einem Chalet in den Schweizer Alpen eine Familie zusammen, Mutter, Vater, die drei erwachsenen Kinder mit Anhang, Kindern und Haustieren. Bald sind sie eingeschneit. "In dieser Abgeschiedenheit passiert etwas mit einem", sagt Alexander Oetker über seinen Weihnachtsroman "Stille Nacht im Schnee", der garantiert kein Krimi ist.
ntv.de: Es gibt Krimis von dir, Kochbücher und Liebesromane, warum hast du jetzt ein Weihnachtsbuch geschrieben?
Alexander Oetker: Egal ob im Krimi oder im Roman, am Ende geht es immer um Charaktere. Und an Weihnachten geht es so stark um Menschen und um Persönlichkeiten wie zu keiner anderen Zeit, weil da einfach alles aufeinandertrifft. Wir alle kennen diese Weihnachten, wo man mit vielen Erwartungen aufgeladen zu seinen Eltern fährt oder Freunde trifft. Und weil die Erwartungen so groß sind, kann die Wirklichkeit das gar nicht einfangen. Die Harmonie, die man sich verordnet, kann nicht eintreffen und die Situation explodiert. Es hat mich wahnsinnig gereizt, darüber zu schreiben, auch wieder in so einem ganz engen Zeitrahmen.
Was ist daran so reizvoll?
Ich mag es gern, wenn es ein Kammerspiel ist, und sich alles an einem Tag abspielt, so wie in dieser Berghütte in den schweizerischen Alpen. Das Matterhorn ist draußen vor der Tür und es liegt Schnee. Außen ist alles wunderschön. Dann kommt diese Familie zusammen, drei Generationen. Und es passiert das, was bei uns allen passiert, glaube ich. Mir war wichtig, dass es nicht so wahnsinnig überspitzt ist, sondern dass man denkt, genau das hätte bei uns auch passieren können. Aber da war es jetzt noch ein wenig schlimmer.
Wann und wie hast du das Buch geschrieben?
Ich saß im Winter im Schnee. Ich hatte ein wirklich anstrengendes Jahr 2022 und bin dann Anfang Januar ins Schweigekloster gefahren, zwei Wochen in Mecklenburg in einer nicht zu kargen, sondern eher so ein bisschen buddhistisch-luxuriösen Umgebung. Ich wollte einfach zwei Wochen nicht reden. Das habe ich dann auch wirklich gemacht. Ich habe mal unter der Dusche gesungen, aber sonst bin ich lange spazieren gegangen und habe in den zwei Wochen quasi das ganze Buch geschrieben. Das war eine wahnsinnig intensive Zeit, die ich unbedingt wiederholen möchte, weil es einfach toll war, so einen inneren Dialog mit sich selbst zu führen. Herausgekommen ist dieses Buch, das eigentlich ein lautes Buch ist, weil ganz viel gesprochen wird.
Wie wichtig war für "Stille Nacht im Schnee" das Setting? Wie wichtig war, dass es Schnee gibt, ein tolles Weihnachtsessen, ein Chalet?
Am Ende ist es ja wie auch in meinen französischen Krimis: Das Setting muss stimmen, weil sich die Leute wegträumen wollen. Ich glaube, ganz wenige Leute wollen ein Buch lesen über Weihnachten im Reihenmittelhaus in Oer-Erkenschwick. Das Haus im Buch ist das Ferienhaus meines besten Freundes, der Walliser ist. Ich war da selbst mal eingeschneit, leider nicht zu Weihnachten, und habe dann die Lawinensprengung mitbekommen. Man kam wirklich nicht raus. Es war so viel Schnee, dass die Täler alle geschlossen waren. Es gab keine Bahn mehr rein, die Straßenverhältnisse waren auch nicht so, dass man noch fahren konnte. Man konnte nicht mal Ski fahren, weil es so doll schneite, dass es viel zu gefährlich war. So saßen wir eben in diesem Haus und auch da taten sich dann ganz interessante Gespräche und Offenbarungen auf. In dieser Abgeschiedenheit passiert etwas mit einem, das Leben bekommt noch mal eine ganz eigene Dynamik. Ich habe damals beim Schlittenfahren auch meine Autoschlüssel verloren, so wie das auch im Buch passiert. Und wir haben gesucht, tagelang, weil es ein Mietwagen war und ich diesen Schlüssel wiederfinden musste. Wie in jedem Buch stecken auch da wieder biografische Dinge drin. Und mir war es eben wahnsinnig wichtig, solch eine Familiengeschichte in dieser Abgeschiedenheit zu schreiben, die glaubhaft ist, aber auch unterhaltsam.
Es gibt diese erwachsen gewordenen Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester. Das ist auch eine klassische Konstellation, sie haben diese gemeinsamen Erinnerungen. Jetzt sind sie erwachsen und sich auch ein wenig fremd geworden. Was hast du dir dabei gedacht?
Ich bin als Einzelkind aufgewachsen. Ich habe Geschwister, die im Ausland leben, die ich aber nicht kennengelernt habe. Gerade bei Familienfeiern hatte ich immer eine große Sehnsucht nach so einer Gemeinschaft. Wir sind jetzt in einer Patchwork-Situation, auch mit großen Kindern. Meine Söhne sind noch klein, die wollen naturgemäß an manchen Tagen ganz viel miteinander zu tun haben und an anderen gar nicht. Wenn man dann größer wird, hängt man mehr zusammen ab. Und wenn man dann 18 oder 20 ist, dann wird man sich naturgemäß fremd, wenn es ganz normal läuft. Also man bleibt sich immer vertraut, aber trotzdem geht man halt seine eigenen Wege. Aber an Weihnachten sind am Ende alle wieder Kinder. Und was passiert dann? Da explodieren Situationen auch immer, weil die Kinder so etwas wie ein Déjà-vu haben. Ich kenne das auch gut aus den letzten Jahren, als ich noch mit meinen Eltern gefeiert habe. Da habe ich oft gedacht, ich bin ja gar kein Kind mehr und jetzt behandelt mich auch nicht so. Und trotzdem hat man auch eine Sehnsucht, an Weihnachten wieder Kind zu sein. Diese Dynamik, die ich auch innerlich noch gar nicht aufgelöst habe, habe ich versucht aufzugreifen. Ich glaube, dass man nicht immer Antworten geben muss, sondern den Leuten auch das Gefühl geben kann: Ich weiß auch nicht, warum es so ist, aber es ist so und ihr seid damit nicht allein.
Das Gleiche lässt sich wahrscheinlich auch für die Eltern sagen, die sich inzwischen natürlich in diesem Leben ohne das unmittelbare Zusammenleben mit den Kindern eingerichtet haben und nun wieder wie früher sein sollen.
Genau so war das in jedem Jahr bisher, bevor dieses Buch dann spielt. Und auch das bricht dann in diesem Roman auf. Sie sagen jetzt, wir haben auch das Recht, ein glückliches Nicht-Eltern-Leben zu führen und wir gehören noch lange nicht zum alten Eisen. Ich glaube, dieses Jahr war ein Jahr, in dem man sich wirklich für die Welt große Sachen wünschen muss, aber auch im Persönlichen. Einfach zu sagen: Ich kann mich verändern, egal, wie alt ich bin. Und ich möchte mich jetzt auch verändern, weil die Zeiten außen so hart sind. Da muss man seinem Drang nachgeben, sich weiterzuentwickeln oder sich anders zu entwickeln oder bei sich zu sein.
Als Journalist guckst du auf ein Jahr auch noch mal anders. Dann ist ein solches Buch vielleicht fast ein wenig eskapistisch. Es geht einfach um das Kleine im Leben, das vielleicht auch ganz groß ist. Wie fühlt sich das für dich an?
Ja, man kann es Eskapismus nennen. Ich weiß, dass wir in Deutschland ein großes Problem mit Unterhaltungsliteratur haben. Wenn ein Buch nicht im Feuilleton auftaucht, dann ist es keine Literatur. Ich bin da wirklich dezidiert anderer Meinung. Auch in meinen Kriminalromanen erfährt man wahnsinnig viel über die Gesellschaft in Frankreich. Trotzdem sind es Kriminalromane für Leute, die eigentlich keine Krimis mögen, weil es unblutig ist. Das ist mir wirklich wichtig. Genau so ist das auch bei diesem Weihnachtsroman. Nach diesem Jahr glaube ich, dass die Leute eine große Sehnsucht nach innerer Harmonie haben. Das heißt nicht, dass sie sich wegducken oder mit Scheuklappen durch die Welt laufen. Aber Literatur kann auch bewirken, dass man über sich selbst nachdenkt und gerade mal nicht über die großen Weltkrisen. Es braucht auch Ruhezeiten. Deswegen schreibe ich Romane, die eben mit ganz normalen Menschen zu tun haben, ohne die Realität auszuklammern. Es geht um die kleinen Fragen, die dann aber natürlich für uns alle am Ende doch die großen Fragen sind. Denn wir sitzen alle an Weihnachten nicht im UN-Sicherheitsrat, sondern bei Mama am Tisch, bei Wiener Würstchen und Kartoffelsalat. Und dann geht es um diese ganz persönlichen Fragen, die das ganze Jahr über zu kurz kommen, weil wir alle in diesen großen Kreisläufen denken und uns Sorgen um die Welt und um die deutsche Wirtschaft machen und darum, ob die Ampelkoalition zusammenhält. Am Ende ist es ein Buch, das zeigt: Wenn es in der Ampel nicht läuft, warum sollte es bei uns zu Hause gut laufen?
Mit Alexander Oetker sprach Solveig Bach
Quelle: ntv.de, Alexander Oetker