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Zwischen Fiktion und Realität "Lukusch" spielt mit dem Übernatürlichen

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Lukusch stammt ursprünglich aus der Ukraine, sein Schachtalent wurde erst auf dem Weg nach Deutschland entdeckt.

Lukusch stammt ursprünglich aus der Ukraine, sein Schachtalent wurde erst auf dem Weg nach Deutschland entdeckt.

(Foto: picture alliance / AA)

In "Lukusch" mischt Autor Benjamin Heisenberg Fiktion mit Realität. Er erzählt die Geschichte eines Jungen, der wegen der Tschernobyl-Katastrophe aus der Ukraine geflüchtet ist. In Deutschland entdeckt Lukusch sein Schachtalent, bis er plötzlich verschwindet.

Jane Fonda hat vermutlich schon einiges erlebt. Aber dieser Abend, der 30. September 1989, ist bemerkenswert. Oldenburg, "Wetten, dass.. ?", Thomas Gottschalk und mittendrin ein Hollywood-Star: die geballte BRD der 1980er-Jahre. Hinzu kommt eine Wette, die so seltsam ist, wie sie es bei der ZDF-Show immer waren. Ein Junge behauptet, er könne mit verbundenen Augen ein Schachrätsel lösen, an dem zwei Großmeister zuvor gescheitert sind. Der 15-Jährige will das in unter einer Minute hinbekommen. Und natürlich, er schafft es auch.

Die Szene fühlt sich beim Lesen von Benjamin Heisenbergs Debütroman "Lukusch" wie eine Nacherzählung an. Der junge Gottschalk macht Gottschalk-Sprüche, die Übersetzung hat Mühe hinterherzukommen. Alles wie immer. Und es gibt sogar ein Foto, das den Jungen mit dem Moderator zeigen soll. Wenn da nicht ein entscheidender Haken wäre: Der Abend hat so nie stattgefunden. Zwar saß Jane Fonda an jenem Samstag tatsächlich auf der Couch in Oldenburg, der Auftritt ist sogar bei Youtube zu sehen. Ihr Wettpate aber war ein Landwirt aus der baden-württembergischen Provinz - nicht ein Schachwunderkind aus der Ukraine.

Mit dieser Methode arbeitet Heisenberg in dem gesamten Roman. Aus zahlreichen Details puzzelt er eine fiktive Realität zusammen. Normalerweise ist das Erzeugen von Bildern auch sein Job, in der Regel arbeitet er als Filmregisseur. Auch "Lukusch" sollte eigentlich auf der Leinwand landen. Aber seine Faszination für Deepfakes und das Paranormale sei zu kompliziert fürs Kino gewesen, erzählte Heisenberg im Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Nach Reaktorkatastrophe geflüchtet

Und so schuf er das Gesamtkunstwerk rund um Anton Lukusch als Roman. Der Teenager, das wird schnell klar, ist ein seltsamer Kerl. Er spricht nicht viel, verbeugt sich manchmal zur Begrüßung. Ein Jahr nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl kommt er aus der Ukraine in die bayerische Provinz. Untrennbar an seiner Seite: sein ungleicher Gefährte Igor. Der Atomunfall stellt zwischen beiden eine übernatürliche Verbindung her und verleiht Lukusch zusätzlich paranormale Kräfte. Diese Fähigkeiten machen aus ihm ein Schachwunderkind, dessen Talent sich schon auf der Busfahrt nach Deutschland offenbart.

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Aus der langsam zerfallenden Sowjetunion landet er in der BRD der späten 1980er-Jahre. Dort geht es steil nach oben. Lukusch schlägt Kanzler Kohl im Schach, tritt bei "Wetten, dass.. ?" auf und soll auch einen japanischen Hochleistungscomputer in Osaka bezwingen. Heisenberg illustriert das alles mit vermeintlichen Originalquellen: hier ein bearbeitetes Foto, da ein gefakter Artikel. Eine dubiose Beratungsfirma wird auf Lukusch aufmerksam. Und so schnell er und Igor in Deutschland aufgetaucht sind, verschwinden sie auch wieder.

Heisenbergs Roman mit seinen 267 Seiten setzt knapp drei Jahrzehnte später an. Er selbst tritt im Vorwort in Erscheinung und gibt sich als Herausgeber aus, danach nicht mehr. Es ist ein cleverer Kniff: Das Buch ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die die Spurensuche nach Lukusch aus der Sicht von Simon Ritter erzählt, Sohn aus der Gastfamilie des ukrainischen Schachwunderkinds. Ritter recherchiert Jahre später Lukusch und Igor nach, verschwindet dabei aber selbst in der Ukraine.

Nike-Schuhe, Nintendos, Altkanzler Kohl

Wie das bei gesammelten Werken sein kann, muss daraus keine geradlinige Geschichte entstehen. Die Struktur bietet einen Rahmen, um darin eine halbwegs sortierte Quellensammlung unterzubringen. Die, das hat bei Heisenberg Methode, ist gespickt von Nintendos, Nike-Schuhen und Altkanzler Kohl. Auch wenn es um Lukuschs übernatürliche Fähigkeiten geht, kreiert Heisenberg eine Umgebung, in der die Figuren darüber nachvollziehbar diskutieren - auch weil es vermeintliche Arztberichte in dem Buch gibt.

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Für die Leserinnen und Leser kann es bisweilen anstrengend sein, dieser Flut an Informationen und damit der Geschichte zu folgen. Es hilft auch nicht, dass Heisenberg dabei ständig das Format wechselt: mal gibt es einen Ich-Erzähler, mal erzählt jemand anderes und manchmal findet man sich plötzlich in einem Drehbuch wieder.

Damit stiftet er Verwirrung: Geht es nach dem Autor, ist die auch gewünscht, sagte er der FAZ. Dass er seinen Leserinnen und Lesern damit einiges zumutet, muss ihm wohl auch bewusst sein. Meistens verliert aber die Irritation gegen die Spurensuche und die damit verbundene Frage, was denn nun mit dem ukrainischen Schachwunderkind passiert ist. Und so fühlt sich diese fiktive Geschichte, das ist Heisenberg wirklich gelungen, manchmal gar nicht so unwirklich an.

Quelle: ntv.de

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