Jörg Buttgereit im Interview "Horrorfilme sind in Deutschland verpönt"
17.02.2014, 10:49 Uhr
Szene aus "German Angst": Die Episode "Final Girl" wurde von Jörg Buttgereit inszeniert.
(Foto: KOSAKOWSKI FILMS 2013)
Vermutlich sind Horror-Regisseure die freundlichsten Menschen überhaupt. Zumindest macht Jörg Buttgereit diesen Eindruck. Ausgelassen und geduldig spricht er in einem Berliner Altbau mit n-tv.de über seinen neuesten Film: "German Angst", eine Kollaboration mit zwei weiteren Regisseuren, die im Herbst in die Kinos kommen soll. Dabei hat Buttgereit seit mehr als zehn Jahren keinen Kinofilm mehr gedreht. Auch der neue Streifen soll eine Ausnahme sein, sagt er im Interview.
In den 80er Jahren drehte der Berliner Filme wie "Nekromantik", "Der Todesking" und "Schramm". Diese Low-Budget-Werke waren so verstörend, dass sie zensiert und indiziert wurden. Doch irgendwann wandte er sich dem Theater zu. "Dort gibt es eine viel größere künstlerische Freiheit, und auf die kommt es mir an", sagt er. Zudem wirkte er kürzlich beim Samsung Smart Film Award mit - als Mentor für junge Horrorfilmer. Außerdem spricht Buttgereit über Tabubrüche und eine seiner Lieblingsfiguren: "Captain Berlin".
n-tv.de: Sie haben lange keinen Film mehr gedreht.
Jörg Buttgereit: Was Spielfilme angeht, ja. Aber ich habe Dokumentationen für Arte gemacht, zum Beispiel einige Folgen von "Durch die Nacht mit …" oder "Monsterland" über die Künstler, die Filmmonster gestalten.
Wie kam es zur Rückkehr ins Kino?
Das lag vor allem an Andreas Marschall, einem der drei Regisseure. Er hatte die Idee zu diesem Episodenfilm. Wir haben bereits vor 25 Jahren gemeinsam an Projekten gearbeitet, er gestaltete etwa das Plakat für meinen ersten Film "Nekromantik". Er bekam damals so wenig Geld, dass ich mich jetzt nicht getraut habe, abzusagen. (lacht)
Ist "German Angst" ein Horrorfilm?
Ja, "German Angst" knüpft ein bisschen an die Horrorfilm-Tradition der 20er Jahre in Deutschland an. Zum Beispiel steht Berlin als Stadt im Mittelpunkt. Ansonsten werden die Episoden aber sehr unterschiedlich ausfallen. Der Reiz liegt darin, dass alle drei Regisseure - Andreas Marschall, Michal Kosakowski und ich - unterschiedliche Herangehensweisen haben. Es kann zwar passieren, dass der Film auseinanderfällt, aber das ist mir lieber, als wenn wir uns alle angleichen würden.
Gibt es auch inhaltliche Verknüpfungen?
Wahrscheinlich nicht mal. Eigentlich ist die Stadt das verbindende Element.
Wenn "German Angst" an das Kino der 20er Jahre anknüpft - wird es dann ein expressionistischer Film?
Die Reverenz ist eher inhaltlich gemeint, nicht stilistisch. Es kommt auch etwas auf das Wetter während der Außenaufnahmen an. Bei Nebel und Schnee ist es natürlich expressionistischer, als wenn wir erst im Frühling drehen. Das wird sich zeigen. Die Handlung ist im Hier und Heute angelegt, wo der Expressionismus eigentlich wenig zu suchen hat. Die Ästhetik der Episoden ist zudem sehr unterschiedlich, bei mir wird es zum Beispiel sehr deutsch aussehen, bei Andreas Marschall eher italienisch. (lacht)
Drehen Sie digital?
Wir drehen digital und analog, HD und Super 8 werden also aufeinanderklatschen. Erst vor ein paar Monaten habe ich einen Videoclip für die Berliner Band "Halfgirl" gedreht, auf Super 8 und in Schwarz-Weiß. Das hat mich wieder richtig begeistert, wie toll das aussieht. Außerdem drehen wir "German Angst" in Cinemascope, was ich noch nie gemacht habe. Das ist ein sehr breites Bild, das Verhältnis ist 1:2,35.
Ist der Dreh mit Super 8 ein anderes Gefühl als mit Digitaltechnik?
Ja, weil ich so die Kamera alleine bedienen kann. Bei Digitalkameras geht das nicht mehr.
Verstehen Sie sich als Independent-Filmer oder lehnen Sie diese Kategorie ab?
Ich bin mit dem Punkrock-Spirit groß geworden. Das heißt, jeder kann die Sachen machen, die er sich zutraut. Da fragt man keine großen Sender oder Produzenten. Die Technik heute ist dafür viel eher geeignet als damals. Ich habe ja früher auf Super 8 und 16 Millimeter gedreht, das muss ich heute nicht mehr. Von daher machen wir eindeutig einen Independent-Film. Alle potenziellen Investoren, die viel Geld bringen könnten, rennen ja eher weg, als uns mit Geld zu bewerfen.
Aber derzeit sind Horror- und Trashfilme ungemein populär, von "Blair Witch Project" über "World War Z" bis "Machete". Hat das einen gesellschaftlichen Hintergrund? Oder sind das einfach Kinofans, die bereits mit Horrorfilmen aufgewachsen sind?
Interessanterweise kommen diese drei Filme aus den USA, wo es schon immer eine Horrorfilmkultur gab. In Deutschland dagegen wurde dieses Genre seit dem Zweiten Weltkrieg etwas vernachlässigt, wovon es sich bis heute nicht erholt hat. Hier wurde ja immer für "saubere Leinwände" plädiert. In Amerika gibt es dagegen diese Tradition, weswegen die größten Horror-Produktionen aus den USA kommen oder zumindest eine amerikanische Beteiligung haben.
Hat es Sie mal nach Amerika gezogen?
Jörg Buttgereit wurde 1963 in Berlin geboren. Aus der Punk-Szene kommend wurde er mit Low-Budget-Horrorfilmen wie "Nekromantik" (in dem Nekrophilie thematisiert wird) und "Schramm" (über einen Serienkiller) bekannt. Regelmäßig arbeitet er als Filmkritiker, schreibt Bücher und dreht Musikvideos. Zudem produziert er Hörspiele, zuletzt "Die Bestie von Fukushima" und "Das Märchen vom unglaublichen Super-Kim aus Pjöngjang" für den WDR. Auf die Theaterbühne brachte er etwa die deutsche Version des Ramones-Musicals "Gabba Gabba Hey!", "Captain Berlin vs. Hitler" und zuletzt "Der Elefantenmensch".
Ich bekomme regelmäßig Angebote aus den USA. Aber die Budgets sind so klein, dass ich keine Lust habe. Schließlich habe ich jahrelang Billigfilme gedreht. Ich weiß also, dass ich das kann. Mittlerweile fehlt dafür einfach der Anreiz. "German Angst" ist zwar auch keine große Produktion, aber ich arbeite mit Bekannten zusammen und wir drehen in Berlin. Für mich ist das eher eine Miniatur.
Bedeutet dieser Kinofilm Ihre Rückkehr zum Kino?
Eigentlich ist das eine Ausnahme. Denn in Deutschland ist es nach wie vor verpönt, einen Horrorfilm zu machen. Das heißt: Man braucht eine Rechtfertigung dafür. Meine letzten Theaterarbeiten würde ich auch alle ins Horrorfach packen, aber da gab es nie diese Probleme. Ich habe ein Stück über den amerikanischen Grabräuber Ed Gein gemacht, der als Vorbild für Hitchcocks "Psycho" diente, dann "Der Elefantenmensch", Grindhouse-Sachen wie "Sexmonster" - da hat mich nie irgendjemand gefragt, ob das jetzt okay ist. Solange der Horrorfilm in Deutschland einen so schlechten Ruf hat - und ich glaube, nur Pornofilme sind noch schlechter angesehen - macht das einfach keine Freude. Aber ich kenne das ja von meinen früheren Filmen, die zensiert, indiziert und bundesweit beschlagnahmt wurden, wegen denen ich auch Prozesse führen musste.
Woher kommt dieser Unterschied zwischen Film und Theater?
Am Theater gibt es eine viel größere künstlerische Freiheit, und auf die kommt es mir an. Sowohl das Publikum als auch die Schauspieldirektoren oder Intendanten sind viel offener und neugieriger. In Deutschland gehen die Leute ins Kino, wenn sie vorher wissen, was sie bekommen. Und Horrorfilme sind nun mal nicht unbedingt eine sichere Sache.
Kann es in Horrorfilmen heute noch Tabubrüche geben, wo doch im Internet alles zu sehen ist?

Jörg Buttgereit (r., als Teutonenmonster) und Michael Waechter bei Proben zum Stück "Captain Berlin versus Hitler" im November 2007.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ich versuche nicht mehr, Tabus zu brechen. Durch die Präsenz von allem Schrecklichen im Internet hat sich das erübrigt. Eigentlich hatte ich ja schon immer das Gefühl, dass Nachrichtenbilder viel grausamer sind als das, was man in einem Horrorfilm nachstellen könnte. Über Tabubrüche kann man auch nicht wirklich Filme erzählen, weil das die Leute relativ schnell langweilt oder abstumpft. Horrorfilme funktionieren immer dann, wenn sie etwas mit einem selbst zu tun haben, wenn sie einen ergreifen. Und das funktioniert nicht, wenn man den Leuten ständig nur irgendwelche Schockbilder vorsetzt.
Ihrer Theaterarbeit kommt sicher entgegen, dass es heute einfacher ist, Pop-Elemente einzubinden.
Klar, weil die Menschen, die heute ins Theater gehen, eher mit Filmen sozialisiert wurden. Ich finde immer wieder mein Publikum, weil es viele Leute gibt, die ähnlich sozialisiert sind und die ähnliche Bilder im Kopf haben wie ich. Wenn ich diese Bilder auf einer Bühne reproduziere, entsteht so ein komischer Wiedererkennungseffekt, den man da gar nicht erwartet.
Eine ihrer immer wiederkehrenden Popfiguren ist "Captain Berlin". Er begleitet Sie bereits die gesamte Karriere.
1982 habe ich zum ersten Mal einen Super-8-Film mit "Captain Berlin" gemacht. Dann kam irgendwann ein Hörspiel, daraus wurde ein Theaterstück, das abgefilmt und als DVD veröffentlicht wurde. Und zuletzt kam ein Comic heraus. Eigentlich ist "Captain Berlin" ja eine Comic-Figur. Aber es ist auch sehr genussvoll, wenn man so einen Comicstoff auf die Theaterbühne bringt, weil die Fallhöhe dann sehr hoch ist. Denn einen Superhelden-Film auf einer Theaterbühne lediglich nachzustellen, funktioniert natürlich überhaupt nicht.
Geht der "Captain Berlin"-Comic in Serie?
Ja, es wird eine Nummer 2 geben. Martin Trafford, der im ersten Heft "Captain Berlin gegen Fukuda" gezeichnet hat, arbeitet derzeit mit mir an einer neuen Story. Er wohnt in Australien und macht das ebenfalls nebenbei, deshalb wird es wohl noch ein bisschen dauern. Aber wir teilen uns die Arbeit auf: Er zeichnet, ich schreibe die deutschen Texte und der Verleger Levin Kurio koloriert.
Wie wurde der Comic aufgenommen?
Ich bin überrascht, dass er doch in relativ vielen Magazinen und Online besprochen wurde. Ich habe mir gar nicht die Illusion gemacht, dass das so viele Leute mitbekommen. Der Anspruch ist, einfach etwas Lustiges rauszuhauen. Und wenn wir das nebenher machen können, es also nicht zeitaufwendig ist oder uns vom Geldverdienen abhält, dann werden wir das auch weiter machen. Das dauert zwar etwas länger, aber dafür ist es günstig. Comics müssen billig sein, weil das so ein bisschen eine Trash-Kultur ist.
Welche Comics haben Sie zuletzt gelesen?
Ganz Old-School-mäßig: "Die Fantastischen Vier" aus den frühen 60ern, von Jack Kirby und Stan Lee. Das sind ein, zwei Jahrgänge als Buch gebunden. Das ist so schwer, dass man es auf den Tisch legen muss. Das Tolle an diesen Reprints ist, dass die Hefte früher auf schlechtem Papier gedruckt wurden. Jetzt gibt es sie etwas großformatiger und auf Kunstdruckpapier. Wenn man solche alten Sachen aus einer Billigkultur irgendwann auf Kunstdruckpapier herausbringt, finde ich das schon wieder toll.
Sie bevorzugen also Superheldencomics?
Ich lese relativ viel verschiedene Sachen. Aber Superhelden - das merkt man ja bei "Captain Berlin" - finde ich toll, weil ich früher als Kind Sachen wie "Spider-Man" oder "Die Fantastischen Vier" gelesen habe. Ich habe sie sogar "gelesen", als ich noch gar nicht lesen konnte. Meine Großmutter musste sie mir immer vorlesen. Sie fand das, was da passiert, sehr obskur.
Schauen Sie sich die aktuellen Blockbuster aus dem Marvel-Universum an?
Ja, klar. Ich schreibe ja auch oft Filmkritiken und sehe sie schon deswegen. Und es freut mich natürlich, dass diese Filme medial so präsent sind und mit so großen Budgets verfilmt werden.
Mit Jörg Buttgereit sprach Markus Lippold.
Quelle: ntv.de