Kino

"Captain Fantastic" Wenn Kinder wie Wilde aufwachsen

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Morgens wird geschwitzt, danach wird Weltliteratur gelesen. Die Kinder in "Captain Fantastic" werden etwas anders groß.

Morgens wird geschwitzt, danach wird Weltliteratur gelesen. Die Kinder in "Captain Fantastic" werden etwas anders groß.

(Foto: Universum Film)

Das Gesicht von Tarnfarbe verschmiert, treten sie aus dem Schatten der Bäume. Die Familie hat ein Reh erlegt. Wie man das eben so macht, wenn man im Wald wohnt. Der Film "Captain Fantastic" testet alternative Lebensstile und fragt nach den richtigen Werten.

Es darf doch wohl wenigstens als etwas sonderbar gelten, wenn ein Paar beschließt, seine Kinder im Wald großzuziehen. Wenn sie dort querfeldein sprinten, statt die Schulbank zu drücken, kommunistische Schriften studieren, statt deren Zusammenfassung mit Wikipedia für eins dieser Fünfzehnminutenreferate aufzubereiten. Eigentlich ist es nicht nur sonderbar, sondern verdammt kontrovers.

In "Captain Fantastic" spielt Viggo Mortensen einen Vater, der mit seiner Familie der Zivilisation den Rücken gekehrt hat. Aus seinen sechs Kinder will der wilde Patriarch einmal ganz besondere Erwachsene machen. Es scheint ihm bestens zu gelingen. Als ein Schicksalsschlag die Familienmitglieder zurück in die Realität treibt, müssen sie sich entscheiden, ob sie besonders bleiben wollen.

Lieber Wein als Videospiele

Nicht ganz normal, aber auch nicht völlig daneben: Ben und seine sechs Kinder.

Nicht ganz normal, aber auch nicht völlig daneben: Ben und seine sechs Kinder.

(Foto: Universum Film)

Nur weil man es "Mission Essen befreien" nennt, bleibt ein Raubzug im Supermarkt doch ein Raubzug im Supermarkt. Nur weil man sich im linken Spektrum präzise zwischen Trotzkismus und Maoismus positioniert hat, weiß man noch lange nicht, wie man ein Mädchen küsst. Kinder, die Wein trinken, aber Videospiele fürchten - irgendwie kultig, aber auch ziemlich ungesund.

Selbstverständlich ist Viggo Mortensens Vaterfigur Ben total durchgedreht. Auch wenn es dem Zuschauer das Herz immer ein bisschen weiter aufbricht: Sein mit bestem Willen erbautes Laubidyll muss zerstört werden. Es müssen Tränen fließen und wütende Wortgefechte für bitteres Schweigen sorgen. Dass seine Kinder ihn unumwunden infrage stellen, offenbart erst, zu welcher Selbstständigkeit Ben sie erzogen hat.

Wertediskurs mit Lausehippies

In gewaltigen Bildern erzählt "Captain Fantastic" von einem Haufen linker Lausehippies, die der westlichen Welt mit ureigenem Humor und sympathischer Abneigung begegnen. Und dann erzählt der Film noch viel mehr, eigentlich erzählt er das ganze Leben, weil er alle richtigen Fragen stellt.

Wie wollen wir lieben, wie wollen wir mit unserer Umwelt umgehen, was müssen wir wissen, wem schulden wir etwas und wer steht in unserer Schuld, zu welcher Gruppe wollen wir gehören, wollen wir eigene Wege gehen, müssen wir uns selbst genügen, dürfen wir Hilfe brauchen, zu welchen Kompromissen sind wir bereit?

Wenngleich sich seine Protagonisten denkbar fern der Lebensrealität des durchschnittlichen Kinobesuchers bewegen dürften, gelingt es Regisseur Matt Ross doch, durch sie ganz sachte einen cleveren Wertediskurs anzustoßen, der jeden Zuschauer etwas angeht. "Captain Fantastic" ist ungewöhnlich und vor allem ungewöhnlich gut.

"Captain Fantastic" läuft ab dem 18. August in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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