40 Jahre Ramones, 40 Jahre Punk "Hey Ho! Let's Go!" und eine Dreiecksliebe
09.09.2016, 18:16 Uhr
Gestatten, die Erfinder des Punk.
(Foto: Warner Music)
Vor 40 Jahren erschien das Debüt-Album der Ramones. Ein Album, das die Musikwelt verändern sollte. Viel zu früh starben alle Mitglieder der Originalbesetzung der Band. Doch Linda Ramone, Witwe von Gitarrist Johnny Ramone, der eigentlich John Cummings hieß, erinnert sich im n-tv.de Interview.
n-tv.de: Hallo, Frau Ramone! Ich darf Sie doch so nennen?
Linda Ramone: Ja, klar! Das ist mein rechtmäßiger Name. (lacht)
Wo erreiche ich Sie gerade? In Los Angeles?

Linda Ramone kümmert sich um den Nachlass ihres verstorbenen Mannes Johnny.
(Foto: imago/ZUMA Press)
Ja, ich lebe in Los Angeles. Ich und Johnny sind hierher gezogen, als er 1996 in den Ruhestand gegangen ist. Und ich bin hier geblieben.
Das ist insofern kurios, weil man bei den Ramones immer sofort an New York denkt …
Ja, aber in New York City kann man nicht in den Ruhestand gehen! Deshalb haben wir beide uns in die Augen geschaut: "Wo sollen wir hinziehen?" Unsere erste Wahl war Los Angeles. Hier wohnte bereits Rob Zombie. Und er sagte uns, dass wir es hier lieben würden. Wir wussten aber auch von den vielen Auftritten der Ramones hier schon, dass es uns gefallen würde. Wir liebten das Wetter hier. Johnny hätte sich auch vorstellen können, nach Florida zu ziehen - aber das kam für mich definitiv nicht in Frage. (lacht)
Während Sie in Los Angeles sind, rufe ich von Berlin aus an. Hier befindet sich das erste und bislang einzige Ramones-Museum auf der Welt. Haben Sie davon gehört - und es vielleicht sogar schon einmal besucht?
Ja, davon gehört habe ich. Aber ich habe es noch nicht besucht. Ich warte darauf, dass Sie mich persönlich einladen. (lacht) Aber ich schicke immer alle meine Freunde dorthin. Viele von ihnen waren da und hatten eine gute Zeit dort.
In diesem Jahr feiern wir das 40-jährige Jubiläum des ersten Ramones-Albums. Aus diesem Anlass kommt eine aufwendige Deluxe-Version des Albums in die Läden. Haben Sie an der Gestaltung mitgewirkt?
Oh ja, wir haben alle gemeinsam überlegt, was Fans und neuen Fans Freude bereiten könnte, wenn wir das Album neu auflegen. Es gibt viele tolle Fotos und neue Demoversionen. Auch der Produzent des Albums, Craig Leon, hat sich eingebracht. Es ist immer toll, den Fans etwas Neues bieten zu können. Erst recht, wenn es um dieses Album geht, denn aus meiner Sicht hat es die Musik revolutioniert.
Das erste Lied auf dem Album ist "Blitzkrieg Bop" - mit dem berühmten Ramones-Slogan "Hey Ho! Let's Go!" Mir fallen noch zwei weitere typische Aussprüche für die Ramones ein: "Gabba Gabba Hey!" und "One-Two-Three-Four". Woher kam dieses Faible für einprägsame Slogans?
Damals hatten die Ramones das Gefühl, sie müssten sich mit den Bay City Rollers messen. Für die Bay City Rollers gab es einen bestimmten Fangesang. Das wollten die Ramones auch - ihr Fangesang wurde "Hey Ho! Let's Go!" "Gabba Gabba Hey" wurde dagegen vom Film "Freaks" inspiriert, in dem etwas Ähnliches skandiert wird. Die Ramones mochten das, weil das die Fans in Stimmung bringt. Und "One-Two-Three-Four" brauchten sie einfach, um die Songs anzuzählen.
Das erste Album der Ramones erschien 1976. Wann sind Sie das erste Mal auf die Band gestoßen?
Oh, das war schon deutlich früher. Ich hatte schon eine Reihe an Konzerten von ihnen gesehen. Ich bin oft zu Konzerten gegangen, weil auch mein damaliger Freund in einer Band war, die sich Milk 'N' Cookies nannte. Sie sind als Vorband der Ramones aufgetreten. Und so war ich, seit ich 16 war, oft im CBGB (ehemals berühmter New Yorker Punk-Club, Anm. d. Red.). Dort haben die tollsten Bands gespielt: Talking Heads, Cramps, Dead Boys, alles von The Damned bis X-Ray-Spex - und ich habe sie alle gesehen.
Wenn es um Sie, Johnny und Joey Ramone geht, sprechen manche von einer der berühmtesten Dreiecksbeziehungen in der Musikgeschichte. Stört es Sie, darauf angesprochen zu werden?

Joey Ramone alias Jeffrey Hyman war der Sänger der Band und Exfreund von Linda. Er starb 2001 im Alter von 49 Jahren an einem Lymphom.
(Foto: imago/BRIGANI-ART)
Nein, gar nicht. Das ist doch Teil meines Lebens und das, was nun mal passiert ist. Ich und Joey haben uns ineinander verliebt. Wir waren dreieinhalb Jahre zusammen. Und in der Zeit hat sich Johnny in mich verliebt. Das war komplett zufällig, niemand hatte das beabsichtigt. Aber es wurde etwas problematisch: Johnny wollte nicht aufgeben. Joey sagte zu ihm: "Ich möchte nicht, dass du weiter mit Linda sprichst." Und Johnny erklärte: "Sie ist aber meine beste Freundin. Ich rede, mit wem ich will." Nach dreieinhalb Jahren entschieden Joey und ich, dass wir uns trennen sollten. Andernfalls hätte Joey die Band verlassen müssen. Und wirklich niemand wollte, dass sich die Band auflöst. Die Band stand immer an erster Stelle - sogar noch vor der Liebe.
Stimmt es, dass Johnny und Joey danach bis zum Ende der Ramones nahezu kein Wort mehr miteinander gewechselt haben?
Ach, wissen Sie: Die beiden hatten schon vorher Probleme miteinander. Aber ja, natürlich hat das die Probleme noch einmal verschärft. Ich denke, das Dumme bei Joey war, dass er danach niemanden mehr gefunden hat, den er mochte. Er hatte natürlich auch noch Freundinnen, aber dass ich dann dauerhaft bei Johnny geblieben bin, war das eigentliche Problem für ihn.
Sie sind auch das Thema diverser Ramones-Songs - "The KKK Took My Baby Away" zum Beispiel oder aber "Danny says". Warum ist "Danny Says", wie Sie einmal gesagt haben, ihr Lieblingslied über Sie?
Joey hat diesen Song genau zu der Zeit geschrieben, als wir uns das erste Mal getroffen haben. Das war, als sie "Rock'n'Roll Highschool" gemacht haben. Die Textzeile "But I can't wait to be with you tomorrow" (etwa: "Ich kann es nicht erwarten, mit dir morgen zusammen zu sein") hat es mir angetan. Jemanden zu haben, der mit dir am Morgen aufwachen will, war so ein tolles Gefühl. Für mich war das viel schöner als ein "I love you, I love you, I love you" ("Ich liebe dich, ich liebe dich, ich liebe dich"). Außerdem geht es in dem Lied um all das, was wir zu der Zeit wirklich gemacht haben. Wir haben "Get Smart" (US-Comedyserie, Anm. d. Red.) im Fernsehen geguckt. Wir sind im Zimmer "100 B" im Hotel Tropicana abgestiegen. Wir haben "Sheena" (das Lied "Sheena Is A Punkrocker" der Ramones, Anm. d. Red.) im Radio gehört. All das ist passiert, als wir uns kennengelernt haben.
Später haben Sie Johnny geheiratet. Die Ramones haben in 22 Jahren 2.263 Konzerte gespielt. Haben Sie sich da überhaupt noch gesehen?
Johnny hat das immer so geplant, dass sie ein halbes Jahr auf Tour und ein halbes Jahr zu Hause waren. Er war für die Planung verantwortlich. Er liebte es, für alles verantwortlich zu sein. Jeder, der ganz normal zur Arbeit geht, sieht ja seinen Partner auch den halben Tag nicht. Wenn Johnny dagegen zuhause war, sahen wir uns die ganze Zeit. Außerdem bin ich zu Konzerten in Amerika auch gegangen. Aber Touren in Übersee habe ich nicht mitgemacht, weil das eine unangenehme Situation mit Joey gewesen wäre.
Joey und Johnny hatten auch noch andere Differenzen - politische zum Beispiel …
Ja, aber Gegensätze ziehen sich doch an! Die Band wäre nicht diese Band gewesen, wenn es die nicht gegeben hätte. Dann wären sie keine Rock'n'Roll-Band gewesen, sondern irgendwas anderes - ich weiß nicht was. Man kann in so einer Band nicht dauernd miteinander auskommen. Man reist zusammen, man isst zusammen - es ist, als wäre man verheiratet.
Es heißt, Joey sei eher liberal eingestellt gewesen, während Johnny tatsächlich ein Republikaner war. Das ist dann doch recht ungewöhnlich für einen Punk …
Ja, aber Johnny war eben einfach anders. (lacht) Er war ein Anführer und kein Mitläufer.
Wie wichtig war die Rivalität zwischen Joey und Johnny ihrer Ansicht nach für die Energie, die die Ramones ja zweifellos versprüht haben?

Johnny Ramone war der Gitarrist der Band und Lindas Ehemann. Er starb 2004 mit 55 Jahren an Krebs.
(Foto: imago/BRIGANI-ART)
Johnny war der Meinung, dass seine Wut für sein treibendes und intensives Gitarrenspiel verantwortlich war. Solange er in der Band war, hat ihn seine Wut angetrieben. Später, als wir nach L.A. gezogen sind, ist er viel ruhiger geworden. Ich weiß nicht, ob ihm das besser gefallen hat, aber er musste einfach runterkommen. Und ich bin mir sicher, dass er dabei tatsächlich glücklicher war. Er war glücklich, mehr Freunde als in New York um sich herum zu haben. Wir waren auf vielen Partys und haben auch bei uns Dinnerpartys veranstaltet. Er hat es geliebt, am Swimmingpool zu sitzen. Und er hat sogar angefangen, Hawaii-Hemden zu tragen. (lacht)
Heute sehen viele die Ramones als die Erfinder der Punk-Musik. Sehen Sie das auch so?
Sie waren definitiv eine der ersten Punk-Bands. Joe Strummer (ehemaliger Sänger der Band The Clash, Anm. d. Red.) hat sie als die Erfinder von Punk bezeichnet - ich würde mich seiner Einschätzung einfach anschließen. (lacht)
Hat Johnny sich auch so gesehen?
Er hat auf jeden Fall The Clash und die Sex Pistols geliebt. Er dachte, sie und die Ramones würden einmal die drei größten Bands auf der Welt sein - in einer Reihe wie The Who, die Rolling Stones und die Beatles. Nun ja, ganz so ist es nicht gekommen.
Konnte sich Johnny denn später auch noch mit jüngeren Punk-Bands wie zum Beispiel Green Day identifizieren?
Green Day haben den ursprünglichen Punk zu Leuten zurückgebracht, die ihn vergessen hatten. Johnny mochte sie sehr und er hat sich mit ihnen angefreundet. Und sie haben sich immer sehr respektvoll über ihre Vorläufer geäußert, seien es die Ramones oder sei es The Clash. Man muss für Bands, die das Erbe des Punk fortführen, dankbar sein, auch wenn es mit der rebellischen Bewegung der 70er-Jahre nicht mehr so viel zu tun hat.
Heute sind die musikalischen Verdienste der Ramones unbestritten. Doch zu ihrer aktiven Zeit haben sie nicht immer diese Anerkennung bekommen. Hat das Johnny getroffen?
Nein, Johnny fand schon, dass er angemessen anerkannt wurde. Wenn er auf die Bühne raus ist und gespielt hat, hat er sich wie der Chef im Ring gefühlt. Und all die neuen Bands, die da kamen, seien es Soundgarden, Pearl Jam, White Zombie oder Metallica, sagten ihm, wie sehr sie die Ramones beeinflusst hätten. Er hat sich also schon sehr geliebt und respektiert gefühlt. Es stimmt natürlich: Die Ramones haben nicht so viele Platten verkauft. Aber jede Menge Merchandise - und das noch heute.
Ich spreche gerne mit Ihnen - aber der Grund dafür ist natürlich an sich ein sehr trauriger: Alle Originalmitglieder der Ramones, einschließlich Joey und Johnny, sind viel zu jung gestorben. Der "Rolling Stone" hat mal einen Artikel mit der Überschrift "Der Fluch der Ramones" veröffentlicht. In jedem Fall ist es eine große Tragödie …
Ich weiß nicht, ob ich von einem Fluch sprechen würde, weil sie ja alle ein so großartiges Erbe hinterlassen haben. Aber natürlich ist es tragisch, dass sie alle tot sind. Manchmal stelle ich mir vor, dass sie vor ihrer Geburt miteinander abgemacht haben, die Welt so zu verlassen, weil es schon seltsam ist, dass sie alle so früh gestorben sind. Johnny war immer kerngesund. Dass er auf einmal krank wurde, war wirklich seltsam. Es ist eine Tragödie, noch dazu, weil keiner von ihnen Kinder hatte. Deshalb ist es mir auch so wichtig, mich um den Nachlass der Ramones zu kümmern - und weil Johnny mich darum gebeten hat, als er gestorben ist.
Bei Joey kümmert sich sein Bruder Mickey darum. Kommen Sie beide miteinander aus oder gibt es noch immer einen Graben zwischen den beiden Familien?
Wir sind Geschäftspartner.
Wenn Sie an Johnny denken: Wie würde er sich wünschen, dass die Ramones in Erinnerung bleiben?
Als coolste Band aller Zeiten. Und vor allem als Band mit fantastischen Songs. Denn Coolness oder Image hin oder her - die Songs der Ramones sind einfach toll.
Mit Linda Ramone sprach Volker Probst
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Quelle: ntv.de