Rammstein mit letztem Album? Wenn die Zeit gekommen ist
29.04.2022, 18:04 Uhr
War es das? Rammstein.
(Foto: Bryan Adams / Universal Music)
Erlösende Finsternis, selbstzerstörerischer Hass und die Sehnsucht nach "dicken Titten": Nach einem wochenlangen Spannungstrip kommen Rammstein mit ihrem (wahrscheinlich) letzten Studioalbum "Zeit" um die Ecke.
Unter dem Banner der Vergänglichkeit metallisch galoppierend: Das neue und vielleicht finale Rammstein-Schaffen "Zeit" reibt sich mit Genuss an all den aufkochenden Gerüchten um die Zukunft der Urheber. Auffallend morbide und düster setzen kleine Sound-Nadelstiche große Emotionen frei. Der Hörer, insbesondere der eingefleischte Fan, fragt sich immer wieder: War's das jetzt? Ist Deutschlands Stadionrock-Export Nummer eins studiotechnisch am Ende angelangt?
Im von Synthieklängen dominierten Titeltrack scheint Till Lindemann die Richtung vorzugeben: "Aufhören, wenn's am schönsten ist / Die Uhren bleiben stehen", singt der Frontmann, der im kommenden Januar 60 Geburtstagskerzen anzünden darf/kann/muss. Ein paar Stakkato-Riffs und opulent arrangierte Industrial-trifft-Goth-Ausrufezeichen später erklingt in der Ferne ein vermeintliches "Kommando zurück!"-Signal: "Ich belüge sogar mich - Keiner glaubt mir - Niemand traut mir - Nicht mal ich", heißt es im finsteren Laut-leise-Monster "Lügen". Rammstein lassen sich alle Türen offen, auch wenn der Bezug nie wirklich transparent und klar wird.
Mal zart, mal hart
Neben der Frage, wie es denn mit dem rrrrrollenden Krach-und-Spaß-Zirkus in Zukunft weitergeht, sorgt nicht mehr allzu viel für staunende Gesichter und spitze Ohren. Rammstein machen, was Rammstein eben so machen. Mal zart und mal hart pinkelt man der glattgebügelten Gesellschaft ans Bein und durchleuchtet dabei Kellerräume und Hinterhöfe, die bereits von jedem Unrat befreit wurden.
In einer Welt, in der sich das Grauen in der Nachbarschaft eingenistet hat und in der sich selbst der Teufel manchmal beschämt zur Seite dreht, schockieren Lieder über paranoide Angst- und Hass-Achterbahnfahrten ("Angst"), sabbernde Sehnsüchte ("Dicke Titten") und selbstzerstörerischen Schönheitswahn ("Zick Zack") nicht mal mehr die Konservativsten unter den Konservativen.
Keyboarder Flake gibt die Richtung vor
Wer sich der Finsternis zuwendet ("Schwarz") und der dunklen Masse anschließt ("Armee Der Tristen"), der findet Erlösung. So oder so ähnlich lautet die Botschaft. Musikalisch untermauert wird sie von gängigem Trademark-Geknüppel und immer wieder aufflackernden Synthie-Feuerwerken. Keyboarder Flake drängt sich im Frühling des Jahres 2022 selbstbewusst und tonangebend ins Rampenlicht - eine Neuerung, die man zur Kenntnis nimmt, mehr aber auch nicht.
Am Ende des großen Knalls möchte die wieder einmal imposant wuchtig aufbereitete Paarung von kunterbuntem Kirmesflair und brachialer Mannsgewalt möglichst viele Reize setzen. Das gelingt aber nur ganz selten ("Meine Tränen"). "Ein letzter Kuss, ein letztes Lied", das war's! Wenn sich die finale Abschiedshymne "Adieu" wie ein wummernder Bulldozer durch die Boxen schält, kullert auch dem letzten Optimisten eine Träne aus dem Auge. Kurz vor Beginn des noch ausstehenden Parts der zweimal verschobenen "Stadium-Tour" ziehen Rammstein den wohl letzten Strich unter ihre eindrucksvolle Studio-Laufbahn. In diesem Sinne: Feuer frei und Adieu, Good Bye, Auf Wiedersehen!
Quelle: ntv.de