Vom "Tatort" überfordert Ich weiß nicht mehr, was du letzten Sommer getan hast
26.01.2025, 21:48 Uhr Artikel anhören
Immer kurz vor der Explosion: Kommissar Schürk (Daniel Sträßer).
(Foto: SR / Iris Maria Maurer)
Vier Saarbrücker Ermittler liefern sich in einem Bunkersystem einen spektakulären Showdown mit einer multinationalen Verbrecherfamilie. Ob sie ihren Ausflug überleben, erfahren die Zuschauer allerdings erst 2026.
In "Breaking Bad" mutiert ein braver Chemielehrer zum skrupellosen Drogenboss, "The Wire" zerlegt Baltimore in komplexe soziale Systeme und erzählt von gesellschaftlichen Brüchen - und "True Detective" spinnt in seiner ersten Staffel einen mythischen Mordfall, der die komplexe Partnerschaft zweier Ermittler über Jahrzehnte entwickelt. Drei Beispiele für Krimi- bzw. Thriller-Serien, die auch wegen ihrer horizontalen Erzählweise Legendenstatus erreicht haben.
"Horizontal", so nennen Filmemacher die Dramaturgie, bei der jede Episode auf der vorherigen aufbaut. Gut gemacht entfalten Autoren im besten Fall eine ganze Welt und binden die Zuschauer so emotional viel stärker an die Geschichte und ihre Figuren als traditionelle Formate. Seitdem die Welle vor mehr als zehn Jahren nach Deutschland geschwappt ist, versuchen sich auch immer mehr "Tatorte" daran, unter anderem die Ermittler aus Saarbrücken. Und das ist ein echtes Problem.
Fünf Episoden in fünf Jahren

Ermitteln seit fünf Jahren gemeinsam: Vladimir Burlakov, Esther Baumann, Ines Marie Westernströer, Daniel Sträßer (v.l.n.r.).
(Foto: SR / Iris Maria Maurer)
Seit 2020 haben Hölzer (Vladimir Burlakov), Schürk (Daniel Sträßer), Baumann (Brigitte Urhausen) und Heinrich (Ines Marie Westernströer) gerade mal in fünf Episoden gemeinsam ermittelt. Zwischen jedem Fall liegt also ein ganzes Jahr, in dem sich die Zuschauer die vielen miteinander verworrenen Geschichten der Protagonisten merken sollen. Und zwar zusätzlich zu den unnötig komplexen Verstrickungen und der Vielzahl an Nebenhandlungen, die im "Tatort"-Business aus unbekannten Gründen zum guten Ton gehören.
Um zu verstehen, warum beispielsweise Kommissar Schürk ständig kurz vor der Explosion steht, müssen Zuschauer entweder eingefleischte Hardcore-Fans sein oder ein irre gutes Gedächtnis haben. Am besten beides, denn neben den Saarbrückern sorgen die knapp 20 anderen Teams, die derzeit im "Tatort" ermitteln, für zusätzliche Störgeräusche beim Versuch, inhaltlich hinterherzukommen.
Die Frage ist nur: Wer hat schon Lust auf Hausaufgaben am Sonntagabend? Wenn Charakterentwicklungen zu Gedächtnisübungen werden, sich Handlungsstränge auf verschlungenen Pfaden dahinwinden und ganz allgemein Dramaturgie zur Geduldsprobe wird, wird eher früher als später zu einem Streaming-Anbieter umgeschaltet - da nämlich funktioniert das horizontale Konzept hervorragend.
Beim "Tatort" wird der zeitliche Abstand dagegen zum unsichtbaren Gegenspieler, eine ursprünglich innovative Erzähltechnik zum narrativen Eigentor. Besonders deutlich wird das in der Schlussszene von "Das Ende der Nacht": Die endet mit einem Cliffhanger, der einem nicht egaler sein könnte. Unter anderem, weil 2026 nun wirklich kaum jemand mehr wissen dürfte, was die Saarbrücker Ermittler im Jahr davor in diesem Bunkersystem getrieben haben - und ob sie ihren Ausflug überlebt haben.
Quelle: ntv.de