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Kalte Schulter für Caracas "Tatort" thematisiert ungleiche Asylpolitik

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Die Berliner Kommissare befragen einen der drei venezolanischen Lieferfahrer.

Die Berliner Kommissare befragen einen der drei venezolanischen Lieferfahrer.

(Foto: rbb / Schiwago / Hardy Spitz)

"Erika Mustermann" konfrontiert die Berliner Kommissare mit der politischen Realität Venezuelas. Und einer Flüchtlingspolitik, die auch im echten Leben mit zweierlei Maß misst.

Im neuen Berliner "Tatort" sind die Kommissare Bonard (Corinna Harfouch) und Karow (Mark Waschke) einer Bande von Dokumentenfälschern auf der Spur. Doch während ein Großteil des Films in den (fiktiven) Räumlichkeiten der Bundesdruckerei stattfindet, liegt sein eigentliches Zentrum viele Tausend Kilometer entfernt - in Caracas.

"Erika Mustermann" - benannt nach dem Platzhalternamen auf deutschen Ausweisdokumenten - thematisiert das Schicksal venezolanischer Geflüchteter in Deutschland und rückt damit eine der größten, aber zumindest in Deutschland gerne übersehenen, humanitären Krisen unserer Zeit in den Fokus. Fast acht Millionen Menschen - mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung - haben in den letzten zehn Jahren ihr südamerikanisches Heimatland verlassen. Im ersten Halbjahr 2025 stellten Venezolaner die meisten Asylanträge in der EU - mehr als jedes andere Herkunftsland, einschließlich Syrien und Afghanistan.

Weil es die meisten Venezolaner alleine schon der Sprache wegen nach Spanien zieht, sind die absoluten Zahlen derer, die nach Deutschland kommen, zwar überschaubar: 2023 wurden 3756 Asylanträge von venezolanischen Staatsangehörigen registriert. Das allerdings waren bereits mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr. Gleichzeitig sank die Gesamtschutzquote für Venezolaner laut BAMF auf gerade einmal 10,9 Prozent. Zum Vergleich: In Spanien lag die Schutzquote für venezolanische Geflüchtete 2019 noch bei 96 Prozent. Was ist passiert? Wurde Venezuela plötzlich sicherer?

Ein Land im freien Fall

Das Gegenteil ist der Fall. Im Juli 2024 fand in Venezuela eine Präsidentschaftswahl statt, die von internationalem Wahlbetrug und brutaler Repression überschattet wurde. Nach der Wahl wurden über 2200 Menschen verhaftet, mindestens 24 Demonstranten starben, darunter Minderjährige. Das Maduro-Regime reagierte auf friedliche Proteste mit massiver Gewalt - Menschenrechtsorganisationen sprechen offen von "Staatsterrorismus".

"Einfach leben. Einfach leben - wie ihr!"

"Einfach leben. Einfach leben - wie ihr!"

(Foto: rbb / Schiwago / Hardy Spitz)

Amnesty International dokumentiert seit Jahren systematische willkürliche Inhaftierungen, außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Einschüchterung, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. 95 Prozent der Bevölkerung verfügen über kein ausreichendes Einkommen für ihre Grundbedürfnisse, über 40 Prozent leiden unter Mangelernährung, 70 Prozent haben keinen regelmäßigen Zugang zu sauberem Wasser. Das Gesundheitssystem ist zusammengebrochen.

Genug Gründe also, Venezuela zu verlassen und im Ausland Schutz zu suchen. In Deutschland allerdings gleicht das Asylverfahren für venezolanische Geflüchtete offenbar einer Lotterie: Während laut eines "taz"-Artikels 2019 in Chemnitz 64,4 Prozent der Anträge positiv beschieden wurden, lag die Quote in Berlin bei gerade einmal 13,7 Prozent. Beide BAMF-Stellen bearbeiteten Anträge aus demselben Land, mit denselben politischen Verhältnissen - aber mit völlig unterschiedlichen Ergebnissen.

Anderer Blick auf den eigenen Reisepass

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"Erika Mustermann" will zeigen, was mit Menschen passiert, die vom System im Stich gelassen werden: Sie tauchen ab, leben unter falschen Namen, arbeiten schwarz, werden erpressbar. Die drei venezolanischen Lieferfahrer im Film stehen stellvertretend für eine große Dunkelziffer echter Geflüchteter ohne gültige Aufenthaltspapiere - nicht, weil sie kriminell sind, sondern weil Deutschland ihnen keine legale Alternative bietet.

"Einfach leben. Einfach leben - wie ihr!", formuliert im Film einer der Männer ohne Aufenthaltstitel bei der Befragung durch die Berliner Kommissare seinen Herzenswunsch - ohne gültigen Pass allerdings ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist schwer, nach dem Anschauen mit derselben Unbekümmertheit auf das Dokument zu blicken, das die meisten Deutschen wie selbstverständlich mit sich herumtragen. Und das wiederum ist ein Gütesiegel für diesen nachdenklich stimmenden "Tatort".

Quelle: ntv.de

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