Panorama

Wie gut ist die Ausbildung? Wenn Polizeihunde zur Gefahr werden

Bei Polizei, Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll in Deutschland arbeiten rund 3500 Diensthunde.

Bei Polizei, Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll in Deutschland arbeiten rund 3500 Diensthunde.

(Foto: picture alliance/dpa)

Polizeihunde können gefährlich sein: Schutzhunde werden darauf trainiert, bei Angriffen zuzubeißen. Doch immer wieder verletzen sie Unbeteiligte. Sind die Tiere schlecht ausgebildet - oder haben die Polizisten sie nicht im Griff?

Ein Polizist hebt seinen Diensthund hoch, greift ihn am Hals und drückt seine Schnauze gegen einen Demonstranten und die Leitplanke. Er ruft "Fass!" und drängt den Mann von der Straße ab. Ein zweiter Polizeihund im Hintergrund beißt einen Polizisten in den Arm.

Diese Szene spielt sich Anfang des Jahres bei Protesten gegen den AfD-Parteitag in Riesa ab. Ein Video belegt den zweifelhaften Polizeieinsatz. Und regt viele Menschen auf - auch Hundetrainer Martin Rütter. Er ist schockiert von den Aufnahmen. Die Hunde würden schlecht behandelt und seien nicht gehorsam, wirft er der Polizei in einem Video auf Instagram vor. "Wir sehen einen Menschen, der Nullkommanull in der Lage ist, einen Hund zu händeln. Der Hund im Vordergrund ist schlecht ausgebildet."

Die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt inzwischen gegen den sächsischen Polizisten. Aber der Vorfall in Riesa ist nicht der einzige, bei dem aggressive Polizeihunde nicht das tun, was sie tun sollen - oder unbeteiligte Menschen beißen.

Polizeihund skalpiert Frau

In Hattingen in Nordrhein-Westfalen hat ein Polizeihund 2023 eine ältere Frau auf einem Parkplatz gebissen, als sie an ihrem Auto stand. Erst am Arm, dann riss der Schäferhund ihr die Kopfhaut ab. Der Polizist hatte vorher kein Kommando gegeben, er hatte die Frau nicht einmal bemerkt, wie er später vor Gericht ausgesagt hat. Im Prozess hieß es zudem, der Hund habe sich schon vor dem Angriff aggressiv verhalten, der Polizist habe aber nichts unternommen. Wahrscheinlich habe das Tier eine Armbewegung der Frau als Angriff missverstanden.

Die Frau musste mehrmals operiert werden. Ein Gericht verurteilte den Polizisten wegen fahrlässiger Körperverletzung. Er arbeitet inzwischen nicht mehr als Hundeführer. Auch der Schäferhund ist nicht mehr im Polizeidienst.

Ein Vorfall auf einer Hochzeit in Rheinland-Pfalz ist glimpflicher ausgegangen. Dort hatte ein Polizei-Schäferhund vergangenes Jahr ein zwei Monate altes Baby verletzt. Der Diensthundeführer war in der Freizeit als Gast bei der Trauung. Die Mutter war mit dem kleinen Mädchen auf ihrem Arm an dem Hund vorbeigelaufen, als dieser plötzlich zuschnappte. Das Baby hatte oberflächliche Bisswunden. Vermutlich war der Hund mit dem lauten Jubel und Klatschen der Hochzeitsgesellschaft überfordert. Die rheinland-pfälzische Landesregierung kündigte an, die Ausbildung von Polizisten und Diensthunden überprüfen zu wollen.

"Ausbildern fehlt Fachwissen"

Warum beißen Polizeihunde einfach zu, auch wenn sie keinen Befehl dazu bekommen haben? Sind sie schlecht ausgebildet - oder gar nicht geeignet für den Polizeidienst? Oder sind die Diensthundeführer schuld? Ronja Knapp ist Hundetrainerin in Lübeck. Sie sagt im ntv-Podcast "Wieder was gelernt", es könne immer zu unschönen Vorfällen kommen - denn dafür seien die Hunde ausgebildet. Schwächen sieht sie vor allem bei den Ausbildern der Diensthundeführer. "Sie haben einen beschränkten Werkzeugkasten. Ihnen fehlt das halbe Fachwissen, um den Hund vernünftig auszubilden. Was soll dann beim Diensthundeführer ankommen?"

Ronja Knapp trainiert momentan fünf Diensthundeführer mit ihren Hunden.

Ronja Knapp trainiert momentan fünf Diensthundeführer mit ihren Hunden.

(Foto: Lina Scheel)

Insgesamt gibt es etwa 3500 Diensthunde in Deutschland - bei Polizei, Bundespolizei, Bundeswehr und Zoll. Die Diensthunde der Polizei werden in Ausbildungszentren vom Bund und den Bundesländern ausgebildet. Es gibt Schutzhunde und Spürhunde: Schutzhunde gehen auf Streife - oder verfolgen Straftäter. Sie lernen, auf Kommando zuzubeißen. Spürhunde sollen verschiedenste Dinge "erschnüffeln" - wie Rauschgift, Sprengstoff, Datenträger, Geld, Brandmittel oder Leichen.

Die Ausbildung für Schutz- und Spürhunde läuft in jedem Bundesland anders ab. Die Hundeführer begleiten ihre Vierbeiner bei der Ausbildung. Voraussetzung ist, dass sie selbst eine Polizei-Ausbildung und einen Eignungstest bestanden haben.

Die Bindung zwischen Hund und Hundeführern ist eng: Polizeihunde leben heute meist bei den Polizisten zu Hause, sind also gleichzeitig Familien- und Arbeitshund. Das macht die Ausbildung sehr komplex, sagt Hundetrainerin Knapp. "Für diesen anspruchsvollen Spagat braucht man viel Fachwissen. Nicht nur, was 'Sitz' und 'Platz' angeht. Sondern auch darüber, wie der Hund funktioniert; wann ich ihn fördern muss."

"Als Schutzhund nicht zu gebrauchen"

Die Polizeihunde auf dem Parkplatz in Nordrhein-Westfalen und der Hochzeit in Rheinland-Pfalz wirken alles andere als gut trainiert für Ausnahmesituationen mit vielen Menschen.

Auch der Einsatz bei der Demonstration in Riesa schockiert nicht nur unbeteiligte Passanten und Zivilisten: Der MDR hat anonym mit einem anderen Diensthundeführer gesprochen, der das Ganze so bewertet: "Meines Erachtens ist der Diensthundeführer nicht fähig und müsste als Diensthundeführer entlassen werden", sagt der Kollege. Ihm fällt außerdem auf, dass der Diensthund verwirrt wirkt: Er weiß ihm zufolge gar nicht, was er machen soll. Es sei weder Wehr- noch Kampftrieb zu erkennen, was wahrscheinlich bedeutet: Dieser Hund ist als Schutzhund nicht zu gebrauchen oder nicht richtig ausgebildet.

Die Bereitschaftspolizei Sachsen widerspricht: Sie sagt, Hund und Hundeführer lebten und arbeiteten schon seit 2020 zusammen und hätten zuletzt vor gut einem Jahr den aktuellen Eignungstest bestanden.

Doch das Video vom Einsatz lässt an diesen Angaben zweifeln. Denn im Hintergrund fällt auch ein zweiter Diensthund mit gefährlichem Verhalten auf: Er beißt sein eigenes Herrchen in den Arm. Das würde einem gut ausgebildeten Diensthund vermutlich nicht passieren.

Hunde werden privat ausfällig

Die Polizei führt keine öffentlich einsehbare Statistik darüber, wie oft Polizeihunde in Deutschland zubeißen. Nur einzelne Fälle werden bekannt, wie die Attacke auf die ältere Frau in Hattingen.

Erfasst werden nur die Todeszahlen durch alle Hunde: 2023 sind drei Menschen durch Hundebisse gestorben, 2022 waren es vier, 2021 fünf. Zu Hause ist das Risiko, gebissen zu werden, größer als auf der Straße: die meisten Bisse stammen von einem bekannten Hund oder dem Familienhund, so das Statistische Bundesamt.

Auch Hundetrainerin Knapp beobachtet, dass Polizeihunde eher dann auffällig werden, wenn sie gar nicht im Dienst sind - so wie bei den Vorfällen in NRW und Rheinland-Pfalz. "Diensthundeführer kommen oft zu mir, weil ihre Hunde nicht alltagstauglich sind. Sie pöbeln privat andere Hunde an, jagen Autos oder haben Angst vor glatten Untergründen. Bei der Arbeit können sie das meistens sehr gut kanalisieren, weil das triebige Hunde sind."

Knapp fordert deshalb eine Standardisierung der Polizeihundeausbildung - und mehr Fachwissen bei den Ausbildern durch externe Schulungen. "In einigen Bundesländern machen die Ausbilder ihren Job schon seit 20 Jahren, ohne Feedback zu bekommen."

Stachelhalsbänder verboten

Die Polizeihundeausbildung wurde vor einigen Jahren modernisiert. Seit Anfang 2022 gilt eine neue Tierschutz-Hundeverordnung. Darin steht: "Es ist verboten, bei der Ausbildung, bei der Erziehung oder beim Training von Hunden Stachelhalsbänder oder andere für die Hunde schmerzhafte Mittel zu verwenden."

Mehrere Landespolizeien haben sich gegen die Neuregelung gewehrt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP), die Polizei Niedersachsen, die Berliner und die Brandenburger Polizei hatten Sonderregelungen gefordert. Sie sagen: ohne Zwangsmaßnahmen wie Würgehalsbänder kann man Schutzhunde nicht trainieren; ohne sie lassen sie ihre Beute nicht los.

Auch Knapp sagt im "Wieder was gelernt"-Podcast: Nicht alle Regeln der neuen Tierschutzhundeverordnung ergeben im Alltag Sinn. Hunden müsse man Grenzen setzen, beispielsweise, wenn sie andere Hunde oder Menschen verletzen. Das mit positiven Methoden wie dem Clicker lösen zu wollen, sei "lächerlich". Den Hund am Stachelhalsband über einen Hundeplatz zu schleifen oder ihn zu treten sei aber auch keine Lösung.

Sind Polizeihunde noch zeitgemäß? Die Tierschutzorganisation Peta fordert, Diensthunde zu verbieten. Auch wegen des Vorfalls in Riesa. Bei Einsätzen würden immer wieder Hunde verletzt und teils lebensbedrohlichen Situationen ausgesetzt. Die Tiere seien gestresst und könnten daher versehentlich auch Unbeteiligte angreifen.

Die Polizei findet Schutzhunde bei Demonstrationen trotzdem nach wie vor sinnvoll. Sie sagt, dass sie die Beamten, aber auch die Bevölkerung schützen. Über Vorfälle wie in Riesa möchte die Polizei aber nicht sprechen. Jedenfalls nicht öffentlich.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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