Mehr als sechs Fraktionen Bundestag war zur Adenauer-Zeit bunter
24.09.2017, 06:56 Uhr
Konrad Adenauer wird am 20. September 1949 durch Bundestagspräsident Erich Köhler als erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland vereidigt.
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Vier Fraktionen sind derzeit im Bundestag. Nach Lage der Dinge kommen nach der Wahl FDP und AfD dazu. Nur die Älteren erinnern sich noch daran, dass es in den ersten Jahren der Bundesrepublik noch mehr Parteien im Parlament gab.
Die Wahl zum 19. Deutschen Bundestag wird diesmal zu einer großen Herausforderung für die Verwaltung des hohen Hauses. Seit Monaten signalisieren Umfragen, dass sich die Zusammensetzung des Parlaments dramatisch ändern wird. Zu den bislang vier existierenden Fraktionen (CDU/CSU, SPD, Linke und Grüne) werden zwei weitere (FDP und AfD) hinzukommen. Der Bundestag wird so bunt wie seit den 1950er-Jahren nicht mehr. Großes Stühlerücken ist angesagt, dazu kommt noch die Bereitstellung von Räumlichkeiten für die Abgeordneten der beiden hinzukommenden Fraktionen.

"Wählt Warta-Seife für Sauberkeit" ist 1949 nicht der Wahlslogan einer "Saubermann-Partei", sondern die Werbeidee eines findigen Seifenherstellers, der in Düsseldorf die Plakate mit der Werbung für sein Produkt zwischen die Wahlplakate der Parteien kleben ließ.
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Der wahrscheinliche Einzug der rechten AfD in den Bundestag vergrößert dessen politische Vielfalt. Allerdings waren in den ersten Jahren der Bundesrepublik mehr Fraktionen im Parlament. Nach der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 zogen neun Parteien in das Bonner Parlament ein - neben CDU/CSU, SPD und FDP auch die KPD, die Bayernpartei, die Deutsche Partei (DP) mit dem Gesamtdeutschen Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, die Deutsche Zentrumspartei, die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung sowie die Deutsche Konservative Partei - Deutsche Rechtspartei. Drei Fraktionen unterstützten die Regierung von Bundeskanzler Konrad Adenauer: Union (31,0 Prozent), FDP (11,9) und DP (4,0). Der damals bereits 73 Jahre alte Adenauer wurde mit nur einer Stimme Mehrheit zum Regierungschef gewählt.
Die Vielfalt im ersten Deutschen Bundestag hatte auch einen Grund: Gemäß des damaligen Wahlgesetzes wurden die Mandate auf Länderebene verteilt. Eine Zweitstimme gab es bei dieser Wahl noch nicht. Die Fünf-Prozent-Hürde galt nur landesweit. Um in den Bundestag einzuziehen, brauchte eine Partei nur in einem Bundesland fünf Prozent der Stimmen zu erzielen oder einen Wahlkreis direkt zu gewinnen, was die Wirkung der Sperrklausel einschränkte. Allerdings erhielten Parteien, die bundesweit über fünf Prozent lagen, keine Sitze aus den Bundesländern, in denen sie weder fünf Prozent noch ein Direktmandat bekamen.
Ab 1953 bundesweite Fünf-Prozent-Hürde

Bundestagspräsident Hermann Ehlers (links) vereidigt am 20. Oktober 1953 Finanzminister Fritz Schäffer.
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Anders war die Situation bei der Wahl zum zweiten Deutschen Bundestag am 6. September 1953. Jetzt galt die Fünf-Prozent-Hürde bundesweit. Nach der Grundmandatsklausel, wie sie 1953 galt, musste eine Partei mindestens einen Wahlkreis direkt gewinnen, um nicht der Fünf-Prozent-Regelung zu unterliegen. Zudem wurde die Zweitstimme eingeführt. Nur noch sechs Parteien zogen in den Bundestag ein. Kanzler Adenauer brauchte für die Mehrheit der Sitze eigentlich nur einen Koalitionspartner. Der CDU-Vorsitzende setzte dennoch die Koalition mit FDP und DP - die nur aufgrund von Wahlabsprachen mit der Union in den Bundestag gelangte - fort. Er erweiterte das Regierungsbündnis sogar noch um den diesmal eigenständig angetretenen Gesamtdeutschen Block/Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, der auf 5,9 Prozent der abgegebenen Stimmen kam. Damit verfügte die Bundesregierung über eine Zwei-Drittel-Mehrheit.
Nach der Bundestagswahl 1957 verringerte sich die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien auf fünf. Die KPD trat nicht mehr an - sie war 1956 verboten worden. Die DP, die mit 3,4 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde klar verfehlte, schaffte dennoch den Einzug in den Bundestag. Grund war der Verzicht der CDU auf die Aufstellung von Direktkandidaten in einigen Wahlkreisen, sodass die DP durch das sogenannte Huckepackverfahren in den Bundestag einziehen konnte. Die Einigung mit der CDU hatte einen für die DP triftigen Grund: Um in das Bundesparlament zu kommen, war im Fall des Verfehlens der Fünf-Prozent-Hürde jetzt der Gewinn von mindestens drei Wahlkreisen nötig. Die DP holte 1957 sechs. Der Union tat der Verzicht nicht sonderlich weh. Sie schaffte mit 50,2 Prozent die absolute Mehrheit, Adenauer verzichtete dann auch auf Koalitionspartner.
Drei-Parteien-Parlament mit FDP als Zünglein an der Waage
Nach der Wahl 1961 bestand der Bundestag erstmals nur noch aus den Fraktionen von CDU/CSU, SPD und FDP. Bis 1983 existierte das Drei-Fraktionen-Parlament, das von vielen bis heute als Normalfall angesehen wird. Die Liberalen entwickelten sich zum Zünglein an der Waage und hatten im Verhältnis zu ihrem Stimmen- und Sitzanteil eine große Macht. Die FDP setzte durch, dass Adenauer nur noch bis 1963 im Bonner Palais Schaumburg bleiben durfte, um dann seinem ungeliebten Nachfolger Ludwig Erhard Platz zu machen. Der Vater des deutschen Wirtschaftswunders amtierte nur drei Jahre, weil die nach der Bundestagswahl 1965 gebildete schwarz-gelbe Koalition zerbrach. Der CDU-Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger bildete eine Regierung mit der SPD - die erste Große Koalition. Union und SPD hatten im fünften Deutschen Bundestag zusammen 468 Sitze, die oppositionelle FDP 50.
Die dritte politische Kraft FDP war es auch, die nach der Bundestagswahl 1969 dafür sorgte, dass die SPD erstmals mit Willy Brandt den Bundeskanzler stellte. 13 Jahre lang reagierte die sozialliberale Koalition die Bundesrepublik, dann wechselten die Liberalen wieder zur Union.
Erst kommen die Grünen, dann die SED-Nachfolger

Die Grünen sind 1983 da: Joschka Fischer hält eine seiner ersten Reden. Später führt er die Fraktion.
Die parlamentarische Macht der FDP begann sich 1983 mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag allmählich zu verringern. Mit der Ökopartei gelangte erstmals seit 30 Jahren wieder eine neue politische Kraft ins Parlament. Als Koalitionspartner auf Bundesebene kamen die Grünen für die SPD zunächst noch nicht in Frage. Helmut Kohls christlich-liberale Koalition wurde 1987, 1990 und 1994 bestätigt.
Bunter wurde es im Bundestag nach der ersten gesamtdeutschen Wahl am 2. Dezember 1990. Die gesetzliche Mitgliederzahl des Parlaments wurde auf 656 Abgeordnete erhöht. Bei dieser Wahl bildeten die alten Bundesländer und West-Berlin sowie die neuen Bundesländer getrennte Wahlgebiete, in denen jeweils die Fünf-Prozent-Hürde galt. Die West-Grünen erreichten nur 4,8 Prozent und flogen damit aus dem Bundestag. In Ostdeutschland gelang der Listenverbindung Bündnis 90 mit 5,1 Prozent dagegen der Einzug ins Parlament.
Nur zwei PDSlerinnen, FDP-Rauswurf
Nutznießerin der Wahlgebiets-Regelung war auch die SED-Nachfolgepartei PDS, die im Osten auf 11,1 Prozent kam und mit 17 Abgeordneten - wie auch Bündnis 90 - eine Bundestagsgruppe bildete. Im Westen erreichte die PDS lediglich 0,3 Prozent.

Neues Gesicht im Bundestag nach der Wahl 1990: PDS-Gruppenchef Gregor Gysi spricht, Bundeskanzler Helmut Kohl reagiert auf die Rede auf die ihm eigene Weise.
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Nach der Wahl 1994 stellte die PDS erneut eine Gruppe, diesmal aufgrund der Grundmandatsklausel, weil sie mit gesamtdeutsch 4,4 Prozent die Fünf-Prozent-Hürde zuvor verfehlte, aber in Berlin vier Direktmandate gewann. Die Grünen, die sich 1993 mit Bündnis 90 vereinigt hatten, kehrten in Fraktionsstärke in den Bundestag zurück.
Bei der Bundestagswahl 2002, bei der die rot-grüne Bundesregierung von Gerhard Schröder bestätigt wurde, kam die PDS nur auf 4,0 Prozent der abgegebenen Stimmen und holte lediglich zwei Direktmandate. Dadurch verlor sie den Gruppenstatus und war nur durch Petra Pau und Gesine Lötzsch, die ihre Berliner Wahlkreise gewonnen hatten, im Bundestag vertreten. Im Parlament waren damit mit CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP lediglich vier Fraktionen. Bei der Wahl 2005 erlangte die PDS, die dann später in "Die Linke" umbenannt wurde, wieder Fraktionsstatus.
Nun steht der Bundestag, in dem seit 2013 durch die Rauswurf der FDP erneut nur vier Fraktionen sind, wohl wieder vor einer größeren Veränderung. Sie ist Ausdruck einer größer gewordenen Dynamik in der deutschen Politik. Zudem gleicht sich Deutschland damit nur der europäischen Normalität an.
Quelle: ntv.de