"Boots on the ground" Das Bodentruppen-Dilemma
18.11.2015, 15:08 Uhr
US-Soldaten 2004 im Irak.
(Foto: AP)
Luftangriffe können den Islamischen Staat zurückdrängen, aber nicht ausschalten. Das könnten nur Bodentruppen. In den USA fordern Politiker und Thinktanks daher, Soldaten gegen die Terrormiliz einzusetzen.
Bei jedem, der sich einen schnellen Sieg über die Terrormiliz Islamischer Staat wünscht, löst die Luftkriegsstrategie der Franzosen und Amerikaner Unwillen aus – die Angriffe dauern nun schon mehr als ein Jahr an, aber den IS gibt es noch immer. "Warum können wir die Schweine nicht einfach vernichten?", fragte ein CNN-Journalist den US-Präsidenten unlängst beim G20-Gipfel in der Türkei. Die USA hätten doch schließlich die beste Armee der Welt.
Barack Obamas Antwort bündelt alle Argumente, die gegen Bodentruppen sprechen. Beim IS, sagte er, handele es sich nun einmal nicht um einen normalen militärischen Gegner. "Wir können Territorium zurückerobern. Und solange wir unsere Truppen dort lassen, können wir es halten. Aber das löst nicht das grundlegende Problem, wie man die Kräfte zerstört, die gewaltsame Extremistengruppen produzieren." Zugleich machte Obama klar, dass es auch innenpolitische Gründe für seine Wahl der Mittel gibt. "Wenn wir Soldaten reinschicken, dann werden sie verletzt, dann werden sie getötet, dann sind sie nicht bei ihren Familien, dann gibt unser Land hunderte Milliarden Dollar aus."
Für Obama sind Luftangriffe die einzige Strategie im militärischen Kampf gegen den IS: Größere Kontingente von US-Bodentruppen werde es im Irak und in Syrien nicht geben, wiederholte er in der Türkei. Bislang ist nicht bekannt, dass Frankreichs Präsident François Hollande dies anders sieht.
IS hat ein Viertel seines Territoriums verloren
I n den USA halten viele Republikaner und konservative Militärexperten die Luftangriffe für zu wenig. Die Präsidentschaftskandidaten Jeb Bush und Ben Carson etwa fordern "boots on the ground", also US-Soldaten am Boden, um gegen den IS zu kämpfen. Auch das Institute for the Study of War rät, zumindest im Irak wieder amerikanische Bodentruppen einzusetzen. Dabei sind die internationalen Luftangriffe auf den Islamischen Staat für eine Strategie, die angeblich nicht oder nur schlecht funktioniert, relativ erfolgreich. Kurdische und jesidische Einheiten sowie die irakische Armee haben mit Unterstützung der US-Luftwaffe Kobane, Sindschar, Tikrit und die Öl-Stadt Baidschi zurückerobert. Auch an anderen Stellen mussten die Dschihadisten zurückweichen. Daveed Gartenstein-Ross von der Washingtoner Foundation for Defense of Democracies sagt, der IS habe in den zurückliegenden Monaten ein Viertel seines Territoriums verloren – ein deutlicher Unterschied zur Situation vor einem Jahr, als Experten noch über eine Eroberung von Bagdad durch den IS spekulierten.
Angesichts der komplizierten geostrategischen Verhältnisse in der Region ist es für Obama schon ein Erfolg, dass es überhaupt eine Anti-IS-Koalition gibt. Saudi-Arabien und die Golf-Staaten interessieren sich derzeit mehr dafür, die schiitischen Milizen im Jemen zu bekämpfen. Die Türkei, immerhin Nato-Mitglied, hat den USA lange nicht einmal gestattet, ihre Flughäfen für die Luftschläge in Syrien zu benutzen. Mittlerweile ist die Türkei der Koalition beigetreten, allerdings attackiert ihre Luftwaffe unter dem Dach der Angriffe auf die Islamisten vor allem Stellungen der türkischen Terrorgruppe PKK im Irak – deren dortige Verbündete ein wichtiger Partner der USA sind. Ähnlich macht es Russland, das eine eigene Koalition in Syrien führt: Nach westlichen Angaben richtet sich bislang nur ein kleiner Teil der russischen Luftangriffe gegen IS-Ziele.
Das könnte sich ändern, nachdem Russland den Absturz der russischen Passagiermaschine über dem Sinai mit 224 Toten mittlerweile offiziell als Anschlag einstuft. Zusammen könnten die Attentate über dem Sinai und von Paris der "game changer" für den syrischen Bürgerkrieg sein: Hollande will Obama und den russischen Präsidenten Wladimir Putin überzeugen, eine gemeinsame Anti-IS-Koalition zu bilden. Bei den wahlkämpfenden Republikanern in den USA dürfte das auf kategorische Ablehnung stoßen; das Institute for the Study of War formuliert als ein Kriegsziel, die Russen aus Syrien zu drängen. Putin ist da deutlich flexibler: Er wies den Kapitän des vor Syrien liegenden russischen Kreuzers "Moskwa" an, mit dem Befehlshaber des französischen Flugzeugträgers "Charles de Gaulle", die derzeit auf dem Weg ins östliche Mittelmeer ist, "wie mit einem Verbündeten" zusammenzuarbeiten.
"Es ist ihr Problem"
Aber selbst wenn Hollande es schafft, eine große Anti-IS-Koalition zu zimmern, ist die Frage nach Bodentruppen noch nicht beantwortet: Trotz der erwähnten Erfolge und obwohl die US-geführte Anti-IS-Koalition in den vergangenen 18 Monaten rund 8000 Luftangriffe geflogen hat, sieht es nicht aus, als sei eine Niederlage der Terrormiliz in greifbare Nähe gerückt. Das liegt vor allem daran, dass es – abgesehen von den kurdischen Einheiten – in Syrien und im Irak nicht genug Bodentruppen gibt, die massiv gegen den Islamischen Staat vorgehen. Sind amerikanische Soldaten dann nicht doch ein sinnvoller Weg? "Da käme sofort die Propagandamühle von den Kreuzrittern wieder ins Gerede. Das dürfen wir den Leuten des IS nicht bieten", sagte der ehemalige Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, General a.D. Klaus Naumann, im Deutschlandfunk. "Die Bodentruppen müssen die Menschen in der Region stellen. Es ist ihr Problem", sagt Naumann. "Wir können ihnen militärisch helfen, mit Luftangriffen, mit Bewaffnungshilfe, was wir zum Teil ja tun." Auch Deutschland könnte mehr tun. Aber Truppen? Nein.
Ohne Einigung zwischen Russland und den USA, vor allem aber zwischen den Regionalmächten Iran und Saudi-Arabien, wird der Bürgerkrieg, der ja längst ein Stellvertreterkrieg geworden ist, nicht zu Ende gehen; und ohne ein Ende des Bürgerkriegs wird es keinen Sieg über den Islamischen Staat geben. Genau darüber dürften Obama und Putin bei ihrem Treffen in der Türkei gesprochen haben. Allerdings repräsentieren die beiden von ihnen geführten Koalitionen die Spaltung der islamischen Welt. Die US-Alliierten sind überwiegend sunnitische Staaten, die russischen Verbündeten sind das alawitische Assad-Regime und der schiitische Iran. Bislang ist unvorstellbar, dass sunnitische und schiitische Truppen zugleich in Syrien für Frieden sorgen.
Aber es ist ja noch komplizierter: Bodentruppen im Irak und in Syrien werden die IS-Ableger in Nordafrika, dem Nahen Osten und auf der Arabischen Halbinsel nicht zerstören. Militärisch allein, so viel ist sicher, ist der IS nicht zu besiegen.
Quelle: ntv.de