Geld für Ahrtal-Hilfen gefunden Eine Kuh ist vom Eis, doch der Haushalt wackelt noch


Eis vor dem Kanzleramt: Noch könnte sich die Koalition auf dem Weg zum Haushalt 2024 hinlegen.
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Bis Anfang Februar soll endlich der Bundeshaushalt für das laufende Jahr stehen. Ob das vorgeschlagene Paket der Bundesregierung rechtmäßig ist, ist umstritten. Bei den strittigen Ahrtal-Hilfen ist zwar eine Lösung gefunden. Doch Experten melden weitere Zweifel an. Die Union droht mit Klage.
Auf dem Weg zum überfälligen Bundeshaushalt 2024 ist eine dicke Kuh vom Eis: Der Bund kann anders als bislang geplant die Hilfsmittel gegen die Folgen der Ahrtalflut doch aus dem Kernhaushalt finanzieren und muss keine Kredite unter Aussetzung der Schuldenbremse aufnehmen. "Nach der abschließenden Rechnung des Bundesfinanzministeriums ist ein Notlagenbeschluss fürs Ahrtal nicht notwendig. Die Fluthilfen können regulär aus dem Bundeshaushalt finanziert werden", sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr der Nachrichtenagentur dpa. Die dpa hatte aus dem von FDP-Chef Christian Lindner geführten Ministerium erfahren, dass im Bundeshaushalt des vergangenen Jahres ein einstelliger Milliardenbetrag ungenutzt geblieben ist. Dieses übrige Geld kann nun für die Flutfolgen-Bekämpfung genutzt werden.
"Ein Aussetzen der Schuldenbremse ließe sich nur rechtfertigen, wenn der Staat in einer Notsituation akut überfordert ist. Das ist aber - zum Glück - nicht der Fall", sagte Dürr. "Als FDP-Fraktion hätten wir ohnehin große rechtliche Bedenken, für diesen vergleichsweise kleinen Betrag zusätzliche Schulden aufzunehmen. Aus meiner Sicht ist damit ein Aussetzen der Schuldenbremse für dieses Jahr vom Tisch."
Eine Frage der Erheblichkeit
Tatsächlich hatten während einer Sachverständigenanhörung des Haushaltsausschusses an diesem Donnerstag gleich mehrere Experten Zweifel am geplanten Vorgehen angemeldet. "Wir sprechen hier von 0,6 Prozent des Bundeshaushaltes", sagte der Professor für Öffentliches Recht, Gregor Kirchhof, über die geplanten Ahrtal-Kredite in Höhe von 2,7 Milliarden Euro. Eine so kleine Summe stelle keine so "erhebliche Beeinträchtigung" der Staatsfinanzen dar, als dass sie eine Aussetzung der Schuldenbremse rechtfertige. Auch Volkswirtschaftsprofessor Thiess Büttner und der Ökonomieprofessor Fritz Söllner hielten diesen Weg der Nothilfefinanzierung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November für nicht rechtens.
Dagegen hatte Armin Steinbach, ebenfalls Professor für Öffentliches Recht, in seinem Gutachten argumentiert, dass nur zehn Prozent des Haushalts nicht gebundene Mittel seien und 2,7 Milliarden Euro sehr wohl einen erheblichen Anteil an den disponiblen Mitteln des Bundes ausmachten. Auch der Staatsrechtler Alexander Theile sah eine erhebliche Belastung gegeben und verwies darauf, dass Grundlage aller Abwägungen die insgesamt aufzubringende Summe zur Bewältigung einer Notlage sein sollte - im Fall der Ahrtal-Hilfen 16 Milliarden Euro. Zu einem ähnlichen Schluss kam Joachim Wieland von der Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer.
Geklärt wird dieser Konflikt nun nicht mehr, zumindest nicht durch das Bundesverfassungsgericht, nach dessen Urteil zur Einhaltung der Schuldenbremse allerlei widerstreitende Deutungen zu den Folgen des Verdikts für 29 weiter bestehende Sondervermögen kursieren. Wenn die Ahrtalhilfen nun aus dem Kernhaushalt finanziert werden, kann auch niemand gegen die ursprünglich geplanten Notlagenkredite klagen.
Allerlei Fragen offen
Auch wenn mit den Ahrtal-Hilfen ein Unsicherheitsfaktor geklärt ist, bleibt der Haushalt, wie ihn das Kabinett am Montag beschlossen hat, umstritten. Kritik gibt es unter anderem am Umgang mit dem Bundeswehrsondervermögen, an der Rückführung von Mitteln der Bundesagentur für Arbeit (BA) an den Bund sowie an der Frage, ob die Finanzierung von Ukraine-Hilfen doch noch eine Notlagenerklärung rechtfertigen könnte. Kommende Woche ist die finale Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses geplant. Bis Anfang Februar könnte der Haushalt in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden.
Die Bundesregierung will von der BA nicht aufgebrauchte Zuschüsse aus den Corona-Hilfen in den Haushalt rücküberführen. Hier würden "wichtige institutionelle Grenzen zwischen Sozialversicherungen und Bundeshaushalt aufgebrochen", warnte Volkswirtschaftler Büttner vor dem Haushaltsausschuss. Auch Fritz Söllner warnte, dass der Bund aus gutem Grund nicht einfach in die Kassen der Sozialversicherungen greifen dürfe, die vor allem aus zweckgebundenen Mitteln der Beitragszahler gefüllt werden.
Ferner würden mit diesem Vorgehen erneut Corona-Kredite nachträglich einem anderen Zweck zugeführt - was das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf den Klima- und Transformationsfonds gerade erst für nicht rechtens erklärt hatte, sagte Büttner. "Ich halte das für außerordentlich problematisch." Früher am Tag hatte Mathias Middelberg, Vizefraktionschef von CDU/CSU, deshalb mit einer Klage gedroht: "Es ist sehr zweifelhaft, ob die Rückforderung von Zuschüssen an die Bundesagentur für Arbeit rechtlich möglich ist und ob diese Mittel in der geplanten Weise zweckwidrig verwendet werden dürfen", sagte Middelberg den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Umstrittene Finanzierung der Ukraine-Hilfen
Umstritten ist auch, dass die Bundeswehr nun Ersatz für an die Ukraine abgegebenes Militärgerät aus dem 2022 geschaffenen Sondervermögen bestreiten soll. Diese Sonderschulden seien explizit aufgesetzt worden, um 2022 bestehende Fähigkeitslücken mit Blick auf die Bedrohung durch Russland zu schließen, sagte der Rechtswissenschaftler Christian Waldhoff vor dem Haushaltsausschuss. "Es geht also um neue Ausrüstung, vor allem um Großprojekte, und nicht um Ersatzbeschaffung", sagte Waldhoff. Er halte das geplante Vorgehen daher "nicht für rechtmäßig". Die Union ist schon länger unzufrieden über den Umgang der Bundesregierung mit dem Sondervermögen, unter anderem auch weil diese die Zinsen für den 100 Millionen Euro schweren Kredit aus dem Sondervermögen selbst bedient, wodurch die der Bundeswehr netto zur Verfügung stehende Summe noch einmal schrumpft.
Auffällig war in der Ausschussanhörung der Schwerpunkt vieler Abgeordneter von SPD und Grünen, die die Experten nach den Voraussetzungen fragten, um im laufenden Jahr doch noch einen Notlage-Kredit zur Finanzierung weiterer Ukraine-Hilfen aufnehmen zu können. "Es ist jederzeit denkbar, dass im Jahr 2024 eine solche Situation eintritt, die einen solchen Beschluss rechtfertigt", sagte der von der SPD geladene Sachverständige Thiele. Der von den Grünen geladene Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik erläuterte, dass die Bundesrepublik sehr schnell in die Situation kommen könne, die Ukraine bei der Luftverteidigung, aber auch bei der Belieferung mit Artillerie deutlich umfangreicher als bisher unterstützen zu müssen. Abgeordnete wie Experten hatten dabei insbesondere das Szenario eines Wahlsiegs von Donald Trump, aber auch ein Nachlassen der Hilfen anderer westlicher Staaten im Blick.
Staatsrechtler Steinbach, ebenfalls von der SPD eingeladen, sagte, er habe "allerdings ein Problem mit diesem politischen Herumlavieren, dass man vielleicht die Notlage erklären wird". Das widerstrebe dem Geist der "Notsituationsvorschrift", wonach die Aussetzung der Schuldenbremse eine Reaktion auf unvorhersehbare oder plötzlich auftretende Notlagen sei. Die Ampelparteien hatten sich in ihrem Haushaltskompromiss vor Weihnachten darauf verständigt, für Ukraine-Hilfen notfalls die Schuldenbremse erneut auszusetzen. Die Bereitschaft hierzu ist bei SPD und Grünen jedoch deutlich stärker ausgeprägt als beim Koalitionspartner FDP.
Quelle: ntv.de, mit dpa