Parteien streiten über Türkei Erdogan, Platz 151 und die giftige Zitierrunde
27.04.2016, 18:48 Uhr
Umstritten, vor allem wegen seinem Umgang mit der Meinungsfreiheit: der türkische Präsident Erdogan.
(Foto: dpa)
Der türkische Präsident Erdogan lässt die deutsche Politik nicht los. Bei einer aktuellen Stunde im Bundestag zeigt sich: Alle Parteien kritisieren die Einschränkung der Pressefreiheit in der Türkei, Streit gibt es trotzdem.
Erika Steinbach fühlt sich ganz "beklommen". Dass die Türkei in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 151 steht, sei blamabel, sagt die CDU-Politikerin. Dann nennt sie nochmal die vielen Namen von Journalisten, die zuletzt mit der Auslegung der Meinungsfreiheit des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Bekanntschaft machen durften. Die Fälle reihten sich "wie eine Perlenkette aneinander". Richtige Sätze, wären sie nur nicht schon so häufig angesprochen worden. Längst ist alles gesagt. Steinbach ist die zwölfte und letzte Rednerin in der Aktuellen Stunde, die die Grünen beantragt haben.
Thema im Bundestag ist der Umgang mit Presse- und Meinungsfreiheit in Türkei. Fruchtbar ist die Debatte nicht. Recep Erdogan beschäftigt die deutsche Politik seit Wochen – und er wird es wohl auch weiter tun. Die vier Fraktionen im Bundestag liegen in ihrer Einschätzung der Situation gar nicht so weit auseinander. Sie alle sehen die Entwicklungen in dem Partnerland kritisch und verurteilen, dass immer mehr ausländische Journalisten an ihrer Arbeit behindert wurden. Nuancen lassen die Parteien in den 60 Minuten trotzdem heftig aneinander geraten.
Den Anfang macht Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. In der Rangliste der Pressefreiheit stehe die Türkei auf Platz 151 und damit hinter Ländern wie Zimbabwe, Bangladesch oder Äthiopien, "das kann uns nicht egal sein". Die Grüne kritisiert, die Bundesregierung setze sich nicht genug für europäische Werte ein. In Anspielung auf den türkisch-europäischen Flüchtlingsdeal sagt Göring-Eckardt, sie habe das Gefühl, dass die Frage der Meinungsfreiheit "mitverdealt" werde.
"Die Erpressungen müssen aufhören"
Noch etwas schärfer ist die Kritik der Linken. Erdogan nutze seine Schlüsselstellung und erpresse Europa, sagt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, der ebenfalls nicht versäumt, auf Platz 151 hinzuweisen. Er macht den Anfang einer giftigen Zitierrunde. In Anlehnung an den russischen Schriftsteller Maxim Gorky zitiert er, die Abschaffung der Pressefreiheit sei eine physische Vergewaltigung und einer Demokratie unwürdig. "Die Erpressungen müssen aufhören. Die Presse muss die Freiheit haben, alles zu sagen, damit gewisse Leute nicht die Freiheit haben, alles zu tun."
Bartschs Parteikollegin Sevim Dagdelen wählt noch drastischere Worte. Sie bezeichnet die türkische Regierung als "Mörderbande", die Bundesregierung ermutige Erdogan, "jeden Tag noch dreister vorzugehen", sie "krieche zu Kreuze". Dagdelen spricht sogar von "Duckmäusertum", Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der den Ausführungen bisher ernst verfolgt hat, muss grinsen. Der Tonfall ist anklagend: Linke und Grüne adressieren die Bundesregierung als sei sie Stellvertreter Erdogans. Wie viele Redner nennt auch Claudia Roth noch einmal die Namen von Volker Schwenck, David Lepeska, Ebru Umar und Giorgos Moutafis, jener Journalisten, die in der Türkei zuletzt auf unterschiedliche Weise an ihrer Arbeit gehindert worden waren. Die Liste ist lang.
Ein deutsche Schuldkomplex?
Union und SPD liegen in ihrer Haltung zum Thema besonders nah beieinander. Nur dezent weisen die SPD-Redner daraufhin, dass die sozialdemokratischen Minister im Gegensatz zur Kanzlerin gegen die Ermächtigung zur Strafverfolgung gegen Satiriker Jan Böhmermann waren. Dennoch sind beide Regierungsparteien in ihrer Kritik an der Türkei deutlich zurückhaltender als die Opposition. Dass die türkische Regierung die Pressefreiheit mit Füßen trete, müsse verurteilt werden, und genau das hätten Angela Merkel und Außenminister Steinmeier getan, sagt die CDU-Politikerin Elisabeth Motschmann. Sie zitiert John Milton ("Die Freiheit steht an der Wiege aller großer Gedanken") und Immanuel Kant ("Freiheit der Feder"). Auch die Rangliste der Pressefreiheit lässt Motschmann nicht aus. Zunächst weist sie irrtümlich auf Platz 51 hin, erst nach einem Zwischenruf korrigiert sie auf 151. Dann geht die CDU-Frau zum Gegenangriff gegen die Opposition über. Sie sei gespannt, ob die Linken sich auch bei einer Aktuellen Stunde zur Pressefreiheit in Russland so äußern würden. "Da sind sie auf dem linken Auge immer etwas blind."
Längst geht es nur noch am Rande um das eigentliche Thema. Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl kritisiert die Grünen für die Ansetzung der Aktuellen Stunde. Die eigentliche Aufgabe des Bundestags sei die Kontrolle der deutschen, nicht die der türkischen Regierung. "Das ist ein krampfartiger Versuch, aus einem türkischen Fehlverhalten ein deutsches zu machen", sagt Uhl und spricht von einem "deutschen Schuldkomplex auf feinsinnige Art".
Michelle Müntefering ist eine der wenigen, die sich nicht auf die parteipolitische Rauferei einlässt. Die SPD-Außenpolitikerin warnt, bei Türken und Deutsch-Türken kämen in diesen Tagen häufig nur die zugespitzten Worte der Debatte an. Viele seien gekränkt und verletzt, weil sie dies nicht als Kritik am Präsidenten, sondern an allen Türken verständen. Auch Müntefering hat ein Sprüchlein mitgebracht, vom französischen Philosophen Voltaire. "Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen", sagt sie und schaut kurz ins Plenum. Der Satz trifft es an diesem Tag besonders gut im Deutschen Bundestag.
Quelle: ntv.de