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Trump droht NATO-Verbündeten Muss Europa sich jetzt Atomwaffen besorgen?

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Ein Dassault-Rafale-Kampfjet mit einem luftgestützten französischen atomaren Marschflugkörper - die eigene nukleare Abschreckung Europas kann nur mithilfe Frankreichs gelingen.

Ein Dassault-Rafale-Kampfjet mit einem luftgestützten französischen atomaren Marschflugkörper - die eigene nukleare Abschreckung Europas kann nur mithilfe Frankreichs gelingen.

(Foto: picture alliance / Photoshot)

Falls Ex-Präsident Trump ins Weiße Haus zurückkehren würde, wäre das nukleare Schutzversprechen der USA nicht mehr so viel wert. Der Weg zur Atommacht Europa wäre aber alles andere als einfach.

Die Europäische Union soll seit ihrer Gründung vor allem eines sichern: den Frieden in Europa. Bislang bleibt sie auf ihre wirtschaftlichen Instrumente festgenagelt, um dieses Ziel zu erreichen. Die Hoheit über die Verteidigungspolitik liegt bei den einzelnen Mitgliedstaaten, die bei diesem Thema ihre Souveränität behalten wollen. Es verwundert deshalb nicht, dass die Aussage, eigene Atombomben der EU "könnten auf dem Weg zu einer europäischen Armee Thema werden", für Irritationen sorgt. Diese eigentlich vorsichtig formulierte Prognose stammt von Katarina Barley, der SPD-Spitzenkandidatin für die Europawahl.

Barley erntete dafür teilweise heftige Kritik, auch aus ihrer eignen Partei. Dabei ist das, was sie sagt, gar nicht so abstrus. Eine fruchtbare Zusammenarbeit der Europäer auf dem Weg zu ihrer eigenen nuklearen Abschreckung wäre denkbar, zumindest für den Fall, dass die EU sich zur Verteidigungsunion wandeln würde. Allerdings gibt es dabei viele offene Fragen mit Blick auf die Kosten, die Umsetzbarkeit und die Entscheidungsgewalt.

Eines gleich vorweg: Dass die Institutionen der EU entscheiden, ob und wann sie einen nuklearen Schlag ausführen, dass sie quasi einen roten Knopf bekommen, wäre kaum möglich. Falls der ehemalige US-Präsident Donald Trump jedoch nach einer Wiederwahl seine Drohung wahr machen würde, das nukleare Schutzversprechen der Vereinigten Staaten für die Länder aufzukündigen, die das Zwei-Prozent-Ziel der NATO verfehlen, müssten die Europäer sich überlegen, wie sie auf ihrem Kontinent Ersatz schaffen. Im Zweifelsfall muss es schnell gehen angesichts des Säbelrasselns des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Macron bietet Dialog über nukleare Abschreckung an

Hier kommt die Möglichkeit ins Spiel, mithilfe von Frankreich, das bereits über Atomwaffen verfügt, an einem eigenen nuklearen Schutzversprechen für Europa zu arbeiten, bei dem Paris die Zügel in der Hand behielte. Präsident Emmanuel Macron hat der Bundesregierung in diesem Zusammenhang schon mehrmals ein Gesprächsangebot unterbreitet, zuletzt Anfang 2022, vor Beginn des russischen Einmarsches in die Ukraine. Die beiden Staaten sollten demnach einen strategischen Dialog über die Rolle der nuklearen Abschreckung Frankreichs für die gemeinsame Sicherheit führen. Eine Antwort aus Berlin steht noch immer aus.

Seit Barleys Vorstoß wird wild spekuliert, wie ernst Macron sein Angebot meint. Eine Antwort auf diese Frage kann Bundeskanzler Olaf Scholz nur finden, wenn er das Gesprächsangebot annimmt. Äußerungen des französischen Außenministers Stéphane Séjourné lassen den Schluss zu, dass Macron tatsächlich daran gelegen ist, die EU militärisch unabhängiger zu machen. Im Interview mit der FAZ sagte Séjourné, dass Europa eine "zweite Lebensversicherung" zusätzlich zur erweiterten nuklearen Abschreckung der USA innerhalb der NATO gebrauchen könnte.

Diese Meinung vertritt auch der ehemalige Diplomat Eckhard Lübkemeier, der für die Stiftung Wissenschaft und Politik zu den Krisen der EU forscht. Obwohl die Europäer froh sein könnten, von den nuklearen Sicherheitsgarantien der USA zu profitieren, sollten sie beachten, dass diese Abschreckung nicht in der EU selbst verwurzelt ist, sagt er im Gespräch mit ntv.de. "Die zentrale Frage bei nuklearer Abschreckung, die nicht dem Selbstschutz desjenigen dient, der über Nuklearwaffen verfügt, lautet: Wie glaubwürdig ist das Schutzversprechen, sowohl für die eigenen Verbündeten als auch für den möglichen Gegner, also für denjenigen, der abgeschreckt werden soll?", betont Lübkemeier.

Fokus der USA verschiebt sich auf China

Die geopolitische Lage macht es wahrscheinlich, dass die Europäer früher oder später dazu gezwungen sein werden, verteidigungspolitisch auf eigenen Beinen zu stehen, auch im nuklearen Bereich. Seit dem Fall des Eisernen Vorhangs verschiebt sich der außenpolitische Fokus der USA weg von der Sicherheit Europas, hin zur eigenen Verteidigung gegen China, das für sich beansprucht, eine führende Rolle auf der Weltbühne zu spielen. Zudem geraten die US-Präsidenten innenpolitisch unter Druck, ihren Wählern die Frage zu beantworten, warum das reiche Europa nicht selbst für seine Sicherheit sorgen kann. Aus diesem Grund halten die USA ihre NATO-Verbündeten schon eine ganze Weile dazu an, das Ziel zu erfüllen, zwei Prozent ihres Bruttoinlandproduktes in ihre Verteidigung zu investieren.

Lübkemeier hält es für möglich, dass Paris ein glaubwürdiges nukleares Schutzversprechen für Europa abgeben könnte. Dafür spreche unter anderem, dass Frankreich im Gegensatz zu den USA ein europäischer Nachbar ist. Ein solches Projekt gelingt laut Lübkemeier aber nur, wenn sich die EU zu einer politischen Union mit eigenem Verteidigungsarm weiterentwickeln würde, wofür vor allem Deutschland und Frankreich sorgen müssten. Nicht als Alternative zur NATO, sondern im Rahmen der NATO, die dann auf einem europäischen und einem amerikanischen Pfeiler ruhen würde. Dabei könnte nach dem Brexit auch das Vereinigte Königreich als NATO-Mitglied mit ins Boot geholt werden, falls es möchte.

"Europäische Nuklearwaffen unter Kontrolle eines Präsidenten der 'Vereinigten Staaten von Europa' sind nicht zu erwarten, weil Europas Nationalstaaten nicht bereit sind, in einem Bundesstaat aufzugehen", so Lübkemeier. Europäische Selbstverteidigung sei dennoch als Ziel eines Prozesses denkbar, in dem die EU-Staaten weiter zusammenwachsen - zwar nicht zu einem Bundesstaat, aber zu einer "europäischen Verteidigungsunion mit Frankreich als ihrem nuklearen Rückgrat".

Le Pen gefährdet Frankreichs Beistandsversprechen

Von einer solchen Verteidigungsunion sind die Europäer noch weit entfernt. So scheiterten in der EU mehrere Anläufe, zusätzlich zu den nationalen Armeen eine europäische Truppe mit einigen Tausend Soldaten ins Leben zu rufen. Und ein Blick auf die Umfragen verrät, dass bei der kommenden Europawahl im Juni rechtspopulistische Parteien im Aufwind sind, die seit jeher das Feindbild der Brüsseler Technokraten beschwören. Zudem ist nicht ausgeschlossen, dass nach der kommenden Wahl die rechtsextreme Marine Le Pen in Frankreich das Ruder übernimmt. Le Pen behauptet, dass jegliche Beistandsversprechen Macrons, auch abseits der nuklearen Abschreckung, einen Verrat an Frankreich darstellten.

Falls die USA ihr nukleares Schutzversprechen gegenüber Europa aufkündigten, könnten zwar auch rechtspopulistische Parteien eine Kehrtwende vollziehen, sagt Liviu Horovitz, Experte für nukleare Abschreckung der Stiftung Wissenschaft und Politik. Dieses Szenario hält er allerdings für äußerst unrealistisch. "Ich forsche momentan über die letzten vier Jahre unter der Trump-Administration. Abgesehen von der Rhetorik deutet wenig darauf hin, dass Trump ein Interesse daran hat, aus der NATO auszutreten, sollte er wiedergewählt werden", sagt Horovitz ntv.de. Das Gesprächsangebot Frankreichs sei "vage". Horovitz sieht es in der aktuellen Situation eher in dem Kontext, dass die Deutschen etwa eingeladen werden, an Übungen teilzunehmen.

Sollten sich die Europäer dazu entscheiden, innerhalb der NATO mit Frankreich einen europäischen Pfeiler aufzubauen, obwohl das Schutzversprechen durch die USA noch besteht, stellt sich für Horovitz die Frage, warum diese nukleare Abschreckung wesentlich glaubwürdiger wäre als diejenige durch die Kooperation mit Washington. "Die geografische Nähe allein diktiert nicht die Glaubwürdigkeit der Abschreckung", sagt er. Zumal es sich wieder um eine erweiterte Abschreckung handelt, da Frankreich bislang nicht bereit ist, die Entscheidungsgewalt über sein Atomwaffenarsenal aus der Hand zu geben oder auch nur zu teilen. Schließlich müssten sich auch die Amerikaner und die Franzosen innerhalb der NATO einig werden, fügt Horovitz hinzu. Dies sei schwierig: Die Franzosen hätten sich 1960 ja als Atommacht etabliert, auch um unabhängiger von den USA zu sein.

Das Atomarsenal Frankreichs ist relativ klein

Die exakte Anzahl der in Europa stationierten Atomwaffen hält die NATO geheim. Experten gehen jedoch davon aus, dass es sich um 100 Atombomben handelt, etwa 20 davon lagern auf dem deutschen Fliegerhorst Büchel. Weitere Sprengköpfe befinden sich in Kleine-Brogel in Belgien, Aviano und Ghedi in Italien, Volkel in den Niederlanden und Incirlik in der Türkei. Allerdings bilden die in Europa positionierten Atomwaffen der NATO nur einen kleinen Teil des gesamten Arsenals der Atommächte. Nach Angaben der Vereinigung amerikanischer Wissenschaftler besitzt Russland knapp 5900 nukleare Sprengköpfe, die USA mehr als 5200, Großbritannien 225 und Frankreich 290.

Angesichts des kleinen Atomarsenals Frankreichs und Großbritanniens im Vergleich zu den USA oder Russland sieht auch Michael Gahler, CDU-Mitglied und außenpolitischer Sprecher der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Probleme auf dem Weg zu der eigenen nuklearen Abschreckung Europas. "Es würde nicht nur immense, insbesondere finanzielle, Anstrengungen erfordern, um einen Wegfall des US-Nuklearschilds auszugleichen, sondern es wäre auch ein sehr langfristiges Unterfangen", sagt Gahler ntv.de. Daher eigne sich dieser Ansatz nicht kurzfristig, um auf die akute Bedrohungslage zu reagieren. Zudem stellt sich für Gahler die Frage, wie ein europäischer Nuklearschirm, getragen von Frankreich und Großbritannien, überhaupt hinsichtlich der Entscheidungsfindung für den denkbar schlimmsten Fall ausgestaltet werden sollte. "Klare Entscheidungsstrukturen, die eine schnelle Reaktion ermöglichen sind allerdings die Voraussetzung dafür, dass nukleare Abschreckung überhaupt funktionieren kann", betont Gahler.

Trump habe den Europäern die Debatte über ihre nukleare Sicherheit regelrecht aufgezwungen, dennoch sollten sie sich aus Gahlers Sicht nicht davor verschließen. Schließlich seien Trumps Drohungen auch als Weckruf zu verstehen. "Wir können, so bedauerlich es auch wäre, nicht unsere Augen vor der Möglichkeit verschließen, dass wir in der Zukunft gezwungen sein könnten, unsere europäische Sicherheit und Verteidigung eigenständig organisieren zu müssen."

Quelle: ntv.de

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