Manipulationen von Anfang an So wurde Putin zum ewigen Präsidenten


Wladimir Putin steht vor seiner insgesamt fünften Amtszeit als Präsident.
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Seit Ende 1999 ist Putin in Russland an der Macht. Und er könnte bis 2036 weiterregieren. Dafür sorgen nicht nur eine Verfassungsänderung, sondern auch die schrittweise Verschärfung der Wahlgesetze, die Beschränkung von Gegenkandidaten und die Manipulation von Ergebnissen.
Bis 2030 wird Wladimir Putin Präsident der Russischen Föderation sein, mindestens. Denn die Wahl, die ab Freitag erstmals über drei Tage stattfindet, wird der 71-Jährige gewinnen, daran bestehen keine Zweifel. Danach könnte der Kreml-Herrscher laut Verfassung eine weitere sechsjährige Amtszeit dranhängen. Insgesamt würde Putin dann sogar die gut 30-jährige Amtszeit des sowjetischen Diktators Stalin übertreffen, wenn man seine Zeit als Ministerpräsident hinzurechnet.
Geschafft hat Putin seine Wiederwahlen anfangs auch dank des Wirtschaftsaufschwungs nach den chaotischen 1990ern und seines harten Vorgehens in Tschetschenien. Doch der Staat griff gleichzeitig zunehmend in den Wahlprozess ein, setzte auf Repressionen und Fälschungen. Diese reichen von der Omnipräsenz in Massenmedien über Gesetzesänderungen zu seinen Gunsten bis zu Manipulationen in Wahlkabinen im ganzen Land.
"Es zeichnet sich ab, dass die Wahl in diesem Jahr in einem noch viel höheren Maße manipuliert ist als frühere Wahlen, denn nach der Vollinvasion in die Ukraine gab es eine weitere Radikalisierung des Regimes", sagt die Osteuropa-Historikerin Franziska Davies von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Gespräch mit ntv.de.

Machtübergabe: Jelzin (r.) tritt am 31. Dezember 1999 zurück, Putin übernimmt.
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Ins Amt kam Putin 1999 nicht durch eine Wahl. Im August des Jahres ernannte ihn der damalige Präsident Boris Jelzin zum Ministerpräsidenten. Als Jelzin dann am 31. Dezember - für Außenstehende überraschend - sein Amt niederlegte, übernahm Putin dessen Amtsgeschäfte, so wie es die Verfassung vorsah. Erstmals einer Wahl stellte sich Putin drei Monate später, am 26. März 2000 - und gewann sie gegen zehn Gegenkandidaten im ersten Wahlgang mit 52,9 Prozent der Stimmen. Unabhängige Beobachter monierten schon damals die ungleichen Zugangschancen zu den Massenmedien.
"Es gab immer Manipulationen, auch bei dieser Wahl, die noch am ehesten demokratisch war", sagt Davies. Zwar seien die russischen Medien damals noch pluralistischer gewesen, aber es habe dennoch ein Ungleichgewicht in der Darstellung der Kandidaten gegeben. "Unmittelbar nach seiner Wahl hat Putin angefangen, diese Medienvielfalt enorm einzuschränken. Heute gibt es sie gar nicht mehr."
Rollentausch mit Medwedew
Wiedergewählt wurde Putin am 14. März 2004 mit 71,2 Prozent im ersten Wahlgang. Die OSZE schätzte die Wahl als "nur bedingt demokratisch" ein. 2008, nach zwei Amtszeiten, konnte er laut Verfassung aber nicht noch einmal antreten. Stattdessen wurde der Putin-Vertraute Dmitri Medwedew am 2. März 2008 gewählt. Putin wurde Regierungschef, dessen Befugnisse er zuvor erweitert hatte - und blieb so der starke Mann in Russland. Eine Rolle rückwärts gab es vier Jahre später, als Putin sich am 4. März 2012 mit 63,6 Prozent der Stimmen erneut zum Präsidenten wählen ließ. Nach sechs Jahren, die von Protesten und Repressionen, von der Krim-Annexion und dem Krieg im Donbass geprägt war, gewann Putin schließlich am 18. März 2018 mit 76,7 Prozent der Stimmen seine bisher letzte Wiederwahl.
In dieser Zeit wurde die Regierung nicht nur zunehmend autoritär, schließlich diktatorisch, und schaltete mächtige Oligarchen und die politische Opposition systematisch aus. Sie griff auch immer stärker in den Wahlprozess ein. Zum wohl wichtigsten Instrument wurde aber nicht der Betrug im Wahllokal, sondern die Zulassung der Kandidaten, die immer mehr eingeschränkt wurde. "Ein ganz wichtiges Instrument sind die Unterschriftenlisten, die die Kandidaten vorlegen müssen", sagt Davies. "Sie müssen eine bestimmte Zahl von Unterschriften sammeln und bei der Wahlkommission einreichen. Selbst wenn alle nötigen Unterschriften beisammen sind, kann die Zentrale Wahlkommission behaupten, dass ein gewisser Teil von ihnen aus formalen Gründen ungültig ist. Das ist völlig intransparent."
So traten etwa bei der Wahl 2018 noch Kandidaten an, die mehr oder weniger als Kreml-kritisch angesehen wurden. In diesem Jahr fehlen sie ganz. Boris Nadeschdin von der Partei Bürgerinitiative und die unabhängige Jekaterina Dunzowa wurden wegen angeblicher Fehler in den Unterschriftenlisten nicht zugelassen. Lediglich drei Scheinkandidaten treten nun gegen Putin an. Davies spricht von einer "Simulation von Vielfalt".
Die Änderung von Wahlgesetzen im Sinne Putins haben inzwischen ein massives Ausmaß angenommen. Bereits 2010 - Putin war zu dieser Zeit Ministerpräsident - wurde etwa die Amtszeit des Staatsoberhaupts auf sechs Jahre verlängert. Wahlen finden damit seltener statt. Als Putin 2012 Medwedew als Präsident ablöste, wurde die Wahl von Massendemonstrationen begleitet, auf die das Regime mit Härte und verschärften Gesetzen antwortete. Zudem wurden administrative Instrumente eingeführt, um Wahlen stärker manipulieren zu können.
Tausende Verstöße in Wahllokalen
Ein noch einschneidenderes Ereignis war die Verfassungsänderung von 2020, die dem Präsidenten nicht nur mehr Befugnisse bescherte, sondern auch die bisherigen Amtszeiten "löschte". Eigentlich hätte Putin 2024 nach zwei Amtszeiten nicht noch einmal antreten dürfen. Doch die neue Gesetzgebung ermöglicht ihm die Wiederwahl - und eine weitere Amtszeit von 2030 bis 2036.
Daneben wurde die Wahl auf drei Tage verlängert, was nach den Worten von Davies "den Raum zum Beispiel für die Manipulation von Wahlzetteln oder die Fälschung der Wahlbeteiligung erweitert". Dies gilt auch für die elektronische Stimmabgabe, die in immer mehr Regionen eingeführt wird. Potentielle Kandidaten müssen seitdem hohe Hürden überwinden, um überhaupt eine Bewerbung starten zu können: Sie müssen mindestens 25 Jahre ständig in Russland gelebt haben statt wie bisher zehn Jahre. Zudem dürfen sie keine zweite Staatsbürgerschaft oder ein Aufenthaltsrecht in einem anderen Staat besitzen oder besessen haben.
Angesichts einer Gesetzgebung, die dem russischen Präsidenten die Wiederwahl faktisch sichert - sind dann Manipulationen an den Wahlurnen überhaupt noch nötig? "Für das Regime scheint es eine Rolle zu spielen, dass eine gewisse Legitimation durch die Wahlen stattfindet", sagt Expertin Davies. "Deswegen ist es wichtig, eine gewisse Wahlbeteiligung zu erreichen, selbst wenn am Ende die Ergebnisse manipuliert werden. Das erklärt auch, warum dieser demokratische Prozess simuliert wird."
2018 meldeten Wahllokale und Oppositionelle Tausende Verstöße in den Wahllokalen. Berichte sprachen von ganzen Bündeln von Stimmzetteln, die gleichzeitig in die Urne geworfen worden seien, zudem hätten Menschen mehrmals abgestimmt und Wahlurnen seien außerhalb des Sichtfelds von Überwachungskameras platziert worden. Sowohl inländischen als auch ausländischen Wahlbeobachtern wurde die Arbeit massiv erschwert. "Eine Wahl ohne wahrhaftigen Wettbewerb, wie wir gesehen haben, ist keine richtige Wahl", bilanzierte die OSZE, die in diesem Jahr wegen behördlicher Einschränkungen keine Beobachter nach Russland entsendet. Ohnehin wurde inzwischen der Zugang zu Videoaufnahmen aus Wahllokalen eingeschränkt.
"Es gibt kaum mehr Möglichkeiten der Wahlbeobachtung, weder von internationalen noch russischen Organisationen", sagt Davies. So sei die zivilgesellschaftliche Organisation "Golos" (Stimme) bereits vor elf Jahren zu einer ausländischen Agentin erklärt und aufgelöst worden. Auch eine Neuformierung scheiterte an staatlichen Repressionen. "Nach der Vollinvasion in der Ukraine sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Ausland geflohen, eine der Führungsfiguren sitzt in Moskau in Haft", erklärt die Russland-Expertin.
Zur "Wahlbeobachtung" werden stattdessen Vertreter prorussischer Organisationen und Parteien aus dem Ausland eingeladen, die in der Regel vom rechten oder linken extremistischen Rand kommen. Aus Deutschland reisten schon mehrfach Politiker der AfD nach Russland und zum Scheinreferendum auf die annektierte Krim. Auch in diesem Jahr wurden mehrere AfD-Politiker nach Russland eingeladen.
Quelle: ntv.de