Die Trends der Bundesliga Bayers irres Jagdrudel und Holzfußball-HSV
26.05.2015, 11:43 Uhr![imago_sp_0525_10390023_19944917.jpg-preview2[1].jpg](https://www.n-tv.de/img/15166656-1483457891000/16-9/1136/imago-sp-0525-10390023-19944917.jpg)
Die 52. Saison der Fußball-Bundesliga ist abgepfiffen - die Relegation nicht berücksichtigt. Und sie hatte eine Menge zu bieten: schwimmende Neuner, Halbraumliberos und einen Weltmeister, der von allen guten Geistern verlassen war.
Innovator der Saison: Roger Schmidt
Jagen im Rudel. Pressing bis zum Umfallen. Wer Roger Schmidts Arbeit bei RB Salzburg verfolgte, wurde vom neuen Spielstil Bayer Leverkusens nicht überrascht. Der studierte Maschinenbauer hat eine klare Vorstellung von Fußball. Der Fokus liegt auf aggressivem Angriffspressing. Schnelle Ballgewinne, schnelle Umschaltangriffe, schnelle Abschlüsse sind das Ziel. In dieser Intensität gab es das in der Bundesliga vorher nicht zu bestaunen.

Leverkusens Trainer Roger Schmidt ließ seine Mannschaft ein extrem aggressives Pressing spielen.
(Foto: REUTERS)
Schmidt überdrehte jedoch in der Hinrunde. Durchsicherung und Restfeldverteidigung – zwei favorisierte Termini Schmidts – passten nicht perfekt. Die aufgerückte Leverkusener Mannschaft wurde vielfach mit Flügelwechseln und langen Bällen ausgehebelt. Allerdings reagierte Bayer rechtzeitig und so erreichten die Rheinländer Rang vier mit ihrem innovativen Neu-Trainer.
Revival der Saison: echte Doppelspitze
Christian Streich prägte einst den Begriff der "schwimmenden Neuner". Zwei Angreifer, die sich sehr flexibel bewegen, nach außen sowie ins Mittelfeld ausweichen und nicht nur auf das Zuspiel ins Offensivzentrum warten. Mehmedi und Guédé agieren beispielsweise in Freiburg auf diese Weise. Kruse und Raffael haben in Mönchengladbach ihr Zusammenspiel perfektioniert. Doch in dieser Saison konnten wir ebenso die Rückkehr der echten Doppelspitze erleben. In Bremen setzte Viktor Skripnik auf Di Santo und Selke vor der Mittelfeldraute. Der HSV probierte sein Glück mit Lasogga und Olic. In Köln stürmten phasenweise Ujah und Osako zusammen an vorderster Front. Für Spielkultur steht das Spiel mit der echten Doppelspitze aber nur in den seltensten Fällen.
Fauxpas der Saison: Kramers Eigentor gegen den BVB
Zwischen Mitte September und Anfang November geriet der BVB immer schwerer in die Krise. Nach zehn Spieltagen und sieben sieglosen Ligapartien in Folge waren die Mannen von Jürgen Klopp auf dem vorletzten Rang. Die Borussia aus Mönchengladbach und damit der Tabellendritte gastierte in Dortmund. Ein Sieg wurde dringend gebraucht. Und der BVB lieferte ab, setzte die Fohlen mit altbekanntem Pressingfußball enorm unter Druck. Doch den entscheidenden Treffer konnten die Schwarzgelben selbst nicht besorgen. Da musste schon Christoph Kramer aushelfen, der den Ball aus 45 Metern ins eigene Tor beförderte. Manche machten das aggressive Herausrücken und Anlaufen von Oldie Sebastian Kehl in diesem Moment dafür verantwortlich. Andere glaubten an Nachwirkungen vom WM-Finale, die Kramer immer noch zusetzten.
Formation der Saison: 4-2-3-1
Im Sommer 2006 – die Weltmeisterschaft in Deutschland stand gerade vor der Tür – nahm der damalige DFB-Teamchef Jürgen Klinsmann zusammen mit Jogi Löw eine nicht unwesentliche Änderung im System der Nationalmannschaft vor. Sie zogen zur Stabilisierung der wackeligen Defensive Michael Ballack im Mittelfeld zurück. Fortan spielte er an der Seite von Torsten Frings, Lukas Podolski fiel derweil immer häufiger aus der Spitze nach hinten. Das 4-2-3-1 fand seinen Anfang und war über Turniere hinweg nicht aus der Nationalmannschaft wegzudenken.
Das gilt ebenso für die Bundesliga. Nahezu jedes Team setzte auch in dieser Saison wenigstens vereinzelt auf das 4-2-3-1 als Grundformation. Nachdem sich in der jüngeren Vergangenheit Tendenzen zu Dreierabwehrkette und Solo-Sechser anbahnten, kehrten gerade im Endspurt der Saison viele Trainer zum Altbewährten zurück. Duelle von zwei 4-2-3-1-Teams versprechen jedoch nicht immer Hochspannung.
Taktischer Kniff der Saison: David Alaba als Halbraumlibero
Pep Guardiola sorgte in dieser Saison wieder für einige taktische Neuerungen beim FC Bayern. Der 44-Jährige jonglierte weiterhin mit den Formationen und justierte unablässig am Spielsystem der Münchener. Einen wirklich interessanten Kniff unternahm der Katalane, indem er David Alaba als linken Halbverteidiger in die Dreierkette einbaute. Doch Alaba sollte nicht einfach nur an der Seite von Boateng und Co. verteidigen. Der Österreicher rückte ständig über halblinks nach vorn. Schnell entwickelte sich der Begriff des "Halbraumliberos", der viele Freiheiten im Offensivspiel genoss. Mit der schweren Verletzung des Österreichers wurde dieses Projekt aber vorerst gestoppt.
Holzfußball-Rückfall der Saison: Bayer gegen Borussia
Da warten Bundesliga-Fans in den Wochen der Winterpause sehnlichst auf die Rückkehr des Spielbetriebs und dann bekommen sie dieses Samstagabend-Spiel serviert. Borussia Dortmund, gezeichnet von einer Katastrophen-Hinrunde, wollte nicht und Bayer Leverkusen konnte nicht. Beim torlosen Unentschieden bolzte der BVB ständig den Ball direkt nach vorn. Die beiden Sechser Nuri Sahin und Matthias Ginter versuchten erst gar nicht, gegen Leverkusens Pressing mit Kurzpassspiel aufzubauen. Bayer hingegen kam nur sehr schwer durch das Bollwerk der Dortmunder hindurch. Ein 0:0 der unschönen Sorte.
Eine Konstante in Sachen Holzfußball ist hingegen der Hamburger SV. Das immer gleichförmige System der letzten Jahre schien auch unter Joe Zinnbauer nur kleinere Veränderungen zu erfahren. Der Slomka-Nachfolger setzte auf aggressiveres Pressing und teils veränderte Formationen. Doch offensiv war der HSV an Harmlosigkeit kaum zu überbieten und blieb in der Hinrunde bei einer einstelligen Toranzahl. Erst Offensiv-Trainer Bruno Labbadia konnte den Hanseaten neues Leben einhauchen. Rechtzeitig zum Saisonende bot der HSV gegen Schalke 04 seine spielerisch und taktisch beste Leistung.
Most Improved Coach der Saison: Dieter Hecking
In den letzten zehn Jahren gehörte Dieter Hecking zur Trainer-Mittelklasse der Bundesliga. Den ganz großen Wurf trauten ihm viele allerdings nicht zu. Doch in dieser Saison bewies der stets besonnen agierende Westfale, dass er den ambitionierten VfL Wolfsburg in die Spitzengruppe der Bundesliga führen kann. Die Autostädter bauten seit längerem mit großer Finanzkraft einen schlagkräftigen Kader auf. Kevin De Bruyne war ein letztes, entscheidendes Puzzlestück.
Für die notwendige Konstanz sorgte nun Hecking, der an vielen kleinen Stellschrauben drehte. So stabilisierte er die Ballzirkulation und verbesserte die Verteidigung der Flügel. Außerdem glänzte der Wolfsburger Coach stets mit cleveren Anpassungen an den jeweiligen Gegner. Der 50-Jährige erfand sich nicht neu, zeigte aber einen erstaunlichen Entwicklungsprozess. Mit Wolfsburg ist auch wegen Hecking in der kommenden Saison zu rechnen.
Kickendes Taktikgenie: Daniel Baier
Mittlerweile hat sich herumgesprochen, der Augsburger Spielmacher Daniel Baier ist viel mehr als ein ehemaliges Top-Talent, dem der Durchbruch beim VfL Wolfsburg verwehrt blieb. Der 31-Jährige gehörte schon lange zur Favoritenliste jedes Fußballfeinschmeckers. Denn Baier verbindet strategisches Können mit exzellenter Technik und gekonntem Pressingspiel. Er ist so gesehen ein Gesamtpaket auf der Sechserposition und ein Segen für den FC Augsburg. Wäre Baier nur drei oder vier Jahre jünger, Jogi Löw käme um einen Anruf nicht herum.
Anomalien der Liga: Die Borussias
Mönchengladbach und Dortmund. Favre und Klopp. Unterschiede könnten manchmal größer nicht sein. Auf der einen Seite gibt es die Fohlen, die mit Favre und dessen ausgetüfteltem 4-4-2 an Effektivität kaum zu überbieten sind. Die Gladbacher präferieren eine vergleichsweise geringe Laufintensität, während die Verletztenquoten unter Favre stets gering sind. Anhand einiger statistischer Werte wirkt die Borussia nicht wie ein Spitzenteam. Sie waren in puncto Schussverhältnisse über die gesamte Saison ihren Gegnern unterlegen, brillierten aber mit der besten Gegentorverhinderung (über 80%). Und das obwohl sie den Gegner im Schnitt über 15 mal pro Partie zum Schuss kommen ließen und zudem im Schnitt 385 oder mehr gegnerische Pässe erlaubten.
Selbst in Gladbachs Defensivdrittel konnten die Gegner noch durchschnittlich eine Passquote von 65 Prozent aufweisen. Allerdings verhinderte Favres Elf, dass das jeweils andere Team allzu oft in den Strafraum beziehungsweise in eine gute Schussposition gelangte. Hinzu kommen durchschnittlich 4,6 geblockte Schüsse des Gegners. Yann Sommer musste so in der kompletten Rückrunde nur zehn Mal hinter sich greifen, davon allein dreimal am letzten Spieltag gegen Augsburg.
Beim BVB ist quasi das genaue Gegenteil der Fall. Denn die Dortmunder waren, was Torschüsse betraf, über die Spielzeit hinweg ihren Gegnern überlegen, glänzten jedoch im negativen Sinne durch schwache Gegentorverhinderung (niedrigster Wert neben Werder Bremen) und eine miserable Chancenverwertung. Nur die drei Schlusslichter der Liga nutzten noch schlechter ihre Tormöglichkeiten. Im Endeffekt ließ der BVB die Gegner zu oft aus sehr guter Position schießen und konnte sich auf der anderen Seite nicht durchweg aussichtsreiche Chancen erspielen. Quantität ist nicht alles.
Der zeitweilige Absturz der Dortmunder war mit Sicherheit die Überraschung der Saison. Vor knapp einem Jahr glaubte man noch an eine mögliche Verfolgungsjagd auf Bayern München. Der Ligaprimus dominierte allerdings von Beginn an und ließ keinen Zweifel an der Vormachtstellung aufkommen. An dieser konnten auch Wolfsburg, Gladbach und Leverkusen nicht rütteln. Jedoch setzten sich diese drei Teams vom großen Rest des Feldes ab. Die Bundesliga hat im Moment ein sehr breites Mittelfeld, aber eine nur äußerst dünn besetzte Spitze.
Quelle: ntv.de