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Kontrolle über Stromlieferungen? 16 chinesische Windräder verursachen Panik in Deutschland

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Auch in der Windindustrie sind chinesische Hersteller große Konkurrenten der europäischen.

Auch in der Windindustrie sind chinesische Hersteller große Konkurrenten der europäischen.

(Foto: picture alliance / Xinhua News Agency)

In der Nordsee soll erstmals ein Windpark mit chinesischen Turbinen gebaut werden. Branchenverbände sind nicht begeistert: Sie warnen vor unfairem Wettbewerb und chinesischer Kontrolle über die europäische Stromversorgung. Doch sehr wahrscheinlich gibt es keine Alternative.

Der Waterkant-Windpark, etwa 90 Kilometer vor Borkum in der Nordsee, wird ein ganz besonderer. Ab 2028 sollen nur 16 Turbinen grüne Energie für etwa 400.000 Haushalte erzeugen. Waterkant wird mit den größten und leistungsstärksten Windrädern der Welt ausgestattet: Die 18,5-Megawatt-Kolosse türmen sich etwa 160 Meter über dem Meer auf. Die drei Rotorblätter haben zusammen einen Durchmesser von 260 Metern und sind für die extrem stürmische Nordsee bestens gerüstet: Sie sollen selbst Taifunen der Kategorie 17 standhalten. Die haben Windgeschwindigkeiten von bis zu 220 Kilometern pro Stunde.

"Mit der Entscheidung für die leistungsstärkste Offshore-Windturbine der Welt können wir die Energiewende in Deutschland vorantreiben und gleichzeitig den dringend benötigten Wettbewerb in der Branche fördern", sagt die Luxcara GmbH über den Vorvertrag. Sie entwickelt den Waterkant-Windpark.

Doch die europäische Windindustrie ist nicht begeistert. Branchenverbände warnen vor unfairem Wettbewerb, der wie in der Solarwirtschaft enden könnte. Besonders strenge Kritiker sagen, das Projekt gefährde sogar die europäische Energiesicherheit. Denn Hersteller der riesigen Windräder ist das chinesische Unternehmen Ming Yang Smart Energy.

Ein strategischer Sektor

Deutschland hat ambitionierte Ziele für die Windkraft auf See. Die deutschen Offshore-Kapazitäten liegen aktuell bei rund 9 Gigawatt, das entspricht ungefähr neun großen Kernkraftwerken. Die Ampel möchte sie bis 2030 auf 30 GW mehr als verdreifachen. Dafür müssen mehr als 1000 neue Windkraftanlagen in Nord- und Ostsee aufgestellt werden. Eine riesige Zahl, doch der europäische Branchenverband WindEurope ist überzeugt, dass europäische Hersteller wie Siemens Gamesa, Vestas und Nordex diesen Bedarf decken können.

"Die europäische Offshore-Lieferkette war und ist bereit, in Europa hergestellte Turbinen zu liefern", erklärt WindEurope-Chef Giles Dickson beim Wirtschaftsportal Bloomberg. "Die Europäische Union, Deutschland und alle anderen Länder, die Offshore-Windparks bauen, müssen sich entscheiden, ob die Windenergie ein strategischer Sektor ist, bevor es zu spät ist." Denn Dickson zufolge geht es bei der Auftragsvergabe nicht nur um wirtschaftliche Gründe, sondern um die europäische Energiesicherheit.

Roter Knopf in China?

Windkraftanlagen verfügen in der Regel über rund 300 Sensoren, die wichtige Daten erfassen. Die werden benötigt, damit Hersteller Fehler an der Turbine feststellen und reparieren können. Die Daten dienen auch dazu, die Leistung eines Windrads zu steuern und etwa die Winkel der Rotorblätter einzustellen, damit sie immer das Optimum an Strom erzeugen und nicht in einem Sturm kaputtgehen. Die Hersteller können die Windräder darüber aber auch abriegeln, wie es in der Regel nur passiert, wenn das Stromnetz überlastet ist.

"Ich möchte mir keine Welt vorstellen, in der China deutsche Windenergieanlagen vom Netz nehmen kann", warnt Bärbel Heidebroek, Präsidentin des Bundesverbands Windenergie (BWE), im ntv-Podcast "Klima-Labor". "Wenn man sich vorstellt, dass in Deutschland nur chinesische Windenergieanlagen stehen, könnte China - plastisch gesagt - auf einen roten Knopf drücken und es wäre dunkel. Deswegen benötigen wir klare Regeln wie in der Telekommunikation: Diese darf China nicht dominieren und kontrollieren. Genauso sollte es auch im Bereich Cybersicherheit für Windenergieanlagen sein."

Entscheidung spart viel Geld

Warum sich Luxcara für chinesische und nicht für europäische Windräder entschieden hat, möchte das Unternehmen nicht weiter ausführen: Eine Interviewanfrage von ntv lehnen die Verantwortlichen ab, obwohl die Rechnung speziell wirtschaftlich sehr simpel ist.

Ming Yang baut die weltweit größten Windräder und in der Windkraft gilt: Je größer, desto besser. Größere Windräder erzeugen mehr Strom und spielen für die Betreiber mehr Geld ein. Deshalb drängt die Branche alle Hersteller seit Jahren dazu, immer größere Anlagen zu entwerfen.

Laut Ming Yang wird ein Windpark zudem günstiger, wenn man ihn mit größeren Turbinen ausstattet. Die Rechnung des chinesischen Herstellers lautet wie folgt: Baut man einen 1-Gigawatt-Windpark mit den riesigen 18-Megawatt-Anlagen, bezahlt man pro Megawatt 120.000 bis 150.000 US-Dollar weniger, als wenn man den Windpark mit kleineren 13-MW-Anlagen gebaut hätte.

Weitere Kosten sparen Projektentwickler wie Luxcara, weil chinesische Windräder generell deutlich günstiger sind. Sie kosten bis zu 50 Prozent weniger als vergleichbare Turbinen aus Europa, denn laut Branchenverband WindEurope profitieren sie von "unfairen staatlichen Subventionen", die dazu führen könnten, dass es der europäischen Windbranche am Ende ähnlich ergeht wie der Solarbranche: Chinesische Hersteller fluten den Markt und treiben die Konkurrenz mit ihrem Preiskampf in den Ruin. Die EU-Kommission prüft deswegen bereits Strafzölle für chinesische Hersteller.

"Werden nicht die Letzten sein"

Zu guter Letzt kämpfen die europäischen Hersteller, anders als von WindEurope dargestellt, noch immer mit knappen Kapazitäten und müssen ihre Produktion erst hochfahren. Auch wenn die Branche wie geplant von derzeit 300.000 Beschäftigten bis 2030 auf über 500.000 Beschäftigte anwächst, scheint unwahrscheinlich, dass sie den europäischen Bedarf allein decken kann. Denn die EU will die Windkraft-Kapazitäten an Land und auf See von derzeit 220 GW auf dann 425 GW fast verdoppeln. Selbst, wenn nur die aktuell größten Anlagen verbaut würden, wären das mindestens 10.000 neue Windräder, die in nur fünfeinhalb Jahren aufgestellt werden müssten.

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"Wir sind die Ersten, wir werden aber nicht die Letzten sein, die chinesische Hersteller beauftragen", sagt Luxcara-Chefin Alexandra von Bernstorff im "Handelsblatt". "Man habe schlichtweg keine andere Möglichkeit, nur mithilfe chinesischer Firmen könne die hohe Nachfrage gedeckt werden." Sicherheitsbedenken rücken dann in den Hintergrund.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

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Quelle: ntv.de

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