Schnurrhaare noch nicht dekodiert Computerspiel-Kamera enthüllt Mäusesprache
20.12.2015, 09:04 UhrMäuse kommunizieren mit Hilfe einer ausgeklügelten Körpersprache - inklusive Silben und Grammatik. Diesen Befund verdanken Forscher dem 3D-Sensor einer Computerspiel-Konsole. Die kleine Kamera stellt selbst erfahrene Wissenschaftler in den Schatten.
Ein für Computerspiele entwickeltes System könnte dabei helfen, die Verhaltensforschung zu revolutionieren. Forscher nutzten den 3D-Sensor, um die Bewegungen von Mäusen zu erfassen und im Rechner eine Art Lexikon ihrer Körpersprache anzulegen. Solche Systeme könnten weit objektivere Ergebnisse liefern als menschliche Beobachter, erklärt das Team im Fachjournal "Neuron". So könne man etwa die Wirkung von Medikamenten exakter erfassen.
Alexander Wiltschko von der Harvard Medical School in Boston (Massachusetts, USA) hatte eigentlich nur im Detail analysieren wollen, wie Mäuse auf ein Aroma von Fuchsgeruch (Trimethylthiazolin) reagieren, berichtet die Fakultät. Schnüffeln, schreckstarr verharren, zum Ball zusammenrollen: Diese typischen Bewegungen ließen sich demnach auf den Infrarot-Aufnahmen erkennen – wenn nicht gerade mal wieder die Lampe aus der Halterung kippte.
Wiltschko habe schließlich eine Idee gehabt: Warum nicht ein System nutzen, das Bewegungen für Computerspiele erfasst und in die eines Avatars umsetzt? "Wenn man eine Maus hat, die sich auf bestimmte Weise verhält, möchte man das in Zahlen umsetzen, die sich gut auswerten lassen", erklärt Wiltschko. Das Team nutzte Microsoft Kinect, ein zur Steuerung der Videospielkonsole Xbox entwickeltes System. Spieler können damit allein durch Körperbewegungen die Software bedienen. Die Tiefenkamera von Kinect arbeitet mit Infrarot-Aufnahmen, aus denen 3D-Modelle des Menschen – oder der Maus – generiert werden.
Tests an Mäusen mit Watschel-Mutation
Mitautor Matthew Johnson habe dann ein Rechenmodell ausgetüftelt, mit dem sich die verschiedenen kleinen Bewegungsdetails und Posen des Maus-Avatars kategorisieren lassen. Die Daten glichen einer Sprache mit Silben und Grammatik, schreiben die Forscher. Die einzelnen Teile kämen dabei in unterschiedlichem Kontext zum Einsatz – also nicht etwa nur bei der Angst vorm Fuchs. Wenn die Maus den Geruch des Räubers wahrnehme, spule sie Verhaltenskomponenten ab, die auch in anderem Zusammenhang vorkommen. Selbst das komplexeste Verhalten ist letztlich aus einfachen, 200 bis 900 Millisekunden umfassenden Bewegungsmodulen zusammengesetzt.
Die Forscher testeten ihr System an Mäusen, die in ihrem Erbgut eine Mutation trugen, die zu einem watschelnden Gang führt. Tragen die Tiere die Veränderung in beiden Erbgutteilen, ist der Effekt nicht zu übersehen. "Menschliche Beobachter können aber die subtilen Veränderungen bei Mäusen mit nur einer Kopie des mutierten Gens nicht sehen", erläutern die Forscher. Selbst für erfahrene Wissenschaftler wirke der Gang der Mäuse normal. Ihr System hingegen habe den feinen Unterschied erkannt.
"Was wir gemacht haben, ist erst der Anfang", so Johnson, "und wir hoffen, dass sowohl Wissenschaftler als auch Experten, die sich mit Statistik und selbstlernenden Systemen beschäftigen, auf diesen Ideen aufbauen können." Eine Anwendungsmöglichkeit sehen die Forscher bei großen Screenings zur Wirkung psychoaktiver Wirkstoffe bei Mäusen. Es sei bisher sehr schwierig, die resultierenden Verhaltensänderungen präzise zu erfassen. Ein weiteres Problem sei, dass verschiedene Beobachter verschieden urteilten – und Ergebnisse daher kaum vergleichbar seien.
Ansätze dafür, Videoaufnahmen mit speziellen Algorithmen automatisch auszuwerten, habe es bereits zuvor gegeben, erläutern die Forscher. Sie basierten jedoch zumeist auf Angaben von Menschen dazu, wie bestimmte Bewegungskomponenten einzuordnen sind – und seien damit fehleranfälliger als selbstlernende Systeme. Von ihrem System würden allerdings derzeit wichtige Details etwa zum Schnüffeln, der Bewegung der Schnurrhaare oder der Atmung noch nicht erfasst und darum auch nicht ausgewertet. Das gelte es noch weiterzuentwickeln.
Quelle: ntv.de, ali/dpa