Nobelpreis für Erbgut-Forscher Dem Pannendienst des Körpers auf der Spur
07.10.2015, 11:55 Uhr
Die Forscher, die den diesjährigen Chemie-Nobelpreis erhalten, erforschen die Reparatur-Mechanismen, mit denen der Körper Schäden im Erbgut ausgleicht.
(Foto: imago/Science Photo Library)
Schäden im Erbgut können für Lebewesen verheerende Folgen haben - zum Beispiel Krebs. Doch die Zellen sind nicht hilflos: Es gibt Reparatur-Mechanismen. Forscher haben sie enträtselt - und bekommen dafür den Chemie-Nobelpreis.
Für die Beschreibung von Erbgut-Reparatursets erhalten drei Forscher aus Schweden, den USA und der Türkei den Chemie-Nobelpreis: Tomas Lindahl, Paul Modrich und Aziz Sancar hätten fundamentale Erkenntnisse für die Suche nach Krebsmedikamenten geliefert, gibt die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt.
Das Erbgut in den Milliarden Zellen unseres Körpers wird fortwährend beschädigt - durch UV-Licht zum Beispiel, freie Radikale oder krebserregende Substanzen in unserem Essen. Selbst ohne solche Attacken von außen ist die DNA grundsätzlich ein instabiles Gebilde - trotz ihrer immensen Bedeutung: Sämtliche Informationen zur Funktion und zum Aussehen eines Lebewesens sind in ihr gespeichert. Beim Menschen sind es 23 väterliche und 23 mütterliche Erbgutabschnitte, die in der befruchteten Eizelle zusammenfinden. Aus dieser etwa zwei Meter langen Basis-DNA entsteht in etlichen Milliarden Zellteilungen eine immense Menge Erbmaterial, das aneinandergefügt rund 250 Mal zur Sonne und wieder zurückreichen würde. Das verdeutlicht: Unzählige Male im Laufe eines Lebens wird unsere DNA in den Zellen verdoppelt und weitergegeben - und doch ähnelt die letzte Version beeindruckend genau der vom Anfang unseres Lebens.
Entdeckungen, die ein Forschungsfeld öffneten
Das ist von extremer Bedeutung für unsere Gesundheit und unser Überleben. "Schäden an DNA können sehr ernsthafte Folgen haben", sagt Nobel-Juror Claes Gustafsson. Sie spielen beim Altern eine Rolle und bei Erbgutkrankheiten, vor allem aber können sie Krebs verursachen. Das passiert immer dann, wenn Schäden am Erbgut dazu führen, dass sich die betroffene Zelle unkontrolliert zu vermehren beginnt.
Zum Glück für alle Lebewesen dieser Welt sind die Zellen einer solchen Zerstörung nicht hilflos ausgeliefert. "Tomas Lindahl spekulierte, dass es ein Reparatur-System geben muss, und machte sich auf die Suche. Und er fand tatsächlich eines", erklärte Gustafsson. Auch Modrich und Sancar waren Pioniere auf dem Gebiet, solche Mechanismen zu beschreiben. "Es sind sehr frühe Entdeckungen, die das Forschungsfeld geöffnet haben." Die Ergebnisse hätten enorme Konsequenzen für die Menschheit gehabt, betont die Chefin der Nobel-Jury, Sara Snogerup Linse.
DNA nicht so stabil wie angenommen
In den frühen 1970er Jahren waren Wissenschaftler noch überzeugt, dass die DNA ein extrem stabiles Gebilde ist. Lindahl demonstrierte, dass das Molekül für sich genommen so rasch verfällt, dass die Entstehung des Lebens auf der Erde eigentlich hätte unmöglich sein müssen. Schließlich wurde das fragile Erbgut von Generation zu Generation weitergegeben, floss von Körper zu Körper, seit Hunderttausenden von Jahren. Wie brachten die Organismen das Wunder fertig, eine überraschend intakte DNA zu behalten?
Der Schwede Lindahl fand eine erste Antwort: Es gab in den Zellen eine Art Werkstatt speziell für das Erbgut. 1974 beschrieb er die grundsätzliche Funktionsweise der sogenannten Base Excision Repair (Basen-Exzisions-Reparatur). Der Mechanismus ermöglicht der Zelle, einen fehlerhaften DNA-Baustein (Nukleotid) zu entfernen und korrekt zu ersetzen. Mehrere Enzyme bearbeiten dabei den DNA-Strang. Sie schneiden schließlich das falsche Nukleotid aus und schließen die Lücke im Erbgut mit dem Richtigen. Ohne eine solche Korrektur würde sich der DNA-Fehler in immer mehr Zellen ausbreiten. Die Nucleotide Excision Repair (Nukleotid-Exzisions-Reparatur) läuft im Prinzip ähnlich ab. Mit ihr wehrt sich die Zelle gegen UV-Schäden auf einem Teil des DNA-Strangs.
Körper geht gegen Fehler vor
Der Türke und US-Amerikaner Sancar beschrieb den Mechanismus dazu. Spezielle Enzyme schneiden das Stück aus und ersetzen es. So kann die Zellteilung - und die damit verbundene Verdopplung der DNA - reibungslos ablaufen. Manchmal gibt es aber auch bei der Zellteilung selbst Komplikationen. Das Kopieren der DNA geht schief, und es schleichen sich Fehler ein. Mit einem bestimmten Mechanismus - der Mismatch Repair (Fehlpaarungs-Reparatur) - kann die Zelle diese Fehler nach der Replikation noch reparieren.
Modrich fand heraus, was für Enzyme dabei notwendig sind und wie das System funktioniert. Bei vielen Krebsarten funktioniert zumindest einer dieser drei Mechanismen nicht oder nur unzureichend. Die betroffenen Zellen sind für ihr Überleben ganz besonders angewiesen auf noch verbleibende - was Forscher als Ansatzpunkt für Krebstherapien sehen. Mit Substanzen, die genau diese Systeme zum Stillstand bringen, ließen sich Krebszellen aushungern und die Krankheit besiegen, so die Hoffnung. Erste Ansätze dazu gibt es bereits.
Erst zwei Nobelpreise für die Türkei
Nach Orhan Pamuk (Literaturnobelpreis 2006) ist Sancar erst der zweite türkische Staatsbürger, der einen Nobelpreis erhält - und der erste im Bereich Chemie. Der 1946 im anatolischen Savur geborene US-Forscher hat nach Angaben der Zeitung "Hürriyet" sieben Geschwister. Seine Eltern seien Analphabeten, hätten jedoch viel Wert auf die Bildung ihrer Kinder gelegt.
Die feierliche Überreichung des Nobelpreises findet traditionsgemäß am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. Die höchste Auszeichnung ist mit umgerechnet rund 850.000 Euro (8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Im vergangenen Jahr wurden der deutsche Forscher Stefan Hell sowie die US-Amerikaner Eric Betzig und William Moerner für die Erfindung superauflösender Mikroskope geehrt.
Quelle: ntv.de, asc/dpa