Sensationsfund am Mount Everest Nach 100 Jahren: Überreste von Bergsteiger Irvine entdeckt
11.10.2024, 12:13 Uhr Artikel anhören
Irvine und Mallory starben 1924 am Mount Everest.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Vor 100 Jahren stirbt Andrew Irvine am Mount Everest. Bis heute ist es das größte Alpinismus-Rätsel, ob er und sein Begleiter George Mallory den Gipfel erreicht haben. Nun entdeckt ein Filmteam einen Stiefel mit Fuß und Socke - in die der Name des Bergsteigers eingestickt ist.
Mehr als 100 Jahre nachdem der berühmte Bergsteiger Andrew "Sandy" Comyn Irvine auf dem Mount Everest verschwand, sind offenbar sterbliche Überreste des Briten gefunden worden. Von der Sensation berichtet das Magazin "National Geographic". Demnach hat ein Dokumentarfilmteam des Magazins im September einen Stiefel mit einem Fuß darin gefunden, als es die Fläche des Central Rongbuk Glacier unterhalb der Nordwand des Mount Everest genauer untersuchte.
Der Gletscher hatte die Überreste offenbar erst kürzlich bei einer Schmelze freigegeben. "Ich glaube, er schmolz buchstäblich eine Woche, bevor wir ihn fanden", so Fotograf und Regisseur Jimmy Chin. Der Stiefel besteht dem Bericht zufolge aus rissigem, altem Leder, ist abgenutzt und die Sohle ist mit diamantförmigen Stahlnägeln einer vergangenen Ära des Kletterns besetzt. Auch eine Socke war erhalten, auf dieser ist A.C. Irvine eingestickt zu lesen, zeigen Fotos des Teams.
"Ich hob die Socke hoch", so Chin über den Moment, "und da war ein rotes Etikett mit der Aufschrift A.C. Irvine aufgenäht." Er und seine Begleiter hätten die Bedeutung dieses Moments sofort erfasst. "Wir sind alle buchstäblich im Kreis gerannt und haben F-Bomben geworfen (ein euphemistischer Ausdruck für das Wort "fuck", Anm.d.Red.)."
Fundstück in Kühlbox abtransportiert
Weil das Team Vögel am Stiefel bemerkte, baten sie um die Freigabe des Artefaktes. Mit Zustimmung der China-Tibet Mountaineering Association (CTMA), der Regierungsbehörde, die für die Nordseite des Everest zuständig ist, hat Chin den Stiefel mitsamt Fuß und Socke in einer Kühlbox heruntergebracht und der CTMA übergeben, berichtete er. Sein Team entnahm auch eine DNA-Probe, die zur weiteren Identifizierung verwendet werden soll. Mitglieder der Familie hätten sich bereit erklärt, DNA-Proben abzugeben, die mit den Überresten verglichen werden sollen, um die Identität zu bestätigen. "Aber ich meine, Alter", so Chin. "Da ist ein Etikett drauf."
Beim Versuch, den höchsten Gipfel der Welt als erster Mensch gemeinsam mit George Mallory zu besteigen, war Irvine am 8. Juni 1924 umgekommen. Bis heute ist ungeklärt, ob die beiden zuvor den Gipfel erreicht hatten - es ist das größte Bergsteiger-Geheimnis der Welt. Sollten Irvine und Mallory erfolgreich gewesen sein, hätten sie ihre Leistung 29 Jahre vor der endgültigen Bezwingung des Everest durch Tenzing Norgay und Sir Edmund Hillary vollbracht.
Die sterblichen Überreste von Mallory waren 1999 gefunden worden, von Irvine gab es keine Spur. "Es ist der erste wirkliche Beweis dafür, wo Sandy gelandet ist", so Chin. "Es wurden schon viele Theorien aufgestellt." Er hoffe, dass die Entdeckung mithilft, aufzuklären, was 1924 auf dem Berg passierte. Zudem solle der Fund den Verwandten von Irvine ein wenig Trost spenden. "Wenn jemand verschwindet und es keine Beweise dafür gibt, was mit ihm passiert ist, kann das für die Familien eine echte Herausforderung sein. Und einfach nur ein paar definitive Informationen darüber zu haben, wo Sandy gelandet sein könnte, ist sicherlich hilfreich und auch ein großer Anhaltspunkt für die Klettergemeinde, was passiert ist."
Suche nach Kamera geht weiter
Chin erzählte weiter, er habe zeitnah Irvines Großnichte Julie Summers informiert. Die heute 64-Jährige hatte im Jahr 2001 eine Biografie über den Bergsteiger geschrieben. Sie sei dankbar gewesen und habe bestätigt, dass der Stiefel Irvine gehört habe. "Es ist ein Gegenstand, der ihm gehörte und in dem ein Stück von ihm steckt", sagte sie demnach. "Er erzählt die ganze Geschichte darüber, was wahrscheinlich passiert ist." Summers vermute, dass die Überreste Irvines von Lawinen den Berg hinuntergefegt und von dem sich bewegenden Gletscher zerquetscht wurden.
Als die Überreste von Mallory im Jahr 1999 gefunden wurden, konnten einige Fragen zum Schicksal der beiden Bergsteiger geklärt werden. Etwa, dass Seilspuren auf einen Sturz hindeuteten. Doch die Hoffnung lebte weiter, dass eines Tages auch Irvine gefunden werde. Er hatte die von Expeditionsmitglied Howard Somervell geliehene Kodak Vest Pocket Kamera bei sich. Der unentwickelte Film in der Kamera, so empfanden es Experten, könnte der einzige schlüssige Beweis sein, ob die Bergsteiger den Gipfel erreicht hatten, bevor sie abstürzten. Und so gibt es immer wieder Teams, die sich auf die Suche am Mount Everest machen.
Schutz vor Trophäenjägern
Wenige Tage vor der Entdeckung des Stiefels haben Chin und sein Team eine Sauerstoffflasche mit der Jahreszahl 1933 gefunden, so der Regisseur. Damals hatte es den vierten Versuch gegeben, den Berg zu erklimmen, auch dieser war gescheitert. Neun Jahre nach dem Verschwinden von Irvine und Mallory hatten Mitglieder der Expedition allerdings einen Eispickel von Irvine am Nordostgrat gefunden. Chin sagte, das habe sein Team spekulieren lassen, inwieweit Überreste von Irvine dort in der Nähe zu finden seien. Die Spur brachte sie letztlich zum Stiefel.
Chin hofft, bald weitere Artefakte, womöglich auch die begehrte Kamera, zu finden. Der Fund des Stiefels "schränkt das Suchgebiet sicherlich ein". Genauere Angaben zum Fundort will das Team seiner Aussage zufolge nicht bekannt geben, um Trophäenjäger abzuschrecken.
Irvine war mit 22 Jahren das jüngste Mitglied der Expedition von 1924. Zwei britische Missionen waren vorangegangen, 1921 hatte ein Team mögliche Kletterrouten erkundet, ein Jahr darauf gab es den ersten ernsthaften Versuch der Besteigung. Irvine und Mallory machten sich schließlich am Morgen des 8. Juni 1924 vom letzten Hochlager auf den Weg zum Gipfel. Das Wetter war nicht perfekt, die beiden aber litten unter Zeit- und Erfolgsdruck, weswegen sie trotzdem aufbrachen. Ob sie den Gipfel erreichten, ist bis heute Bestandteil großer Spekulationen. Diskutiert wird etwa, ob die damaligen technischen Möglichkeiten und die herrschenden Bedingungen einen Erfolg überhaupt zugelassen haben. Hillary sagte einmal, er sei definitiv der Erste, der auch lebend vom Gipfel zurückgekehrt sei.
Quelle: ntv.de, ara