Wer wird am meisten zitiert? Oscars unwichtig für Bedeutung von Filmen
19.01.2015, 21:57 Uhr
Vielzitierter Klassiker: Humphrey Bogart als Richard 'Rick' Blaine und Ingrid Bergman als Ilsa Lund Laszlo blicken sich in "Casablanca" von 1942 tief in die Augen.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Woran erkennt man einen bedeutenden Film? Auszeichnungen, Kritikermeinungen oder Erfolg beim Publikum spielen kaum eine Rolle, finden Forscher heraus. Wichtig ist vielmehr etwas ganz anderes, das dann auch erfolglosen Filmen Bedeutung verleiht.
Die langfristige Bedeutung eines Films lässt sich am ehesten davon ableiten, wie oft er in anderen Werken zitiert wird. Einschätzungen von Filmkritikern, Preise wie etwa Oscars oder der Erfolg an den Kinokassen sind dagegen einer Studie zufolge nur wenig aussagekräftig. Das berichten Forscher der Northwestern University in Evanston (US-Staat Illinois) in den "Proceedings" der US-nationalen Akademie der Wissenschaften ("PNAS").
Das Team um den Ingenieur Luís Amaral, Kodirektor des Instituts für Komplexe Systeme, verglich verschiedene Möglichkeiten, um die Bedeutung eines Films zu erfassen: Die Forscher entwickelten Skalen, die sowohl subjektive als auch objektive Kriterien messen. Zu den subjektiven Faktoren gehören etwa Bewertungen von Kritikern, Preise und die öffentliche Meinung. Zu den objektiven Kriterien zählen hingegen Zitierungen in anderen Filmen und der Kassenerfolg.
Manchmal reicht eine charakteristische Szene
In die Analyse flossen insgesamt 15.425 US-Filme ein, die in der Datenbank Internet Movie Database (IMDb) gelistet sind. Darin finden sich auch Informationen, ob ein Film von einem anderen Werk inspiriert wurde oder es umgekehrt zitiert hat. Die Bedeutung eines Films machten die Wissenschaftler davon abhängig, ob er über einen Eintrag im Nationalen Filmregister (NFR) verfügt. Dieses Verzeichnis der US-Kongressbibliothek (Library of Congress) enthält derzeit 625 US-Filme, die als kulturell, historisch oder ästhetisch bedeutsam eingestuft werden.
Eine der berühmtesten Szenen der Filmgeschichte: Marilyn Monroe mit wehendem Rock über einem New Yorker Luftschacht neben Tom Ewell in der Billy-Wilder-Komödie "Das verflixte 7. Jahr" (1955).
(Foto: picture-alliance / dpa)
Ergebnis: Bei Filmen, die von anderen Werken zitiert werden, ist die Wahrscheinlichkeit am höchsten, dass sie auch in das Filmregister aufgenommen wurden. Dazu gehören etwa "Der Zauberer von Oz", "Star Wars", "Casablanca", "Vom Winde verweht" oder auch der Thriller "Psycho" mit seiner berühmten Duschszene. Die Bedeutung mancher Filme symbolisiert eine einzige charakteristische Szene, etwa jene Einstellung aus "Das verflixte 7. Jahr", in der Marilyn Monroes weißer Rock durch die Abluft der U-Bahn aufgewirbelt wird. 55 Prozent jener Filme, die "Das verflixte 7. Jahr" zitierten, bezogen sich auf diese Szene.
Amaral sagt dazu: "Jeder Film hat etwas, das für uns versteckt ist, aber es gibt messbare Faktoren wie Kritikerbewertung, Preise und die Zitierungen anderer Filmemacher, die einen Hinweis auf dieses versteckte Element - nämlich die Bedeutsamkeit eines Films - geben." Die Studie zeige, dass nicht die Kritiker festlegten, welche Filme wichtig seien, sondern die Filmemacher der Gegenwart und Zukunft.
So objektiv wie möglich
"Filmkritiker können zu selbstsicher darin sein, wichtige Filme zu entdecken, und sie haben Vorlieben", wird Amaral in einer Mitteilung der Universität zitiert. Das von ihm und seinen Kollegen entwickelte Analyseraster sei hingegen so objektiv wie möglich. Es erfasse nicht nur Filme, die in der NFR aufgeführt seien, sondern auch solche wie "Charlie und die Schokoladenfabrik" aus dem Jahr 1971. Dieser floppte zwar an den Kinokassen, wurde aber über die Jahre immer beliebter und steht in der Analyse der Forscher nun in Hinblick auf Zitierungen durch andere Filme auf Platz 37. Zudem könne es manchmal 25 Jahre dauern, bis ein Film Teil des NFR werde, wie das Beispiel "Dirty Harry" (1971) zeige.
Es liege es in der Natur der Sache, dass die Bedeutung nicht immer gleich klar sei. Dies gelte auch für andere Formen der Kunst oder Bereiche, in denen Einfluss erst wachsen müsse. Die Forscher wollen ihr Raster nun auf andere kreative Gebiete übertragen, vor allem auf die Wissenschaft. "Jedes Jahr werden weltweit mehr als eine Million wissenschaftliche Artikel veröffentlicht", erläutert Amaral. "Es kann schwierig sein, eine gute Veröffentlichung von einer durchschnittlichen zu unterscheiden - ähnlich wie bei Filmen."
Quelle: ntv.de, abe/dpa