Schwere Wunden an der Front Ukraine-Krieg schafft Nährboden für Killerkeime - auch in Deutschland
08.12.2024, 07:36 Uhr Artikel anhören
Ukrainische Sanitäter versorgen ukrainische Soldaten, die bei Kämpfen bei Pokrowsk verwundet wurden. Der Einsatz von Breitbankantibiotika kann lebensrettend sein.
(Foto: picture alliance / Anadolu)
In der Ukraine breiten sich durch den Krieg Bakterien aus, die gegen alle bekannten Antibiotika resistent sind. Wunden von verletzten Soldaten bieten den Nährboden für die gefährlichen Erreger. Auch in Deutschland sind diese bereits angekommen.
Auf den Schlachtfeldern der Ukraine werden jeden Tag Soldatinnen und Soldaten schwer verwundet. Bis Verletzte von der Front ins Krankenhaus transportiert werden, können jedoch mehrere Tage vergehen. Um zu verhindern, dass sich die Wunden der Verletzten infizieren, geben Sanitäter häufig als erste Maßnahme Breitbandantibiotika, die viele bakterielle Erreger bekämpfen.
Doch das hat seinen Preis: Der Mikrobiologe Scott Pallett sagte gegenüber der Fachzeitschrift "Science", dass der präventive Einsatz der Medikamente zwar unvermeidlich sei. Jedoch könne der hohe Einsatz von Breitbandantibiotika "Öl ins Feuer gießen". Denn befördert auch die Entwicklung von Resistenzen bei Bakterien, denen Antibiotika dann nichts mehr anhaben können.
Krankenhäuser am Limit
Neben der Vergabe von Breitbandantibiotika an der Frontlinie begünstigen auch die desolaten Bedingungen der ukrainischen Kliniken eine Verbreitung von resistenten Bakterien. Stromausfälle, Mangel an Desinfektionsmittel und zu wenig Personal machen eine effektive Infektionskontrolle nahezu unmöglich. Zudem werden pro Tag laut Quellen der WHO zwei Krankenhäuser in der Ukraine selbst zum Angriffsziel.
In ukrainischen Krankenhäusern hat insbesondere das Bakterium Klebsiella pneumoniae eine besorgniserregende Resistenz gegen alle Antibiotika entwickelt: Das liegt an einem speziellen Gen namens NDM-1, das die Bakterien fast unbesiegbar macht. Es hat außerdem eine besondere Eigenschaft: Klebsiella pneumoniae kann Resistenzgene an andere Bakterien weitergeben. Das bedeutet, dass auch andere Bakterien resistent werden können.
Die kleinen Stäbchenbakterien leben üblicherweise harmlos im menschlichen Darm, wo sie Laktose spalten. Zur Bedrohung wird Klebsiella pneumoniae erst, wenn es in Körperregionen gelangt, wo es nicht hingehört. Bei Operationen in Kliniken wird die Hautbarriere geöffnet und Bakterien können durch den Schnitt in anderes Körpergewebe gelangen und sich dort verbreiten. Speziell tiefe Wunden von Soldaten bieten ideale Bedingungen dafür.
Für Verletzte ist Erreger oft tödlich
Die Folgen können lebensbedrohlich sein: Infektionen mit Klebsiella pneumonia können selbst bei gesunden Menschen zu Lungenentzündungen und Harnwegsinfektionen führen. Für Verletzte und Erkrankte ist der multiresistente Erreger oft tödlich.
Patienten, die gegen resistente Infektionen kämpfen, werden in Deutschland in Isolierzimmern stationiert. Das Personal trägt dabei Schutzkleidung. In der Ukraine ist dies bei der desolaten gesundheitlichen Infrastruktur jedoch unmöglich ist, heißt es in "Science".
Die extrem widerstandsfähigen Bakterien wurden auch bei vier internationalen Soldaten gefunden, die nach Verwundungen in der Ukraine nach Deutschland evakuiert wurden. Die untersuchten Erreger waren selbst gegen neueste Antibiotika und Reserveantibiotika, die in Deutschland bisher noch nicht eingesetzt werden, resistent.
Wachsende Gefahr für globale Gesundheit
Um die Verbreitung resistenter Bakterien über die Ukraine hinaus zu verhindern, liefern Organisationen wie WHO medizinische Geräte und schulen Krankenhauspersonal, um die Erreger schnell zu identifizieren. Automatisierte Diagnosetools sollen helfen, die Keime schneller zu entdecken und Maßnahmen zur Eindämmung zu ergreifen.
Laut WHO sterben jedes Jahr weltweit mehr Menschen an antibiotikaresistenten Infektionen als an HIV oder Malaria: schätzungsweise 5 Millionen. Studien zeigen, dass sich ohne entschiedene Gegenmaßnahmen die Zahl der Todesfälle durch resistente Bakterien bis 2050 fast verdoppeln könnte. Wie stark verbreitet die resistenten Erreger in der Ukraine derzeit sind, dazu gibt es allerdings keine genauen Zahlen.
Dennoch warnt Mikrobiologe Pallett: "Das Ausmaß der Arzneimittelresistenz, das wir in der Ukraine beobachten, läutet die Gefahr einer postantibiotischen Ära ein." Ohne eine konzertierte Anstrengung gegen medikamentenresistente Bakterien, sagt er, "werden wir in 10 oder 20 Jahren möglicherweise keine Antibiotika mehr für viele Arten von Infektionen haben. Das hält mich nachts wach".
Erbe der Sowjetunion
Nicht erst seit dem russischen Überfall kämpft die Ukraine gegen resistente Keime. Wie in anderen ehemaligen Sowjetstaaten wurden Breitbandantibiotika lange rezeptfrei verkauft. Deren Missbrauch förderte die Verbreitung von resistenten Bakterien. Ukrainische Ärzte verschrieben zudem oft geringe Dosen antibiotischer Mittel über längere Zeiträume – ein Ansatz, der Bakterien zwar stresst, ohne sie jedoch abzutöten.
So verändern sich die Gene der Bakterien und werden resistent gegenüber Antibiotika. Seit den Konflikten in der Donbass-Region 2014 stieg die Ausbreitung resistenter Keime rapide an, die russische Invasion acht Jahre später hat die Situation nochmals verschärft.
Um zu verhindern, dass sich resistente Keime auch in Deutschland ausbreiten, empfiehlt das Robert-Koch-Institut ukrainische Patienten nach medizinischen Behandlungen auf resistente Keime zu testen und gegebenenfalls strenge Hygienemaßnahmen zu ergreifen. Bis Oktober 2024 wurden rund 1,2 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine in Deutschland registriert.
Quelle: ntv.de