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Konsum steigt mit Arbeitsdruck Wie gefährlich ist Alkohol?

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Ein Gläschen in Ehren ... Forscher sind sich einig: Einen risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht.

(Foto: imago/Westend61)

Alkohol hat nicht nur ein hohes Suchtpotenzial, es mehren sich auch die Belege, dass er schwere Erkrankungen begünstigt - bis hin zu Krebs. Der Alkoholatlas fasst zusammen, was Forscher über die Alltagsdroge wissen, die oft unterschätzt wird.

Noch in den 1970er- und 1980er-Jahren war Alkoholkonsum wie selbstverständlich in den Alltag integriert. Mehr als 17 Liter reinen Alkohol trank jeder Deutsche durchschnittlich im Jahr 1976, mehr als die Hälfte davon stammte aus Bier, hier lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei 194 Litern. 2014 dann trank jeder Deutsche nur noch 11 Liter reinen Alkohol und 119 Liter Bier. Ein Grund zur Entwarnung also? "Nein", meint Ute Mons, die am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg (DKFZ) die Stabsstelle Krebsprävention leitet und eine der Autorinnen des jüngst erschienenen Alkoholatlas ist. "Schaut man in der Statistik weiter zurück, sieht man, dass wir heute erst wieder auf dem Stand der 1960er-Jahre sind."

Tatsächlich wird in Deutschland immer noch jede Menge Alkohol getrunken. Doch bei welcher Menge gilt das als riskant? Klar ist für die Forschung inzwischen: Einen risikofreien Alkoholkonsum gibt es nicht - auch wenn verschiedene Institute jeweils andere Schwellenwerte ansetzen. Das Münchner Institut für Suchtforschung und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung etwa sehen die Grenze bei einem Tagesdurchschnitt von mehr als 24 Gramm Reinalkohol bei Männern und zwölf Gramm bei Frauen, das Robert Koch-Institut hingegen nennt etwas niedrigere Werte von 20 und 10 Gramm – eine Menge, die etwa in einem halben Liter Bier enthalten ist beziehungsweise beim Wert für Frauen in einem Viertelliter. Ist also das allabendliche Gläschen Wein oder Bier schon zu viel? Ab wann wird der regelmäßige Alkoholkonsum zur Sucht? Und wer ist besonders gefährdet?

Lange Arbeitszeiten, mehr Konsum

"Man mag das Bild des arbeitslosen Alkoholikers im Kopf haben, der sich mit Billigwodka aus dem Discounter betrinkt", sagt Mons, "und auf der anderen Seite die Vorstellung, dass sich Menschen in höheren sozialen Schichten gesundheitsbewusster verhalten." Dieses Klischee treffe aber nicht zu: "Bei Männern ist der Konsum in den verschiedenen Statusgruppen recht ähnlich. Und besonders bei Frauen sehen wir sogar im Gegensatz dazu, dass es vor allem die höher gebildeten sind, die ab dem 45. Lebensjahr einen riskanten Konsum aufweisen", berichtet Mons.

Der Grund ist noch nicht geklärt; sie vermutet allerdings, dass Alkohol häufig auch ein Statussymbol ist, vom guten Cognac bis zur erlesenen Weinsammlung im Keller. Auch hohe berufliche Belastung könnte ein Grund sein – eine Einschätzung, die Karl-Heinz Ladwig teilt, Leiter der Gruppe Psychische Gesundheit am Helmholtz Zentrum München: "Die Belastungen am Arbeitsplatz haben zugenommen und damit auch die Notwendigkeit, kompensatorisch gegenzusteuern." Untersuchungen hätten gezeigt, dass lange Arbeitszeiten mit einem erhöhten Alkoholkonsum assoziiert seien. Ab Arbeitszeiten von wöchentlich mehr als 48 Stunden steige demnach das Risiko für riskanten Alkoholkonsum deutlich an.

Das verharmlosende Motto "Work hard, drink hard" sei aber eine Instrumentalisierung des Genusses in die falsche Richtung, so Ladwig. Besser sei: "Work hard, gym hard." Aber letztlich, sagt der Mediziner, hätten Alkoholika auch einen Wert als Kulturgut: "Auf ein gutes Glas Wein oder ein gelegentliches Bier möchte auch ich nicht verzichten. Man sollte aber nicht über die Stränge schlagen."

Wenn Alkohol selbstverständlich wird ...

Wann ein problematischer Konsum beginnt, sei indes häufig schwer zu erkennen, sagt Norbert Wodarz, Leiter der Abteilung Suchtforschung an der Universität Regensburg. Zwar gebe es, wie auch für andere Substanzen, sechs Kriterien, an denen man einen Missbrauch festmachen könne: zwanghafter Konsum, Kontrollverlust, Abstinenzverlust, Toleranz, Entzugserscheinungen und ein Rückzug aus dem Sozialleben. Wenn drei dieser Kriterien erfüllt seien, liege eine Abhängigkeit vor. "In der Praxis ist es aber nicht immer ganz einfach, festzulegen, wann die durchlässige Grenze zwischen normalem Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit überschritten ist", sagt er. Gefährdet seien vor allem diejenigen, für die der Alkohol im Alltag wie selbstverständlich dazugehört. "Wenn es dann zu einer persönlichen Krise kommt, etwa bei Jobverlust oder einer Trennung, explodiert plötzlich der Konsum."

Wie es schließlich zur Entstehung einer Abhängigkeit kommt, untersucht an der Berliner Charité der Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Andreas Heinz. "Frühere Suchttheorien strotzen vor haltlosen Persönlichkeitsannahmen", sagt der Psychiater, "und waren oft einfach abwertend. Heutzutage schauen wir mit einem neurobiologischen Suchtmodell eher auf die Wirkung von Botenstoffen im Gehirn – etwa von Dopamin."

Aus der Therapieforschung kann der Psychiater berichten, dass die "Selbstwirksamkeitsüberzeugung" – der Glaube an sich selbst – ein guter Indikator für den Erfolg einer Therapie ist. "Die Leute, die überzeugt sind, vom Alkohol loszukommen, schaffen es häufig auch. Das Wissen, was alles passieren kann, wenn man weiter trinkt, hilft hingegen kaum. Deshalb bringt es nichts, zu moralisieren – tatsächlich muss man den Menschen helfen, wieder an sich zu glauben", so Heinz.

Alkohol kann Krebsrisiko erhöhen

Welche langfristigen Schäden ein vermehrter Alkoholkonsum oder eine Alkoholsucht nach sich ziehen kann, ist bei jedem Menschen verschieden, betont der Regensburger Suchtforscher Wodarz: "Es gibt individuell verschiedene Prädispositionen, welche Organe bei einzelnen Personen zuerst Schaden nehmen. Manche trinken große Mengen Alkohol und die Leber verkraftet dies gut, während sich die Bauchspeicheldrüse chronisch entzündet – ein wichtiger Faktor ist die persönliche Veranlagung."

Ab welchen Mengen zumindest das statistische Risiko für Krankheiten steigt, haben die Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums im Alkoholatlas aus verschiedensten Studien der vergangenen Jahre zusammengetragen. Ihre Erkenntnisse: Das Risiko für Lebererkrankungen steigt ab 40 Gramm Alkohol pro Tag bei Männern und 20 Gramm bei Frauen (das entspricht 0,8 beziehungsweise 0,4 Litern Bier). Chronischer Alkoholkonsum schädigt darüber hinaus das Nervensystem, ungeborene Kinder erleiden bereits Schäden, wenn die Mutter nur geringe Mengen trinkt.

Ute Mons vom Deutschen Krebsforschungszentrum hebt aber noch einen weiteren Aspekt hervor, der zunehmend in den Fokus der Forscher gerät: den Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und dem Krebsrisiko. "Die Menschen werden immer älter, wodurch zunehmend Krebserkrankungen auftreten werden, die auch auf die Verhaltensweisen der vorhergehenden Jahre zurückzuführen sind. Allein für das Jahr 2010 schätzt man, dass 13.000 Krebsfälle in Deutschland auf Alkoholkonsum zurückzuführen sind." Zwar ist noch nicht für alle Krebsarten geklärt, wie Alkohol das Erkrankungsrisiko erhöht, ein Zusammenhang ist aber deutlich belegt.

Wer täglich Alkohol in der Menge von einem kleinen Kölsch bis zu einem Liter Bier trinkt, hat ein fast doppelt so hohes Risiko für Mundhöhlen- und Rachenkrebs gegenüber denjenigen, die keinen Alkohol trinken; das Gleiche gilt für Speiseröhrenkrebs. Für Kehlkopfkrebs ist das Risiko etwa 1,5-mal so hoch und für die Leber zumindest erhöht. Selbst bei Brustkrebs gibt es klare Hinweise darauf, dass das Risiko durch hohen Alkoholkonsum steigt: "Zwar gibt es keine Schwellendosis – es gibt Frauen, die empfindlicher reagieren als andere und solche, die weniger empfindlich sind. Man kann aber davon ausgehen, dass von den jährlich 40.000 Brustkrebsdiagnostiken etwa 4000 auch mit durch Alkohol induziert sind", sagt der Alkoholforscher Helmut Seitz von der Universität Heidelberg.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat im Jahr 2017 allein aus Bundesmitteln 2,5 Millionen Euro in die Alkoholprävention investiert, unterstützt durch weitere sechs Millionen Euro vom Verband der Privaten Krankenversicherung. Präventionsexpertin Michaela Goecke ist daher zuversichtlich: "Meine Prognose ist, dass sich der Alkoholkonsum reduzieren wird." Goecke sieht einen allgemeinen Trend zu mehr Gesundheitsbewusstsein und einen wachsenden Markt für alkoholfreie Alternativen.

Dies ist eine gekürzte Textversion. Den vollständigen Beitrag finden Sie hier.

Quelle: ntv.de, Tim Haarmann/helmholtz.de

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