Frage & Antwort

Frage & Antwort, Nr. 174 Keine Mord-Urteile gegen Eltern?

In diesem Haus in Wenden im Siegerland waren drei Kinderleichen gefunden worden. Die Mutter wurde 2008 wegen Totschlags zu vier Jahren Haft verurteilt.

In diesem Haus in Wenden im Siegerland waren drei Kinderleichen gefunden worden. Die Mutter wurde 2008 wegen Totschlags zu vier Jahren Haft verurteilt.

(Foto: picture alliance / dpa)

Warum werden Eltern, die ihre Kinder töten, nie wegen Mordes verurteilt? (fragt Matilda P. aus Aschaffenburg)

Im Dezember 2010 wirft eine junge Mutter in Berlin ihr Kind aus dem Fenster ihrer Wohnung. Ein Stockwerk tief fällt der kleine Junge in den Schnee und stirbt schließlich an Unterkühlung, nachdem ihn Nachbarn gefunden hatten. Die Mutter wird festgenommen, offenbar ist sie psychisch gesund. Begründung für die Festnahme: Totschlag.

Das ist nur eines der - leider - zahlreichen Beispiele, in denen ein Elternteil das eigene Kind tötet und schließlich wegen Totschlags verurteilt wird. Trifft die Beobachtung unserer Leserin also zu, dass Mütter oder Väter, die ihre eigenen Kinder umbringen, nie wegen Mordes verurteilt werden?

Schon ein kurzer Blick ins n-tv.de-Archiv macht stutzig. Durchaus werden Eltern auch wegen Mordes verurteilt - und das gar nicht mal so selten. Die Eltern der dreijährigen Sarah etwa, die im Jahr 2009 verhungerte. Oder die der kleinen Siri, die im Mai 2008 an den Misshandlungen durch ihre Eltern starb.

Mord-Urteile sind also durchaus üblich, wenn Eltern ihre Kinder töten. Dennoch: Ist vielleicht etwas dran an der Feststellung, dass Eltern seltener dieses harte Urteil trifft? Und wenn ja, warum?

Häufung von Totschlag-Urteilen?

Dass man über konkrete Zahlen sprechen kann, bezweifelt Professor Tobias Singelnstein von der Freien Universität Berlin. "Mir sind keine speziellen Untersuchungen bekannt, die einen geringeren Anteil von Verurteilungen wegen Mordes bei Tötung eines Kindes durch die Eltern exakt belegen", sagt der Experte für Strafrecht n-tv.de.

Genau belegen lässt sich die Beobachtung unserer Leserin also nicht. Darauf weisen auch die Kriminalstatistiken der letzten Jahre hin: 2006 gab es rund 200 Fälle von Kindstötung. Die Urteile: 55 Mal Totschlag, 37 Mal Mord, 12 Mal Körperverletzung mit Todesfolge. Totschlag wird zwar häufiger geurteilt, aber eine besondere Ballung bei Tötungen in Eltern-Kind-Beziehungen lässt sich daraus nicht ableiten.

Mord und Totschlag

Möglicherweise ist der Eindruck unserer Leserin aber doch begründet. Singelnstein erklärt, was überhaupt einen "Mord" im juristischen Sinne ausmacht. "In der öffentlichen Wahrnehmung ist die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag oft verzerrt", erklärt der Jurist. "Die vorsätzliche Tötung eines anderen Menschen ist zunächst jedenfalls ein Totschlag." Häufig werde mit Totschlag aber ein "fahrlässiges Töten" assoziiert und Mord als vorsätzliche bzw. planvolle Tötung verstanden. Das sei jedoch schlicht falsch.

Prof. Dr. Tobias Singelnstein ist Professor an der Freien Universität Berlin. Seine Fachbereiche sind Rechtswissenschaft, Strafrecht und Strafverfahrensrecht.

Prof. Dr. Tobias Singelnstein ist Professor an der Freien Universität Berlin. Seine Fachbereiche sind Rechtswissenschaft, Strafrecht und Strafverfahrensrecht.

(Foto: Privat)

Ein Mord sei nur diejenige vorsätzliche Tötung, die aus besonders verwerflichen Motiven oder Zielen, etwa niedrigen Beweggründen, oder in besonders verwerflicher Begehungsweise durchgeführt werde, also etwa heimtückisch oder grausam. "Geregelt ist das im Strafgesetzbuch unter Paragraph 211", sagt Singelnstein.

Vielleicht liegt hier der Grund für die Beobachtung unserer Leserin. Denn, so könnte man vermuten, vielleicht findet man solche verwerflichen Motive oder heimtückische und grausame Tatdurchführungen seltener in Fällen, in denen Eltern ihre Kinder töten. Häufig spielen dort psychologische Faktoren eine Rolle - oder schlicht eine Überforderung der Eltern. Der Tatbestand des Mordes wäre dann nicht erfüllt. Doch aussagekräftige Belege dafür gibt es nicht. Es bleibt also nicht mehr als eine vage Hypothese.

Übrigens: In der Bestrafung muss sich ein Urteil wegen Totschlags und eines wegen Mordes nicht unbedingt unterscheiden, folgt man strikt dem Gesetz. Totschlag wird nach Paragraph 212 StGB mit mindestens fünf Jahren Freiheitsentzug bestraft. In besonders schweren Fällen kann es lebenslänglich geben. Für Mord muss man auf jeden Fall lebenslang hinter Gitter. In der Praxis kämen lebenslange Freiheitsstrafen wegen Totschlags allerdings nicht vor, klärt Singelnstein auf.

Quelle: ntv.de

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