Leben

Zukunft am Bodensee Alle schweben, der letzte räumt auf

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Spannende Virtual Reality Arbeit von Marie Lienhard. Einmal mit einem Wetterballon über den See aufsteigen, eine Weile schweben und wieder zurück auf den Boden der Tatsachen.

(Foto: Marie Lienhard)

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Geschwindigkeit als Ersatzreligion, endlich Lufttaxis, Leben auf dem Mars: Den "Fetisch Zukunft" wenigstens durch die Brille der Kunst betrachten - das geht im Friedrichshafener Zeppelin Museum. Dort stehen Modelle visionärer Technologien neben multimedialer Kunst.

Alle schweben schwerelos durch den Weltraum, erforschen die unendlichen Weiten und der letzte räumt schließlich die Erde auf. Futuristische Weltraumstädte sind besiedelt, autonome Lufttaxis düsen durchs All, und das Leben ist ewig - Heilsversprechen oder Alptraum? Mit dem "Fetisch Zukunft" setzen sich im Zeppelin Museum fünfzehn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler auseinander. Das Haus in Friedrichshafen beherbergt die weltgrößte Sammlung zur Geschichte und Technik der Luftschifffahrt, daher tritt die Kunst in den Dialog mit technischen und gesellschaftlichen Visionen und Ideen der letzten 120 Jahre.

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"Es macht Spaß hier zu arbeiten", sagt Claudia Emmert, seit 2014 Direktorin des hybriden Museums, in dem Kunst und Originalexponate der Luftschifffahrt gezeigt werden.

(Foto: Zeppelin Museum)

Claudia Emmert, Direktorin des Museums sagt, dass "wir die Welt anders wahrnehmen und freier nachdenken können, wenn wir durch die Brille der Kunst sehen. Unser freiheitlich-demokratisches System gibt es, solange unsere Generation denken kann. Unser Denken und unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit sind ein bisschen eingefahren. Wir nehmen das als selbstverständlich hin und dachten lange Zeit, dass alles so bleibt, wie es ist." Daran rütteln inzwischen die globale Klimakrise, kriegerische Konflikte und unkontrollierbare Flüchtlingsströme. Die Sehnsucht nach der schönen, neuen Welt, voller sozialer Gleichheit und Frieden, scheint unerreichbar.

Der dauernde Krisenmodus schreit nach mehr Mut zur Utopie, da trifft diese Ausstellung den Nerv der Zeit. Die Technik entwickelt sich derzeit rasant. Besonders in Sachen künstlicher Intelligenz, ist das, was heute noch gilt, morgen überholt. Wo also liegt sie, diese bessere Zukunft? Auf dem Mars? Oder sind das nur Fantastereien von Elon Musk, damit er seine Autos besser verkaufen kann? Die Welt von oben zu betrachten, ist ein menschlicher Wunsch, der mit Geschwindigkeit verknüpft ist. Zeitgleich wird Geschwindigkeit zu einer Art Ersatzreligion, sie ist schließlich messbar. Und die Technik dahinter wird Mittel zum Zweck.

Von der Zigarre zum Kriegsgerät

Man könnte sich verheddern im "Fetisch Zukunft, Utopien der dritten Dimension", so der Ausstellungstitel. Der Blick nach vorn ist auch ein Blick zurück. Die Schau ist mit fünf Kapiteln in Geschwindigkeit, Freiheit, Frieden, Unsterblichkeit und Nachhaltigkeit klar gegliedert. Kunst und Technik hinterfragen die Utopien einer lebenswerteren Welt kritisch.

Die dritte Dimension meint den Luft- und Weltraum, schließlich ist man im Museum für Luftfahrt zu Gast. Der Traum vom Fliegen ist alt. Hier am idyllischen Bodensee gelang 1900 Ferdinand Graf von Zeppelin mit seiner schwebenden "Wunschzigarre" die ultimative Utopie. Der erste Flug des Zeppelins dauerte jedoch nur 18 Minuten. Die Maschine wurde weiterentwickelt und war im Ersten Weltkrieg ein Bomben werfendes Kriegsgerät. Danach wurde es zum Friedenssymbol: 1929 umrundete ein Zeppelin sogar die Welt. Der Traum der transatlantischen Flüge zerschellte, als die "Hindenburg" auf ihrer ersten Fahrt des Jahres 1937 bei dem Landemanöver in Lakehurst Feuer fing und 36 Menschen starben.

Kernaussage: Der Mensch gestaltet seine Zukunft

So unglaublich Utopien erscheinen, sie können die Basis für Veränderung sein. Wissenschaft gestaltet und verbessert das Leben, die Kunst wiederum erklärt die Wissenschaft. Die Kernbotschaft von "Fetisch Zukunft" ist, dass der Mensch die Zukunft selbst gestalten kann. Sie passiert nicht einfach. "Wir wollen unser Publikum auffordern, über die Zukunft nachzudenken", erklärt Claudia Emmert ntv.de beim Besuch in Friedrichshafen. So können die Gäste einen Brief an sich selbst schreiben, der ihnen in fünf fernen Jahren zugeschickt werden soll. Auch die mit der Pandemie ins Leben gerufene Plattform "debatorial" wird dank der aktuellen Ausstellung gut angenommen und das Museum erreicht neue Zielgruppen. Jede und jeder kann an dem dortigen Diskurs teilnehmen und kommentieren. "Wir wollen Interaktion und Teilhabe auf einem möglichst breiten Feld anbieten. Das "debatorial" ist nach Social Media-Logik aufgebaut. Ich kann mich durchklicken, nach rechts oder links wischen, Umfragen und ein Quiz poppen auf und fordern die Userinnen und User heraus", so Emmert.

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Der Hafenbahnhof direkt am Bodensee wurde 1996 zum Zeppelin Museum.

(Foto: Zeppelin Museum / Michael Fischer)

Seit 2014 leitet sie dieses Museum, das direkt am See in einem ehemaligen Hafenbahnhof und wunderbaren Bauhaus-Gebäude untergebracht ist. Bis zu einer Viertelmillion Besucherinnen und Besucher kommen im Jahr, um sich mit Technik und Kunst zu beschäftigen. Zu sehen sind eine begehbare Hindenburg-Rekonstruktion des Passagierbereichs mit Schlafkabinen und aufklappbaren Waschbecken und die beachtliche Kunstsammlung der Stadt Friedrichshafen.

Es war nicht ganz einfach, diese beiden so unterschiedlichen Themenbereiche zusammenzubringen, erinnert sich Claudia Emmert. "Ich habe ein tolles Team, aber Kunsthistoriker gehen an Ausstellungen anders ran als Historiker im Bereich Technik und Geschichte. Historiker gehen chronologisch vor und versuchen sich an der Narration der Zeit im jeweiligen historischen Kontext. Die Kunst ist freier und assoziativer. Als wir uns 2017 erstmals darauf einigten, in jeder Ausstellung zu jedem Thema die gesellschaftlichen Auswirkungen ins Zentrum zu stellen, war das der Wunderhebel und die für uns perfekte Lösung."

Endlich zum Mars

So wurden bei "Fetisch Zukunft" neben greifbaren Themen wie Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit auch Abstraktes wie Freiheit, Frieden und Unsterblichkeit entwickelt. In der Ausstellung stehen Modelle visionärer Technologien neben multimedialer Kunst. Können Künstlerinnen und Künstler menschliche Sehnsüchte besser erspüren, sind sie so etwas wie Seismografen der Gesellschaft? Ja, glaubt die Museumschefin. Kunstschaffende mit ihrer Affinität zur Kunst oder auch Musik hätten eine andere Sensibilität und Wahrnehmung, "die bei uns im Alltag durch die vielen Eindrücke, die wir haben, zugedeckt ist. Wenn ich aber in einer Welt lebe, die sich mit Bildsprache umgibt, bekomme ich einfach andere Schwingungen mit."

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Zukunfts-Utopie Taxi-Drohne: Wenn das Fahrzeug kaputt ist, kommt Hilfe aus der Luft. Einziger "Schönheitsfehler": Das Fahrgestell bleibt auf der Straße zurück.

(Foto: Zeppelin Museum / Markus Tretter))

Zurück zum Mars, dem Sehnsuchtsort der Menschen in Sachen Eroberung des Weltraums auch in der Hoffnung auf Unsterblichkeit: "Zukunft Fetisch" zeigt aktuelle Ideen zur Besiedlung des Weltraumes wie das Moon Village der ESA. Dagegen steht die Arbeit der britischen Künstlerin Alexandra Daisy Ginsberg. Sie räumt bei der Besiedelung des Mars den Pflanzen ein Vorrecht ein und rückt damit eine neue ökologische Gerechtigkeit in den Vordergrund. Diese spekulative Utopie lässt sie für das Publikum durch eine umfangreiche Rauminstallation Wirklichkeit werden.

Auf der Reise durch die Utopien bildet die Nachhaltigkeit ein zentrales Thema und den vielversprechenden Abschluss der Ausstellung. Höher, schneller, weiter heißt auch den Ressourcenverbrauch nicht minimieren zu können. "Saubere Technik" und marketinggetriebenes Greenwashing vermitteln die Fortführung uneingeschränkter Mobilität. In den Weltraum zu fliegen, ohne CO₂-Ausstoß - wird das irgendwann Realität?

Das Zeppelin-Museum arbeitet an der Zukunft und daran, seinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren. Die kommende Ausstellung zum Thema Mining im Mai soll komplett klimaneutral gestaltet sein. "Das macht wahnsinnig Spaß, Dinge anders zu betrachten, als man es gewohnt ist", sagt Claudia Emmert voller Enthusiasmus. Plötzlich können einfache Getränkekisten zu einem spannenden Raumteiler werden. Und die wandern später wieder in ihren eigentlichen Nutzungskreislauf zurück. "Es gibt viele Ansätze für ein nachhaltiges Museum, wir haben aber noch keine umfassende Lösung. Das interessante aber ist, die Lösung auf unterschiedlichen Wegen zu suchen." Fetisch Zukunft heißt eben auch dranzubleiben, Ideen auf links zu drehen und sich trauen, utopisch zu denken.

"Fetisch Zukunft. Utopien der dritten Dimension" läuft noch bis zum 16. April, Zeppelin Museum, Seestraße 22, 88045 Friedrichshafen.

Quelle: ntv.de

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