Leben

"I Love Women In Art" Frauen, die sich trauen

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Mackenroth (l) und Kennedy finden: "Was wir machen ist vollkommener Irrsinn." Aber sie stehen voll dahinter!

(Foto: Felix Kraus)

Wenn 100 Frauen über 100 Künstlerinnen schreiben, kommt ein bemerkenswertes Buch heraus. "I Love Women in Art" ist kein langatmiges Nachschlagewerk zur aktuellen Lage der Künstlerinnen in Deutschland. Im Gegenteil: Es ist reich an Anekdoten und klugen, kurzweiligen Texten von Sammlerinnen, Kuratorinnen oder Journalistinnen. Alle geben eigene Einblicke in die Arbeit von Künstlerinnen quer durch die Kunstlandschaft - und vor allem ist für jeden Geschmack etwas dabei. Diese längst überfällige Idee hatten Bianca Kennedy, 30, die in Berlin lebt und arbeitet, und die derzeit in München beheimatete Janine Mackenroth, 31. n-tv.de hat mit beiden Künstlerinnen via Zoom über Frauen, die sich trauen, fehlende Geschlechtergerechtigkeit, Marktwert und überschätzte Künstler gesprochen.

ntv.de: Warum ist das Thema Frauen in der Kunst gerade jetzt so wichtig?

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Janine Mackenroth am Leuchtenbergring in München.

(Foto: V. Dudek)

Janine Mackenroth: Es fehlt immer noch an Sichtbarkeit, und Kunst zu studieren ist nicht selbstverständlich. Bianca und ich hatten vor drei Jahren die Idee zu einer Zusammenarbeit. Wir wussten, dass 2019 das Jubiläum 100 Jahre Frauen in der Kunst ansteht. Das Frauenwahlrecht war die Vorstufe, um als Frau überhaupt Kunst an der Akademie studieren zu dürfen. Erst mit diesem Recht öffneten sich die Kunstakademien. Man kann das Jubiläum übrigens bis 2021 ziehen, da mit der Düsseldorfer Akademie 1921 schließlich auch die letzte Hochschule Frauen zugänglich war. Unseren Vorreiterinnen haben wir es zu verdanken, dass wir an der Akademie studieren dürfen.

Die Mehrheit der Studierenden an den Kunstakademien sind inzwischen Frauen. Galerien werden zwar zu gleichen Teilen von Männern und Frauen geführt, aber nur 35 Prozent der Kunst, die sie verkaufen, ist von Frauen gemacht. Das ist wenig. Es sind zwar zehn Prozent mehr als noch vor zehn Jahren, aber ist das nicht trotzdem eine frustrierende Erkenntnis?

Bianca Kennedy: Und wie. Man schlägt ein x-beliebiges Kunstbuch auf, und dann sind von 150 Positionen nur zwei von Frauen. Mit unserem Buch wollten wir auch zeigen, dass es nicht daran liegt, dass Frauen keine gute Kunst machen. Das Problem ist ein ganz anderes.

Und zwar?

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Bianca Kennedy mit ihrer Videokunst. Sie hat damit schon Preise gewonnen.

(Foto: Bianca Kennedy)

Mackenroth: Es liegt an der Geschichte unserer Zivilisation - Frauen wurden unterdrückt und bis vor 100 Jahren war das sogar gesetzlich verankert. Heute wissen wir zwar über die ungleiche Bezahlung Bescheid, aber es passiert dennoch zu wenig. Wir brauchen wohl noch mehr Zeit, um unsere Geschichte aufzuholen. Ich hoffe auf gesetzliche Änderungen - wie wäre beispielsweise eine Quote in Museen? Da würde dann festlegt, dass Minderheiten wie Frauen, aber auch People of Colour und andere gezeigt werden müssen.

Das ist wohl noch Wunschdenken.

Kennedy: Inzwischen wird zumindest über das Thema gesprochen. Wenn ich ein Galerieprogramm sehe, in dem nur Männer vertreten sind, frage ich mich schon, warum sich die Galerie damit so angreifbar macht. Ein männlicher Galerist kann das eigentlich nicht mehr machen.

Ins Museum kommt eine Frau dennoch eher als Muse und nicht als ernstzunehmende Künstlerin. Zum Gender-Pay-Gap kommt also auch das Gender-Show-Gap: Nur zehn bis 15 Prozent der ausgestellten Kunst ist von Frauen. Könnte es sein, dass diese Ausstellungen nur für das richtige Image gemacht werden?

Kennedy: Sollen sie es doch aus den falschen Gründen machen! Der ästhetische Anspruch kann sich auf Dauer nur ändern, wenn man Kunst von Frauen auch zeigt. Macht es einfach! Schreibt es euch meinetwegen aufs T-Shirt, aber macht was.

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Mackenroth: Im Museum kann auch eine Position dabei sein, die nicht so toll ist. Wir haben jetzt Jahrzehnte Kunstwerke von Männern gesehen, die nicht durchgängig gut waren. Es kann auch nicht alles nur super sein, nur weil es eine Frau gemacht hat. Wir dürfen genauso Fehler machen, weniger Gutes liefern. Davon lebt ja der Diskurs.

Damit landen wir beim Kunsthandel, der inzwischen zur Kunst-Industrie geworden ist, in der Milliarden verdient werden. Künstlerinnen verdienen aber ein Drittel weniger als Künstler.

Mackenroth: Da tut sich meiner Meinung nach schon was. Immer mehr Galerien achten auf ein ausgewogenes Programm. Ganz platt formuliert, wenn ein Top-Galerist sagt, diese Künstlerin ist jetzt angesagt, dann ist Power dahinter. Dann kaufen die Leute, weil sie von Galerist XYZ ist. Fertig aus.

Das ist eine Gratwanderung. Liegt es an den Männern selbst, dass Frauen immer noch nicht an ihnen vorbeikommen?

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Zeitgenössische Kunst landet schon mal auf Plakaten - das Bosnian Girl von Šejla Kamerić war Anfang 2000 in Berlin plakatiert

(Foto: Kennedy/Mackenroth)

Kennedy: Na ja, wenn ich überlege, wer mir in der Vergangenheit geholfen oder etwas zugeschoben hat, fallen mir viele Männer ein. Ich glaube nicht, dass die Intention grundlegend böswillig ist, eher faul, und so werden Künstlerinnen regelmäßig übersehen. Das eigentliche Problem ist, dass wir so männlich zivilisiert sind.

Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass beispielsweise in Berlin 90 Prozent der Studierenden weiblich sind. Das Netzwerken müsste da doch eigentlich reibungslos laufen.

Kennedy: Ich habe das Gefühl, dass in der Altersmitte bei vielen Künstlerinnen etwas wegbricht. Frauen werden stark unterstützt, bis sie so 35 Jahre alt sind, danach gibt es kaum noch Förderungen.

Mackenroth: Letztlich spielt das Thema Mutterschaft eine Rolle. Die Gesellschaft bekommt es nicht zusammen: Muttersein und Künstlerin - wie geht denn das? Man hat ein bestimmtes Bild, wie eine Künstlerin zu sein hat. Ein Mann und Künstler, der Vater wird, ist nicht das Thema, aber Mutter werden und weiterarbeiten - noch dazu als Künstlerin? Eine Frau musste lange wählen zwischen Muse, Mutter oder Künstlerin.

Selbstdarstellung auf der eigenen Webseite, Steuer- und Urheberrecht, Finanzen, das alles gehört zum Künstlerinnen-Dasein dazu. Fällt es Frauen schwerer, das alles unter einen Hut zu bekommen?

Kennedy: Da würde ich eher vermuten, dass wir das wesentlich besser können. Besonders wenn Frauen Kinder bekommen und sie weiterarbeiten wollen, gehört eine gute Organisation dazu.

Der Gender-Discount ist Realität. Bei Auktionen, wo das große Geschäft mit der Kunst gemacht wird, schneiden Künstlerinnen deutlich schlechter ab. Was schafft den Marktwert einer Künstlerin?

Mackenroth: Irgendwann in einer Auktion zu landen, funktioniert nur, wenn die Arbeiten auch gezeigt werden. Am besten in guten Galerien mit mehreren Soloshows, in öffentlichen Institutionen. Durch diese essenzielle Sichtbarkeit kaufen schließlich auch Sammler und Sammlerinnen.

Stellt man mit all dem Wissen das Künstlerdasein nicht infrage?

Kennedy: Man liegt morgens im Bett und fragt sich wirklich: "Das habe ich mir ausgesucht?" (lacht)

Mackenroth: Das, was wir machen, hat wirklich die schlechtesten Aussichten auf Erfolg. Es ist eigentlich völliger Irrsinn.

Sie haben die Selbstzweifel offensichtlich überwunden und sind beide Künstlerinnen im Hauptberuf. Janine, Sie sind aktuell mit dem längsten Wandgemälde Europas am Münchner Leuchtenbergring sehr sichtbar. Und Sie, Bianca, haben als Videokünstlerin 2019 mit dem TOY Berlin Masters Award neben der Summe von 10.000 EUR auch Aufmerksamkeit gewonnen. Bleibt die Frage, ob Sie ausschließlich von Ihrer Kunst leben können?

Mackenroth: Ich arbeite als Künstlerin und lebe davon ohne Nebenjobs.

Kennedy: Im Februar habe ich meinen Minijob gekündigt. Corona stellt aber natürlich vieles wieder infrage. Worte wie "systemrelevant" haben im Kunstberuf nicht die Rolle gespielt, wie sie es jetzt tun.

Zu Ihrem Buch: Es ist eine bunte Mischung von Künstlerinnen wie Anni Albers oder Gabriele Münter bis hin zu Superstars der zeitgenössischen Kunst wie Katharina Grosse oder Alicja Kwade, die weltweit nachgefragt sind, aber auch weniger bekannten Frauen.

Kennedy: Wir haben nicht entschieden, die kommt rein und die nicht, das hätte sich falsch angefühlt. Die Autorinnen - Frauen aus Kunst und Kultur - hatten freie Wahl. So sind die Künstlerinnen sehr unterschiedlich und alle Zielgruppen werden bedient. "I Love Women in Art" ist der Versuch eines kleinen Überblicks des Kunst- & Kulturbetriebs in Deutschland.

Mit Bianca Kennedy und Janine Mackenroth sprach Juliane Rohr

Quelle: ntv.de

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