Ein latentes Unwohlsein Mütter - Ideale und immer Druck
21.04.2021, 18:03 Uhr
Noch immer arbeiten sich ganze Müttergenerationen an unrealistischen Idealen ab.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Kaum eine Rolle ist derart überhöht und zugleich so undankbar wie die der modernen Mutter. Studien belegen, dass darunter auch das Wohlbefinden der Mütter leidet. In "Das Unwohlsein der modernen Mutter" analysiert die Autorin Mareice Kaiser, woran das liegt.
"Es tut mir leid, ich schaffe gerade gar nichts außer überleben" - dieser Satz bringt das Gefühl des Gehetztseins moderner Mütter auf den Punkt. So beschrieb es Mareice Kaiser vor drei Jahren in einem Essay für das Onlineportal ze.tt, der vielfach geteilt wurde und den Deutschen Reporterpreis gewann. Nun widmet sie sich dem Thema eingehender: in ihrem gerade erschienenen Buch "Das Unwohlsein der modernen Mutter".
Ausgangspunkt für ihre Analyse ist eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) aus dem Jahr 2018, die belegt: 30 Prozent der Mütter erfahren in den ersten sieben Jahren ihrer Mutterschaft eine deutliche Verschlechterung ihres mentalen Wohlbefindens. "Das Unwohlsein der modernen Mutter" ist also nicht bloß ein griffiger Buchtitel, sondern Realität. .
Kaiser schreibt aus der Perspektive einer getrennt erziehenden Mutter einer zehnjährigen Tochter. Das Buch hat sie unter Extrembedingungen verfasst: Als sie mit dem Schreiben begann, kam die Corona-Krise, ihren neuen Job als Chefredakteurin des Online-Frauenmagazins "Edition F" trat sie im März aus dem Homeoffice an. Wenig später, im April 2020, initiierte sie mit einem Tweet den Hashtag #coronaeltern, der in den sozialen Netzwerken seitdem tausendfach geteilt wurde. "Was machen eigentlich Eltern, die nicht mehr können? Ich frage, nun ja, für fast alle, die ich so kenne", schreibt Kaiser damals.
Strukturelle Probleme, die individualisiert werden
Wie kam sie auf die Idee, den Hashtag loszutreten? "Ich wollte eine Öffentlichkeit schaffen für die Überforderung der Familien. Gleichzeitig beobachtete ich, dass sich vor allem die Mütter zurückzogen, weil sie schlicht keine Zeit dafür hatten, sich neben Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung oder Homeschooling auch noch politisch zu engagieren", so Kaiser. Auch sie konnte das nicht immer leisten, aber unter dem Hashtag teilen Eltern heute immer noch ihre Erfahrungen. Kaiser selbst war von der Resonanz überrascht, Hunderte Nachrichten erreichten sie in den sozialen Netzwerken. Eine Frau schrieb ihr sogar, dass sie ihre Kinderwunschbehandlung abgebrochen hatte. "Sie sagte, unter den jetzigen Bedingungen wolle sie nicht mehr Mutter sein. Das fand ich angesichts der Tatsache, wie viel Energie, Zeit und Geld man in eine solche Behandlung steckt, sehr vielsagend", sagt Kaiser.
In ihrem Buch macht die Autorin eine umfassende Bestandsaufnahme, analysiert Gründe und Mechanismen der Benachteiligung und thematisiert den Druck, der auf Müttern lastet, in Bereichen wie Arbeit, Liebe, dem eigenen Körper und Geld. Dabei deckt sie immer wieder auf, wie strukturelle Probleme individualisiert werden. Kaiser beschreibt, wie sehr das Thema Geld auch ihr Leben bestimmte - als Kind aus einer Arbeiterfamilie war ihr Weg zur Journalistin nicht vorgezeichnet. Sie machte zunächst eine Ausbildung, holte ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nach und absolvierte schließlich ein Volontariat. "Die einzige Phase meines Lebens, in der Geld kein bestimmendes Thema war, waren die zwei Jahre, bevor ich Mutter wurde", schreibt sie. "Dann wurde ich Mutter, und damit waren die Geldprobleme wieder zurück. Das ist nicht mein persönliches Pech, sondern, keine Überraschung: strukturell bedingt. Und es gibt sogar einen Begriff dafür. 'Motherhood Wage Penalty' steht für mutterschaftsbedingte Lohneinbußen."
Mutterschaft, so schreibt sie weiter, trage maßgeblich dazu bei, dass Frauen weniger verdienen. Der Gender Pay Gap, also die Tatsache, dass Frauen in Deutschland durchschnittlich 20 Prozent weniger pro Arbeitsstunde verdienen als Männer (Stand 2019), ist eng mit der Tatsache verknüpft, dass es meistens die Frauen sind, die nach der Familiengründung beruflich zurückstecken - was sich auch in niedrigeren Renten und Altersarmut niederschlägt. Immer wieder deckt Kaiser anhand vermeintlich persönlicher Probleme Strukturen auf, die Mütter benachteiligen.
Immer nur halb da
Die Zerrissenheit zwischen Erwerbsarbeit, Kinderbetreuung und Haushalt fasst sie mit dem Satz "Ich möchte nicht überall nur halb sein, sondern ganz" zusammen. Durch Corona habe sich das Gefühl des Nie-richtig-da-Seins nicht gebessert, sondern von außen nach innen verlagert. Statt physisch zur Schule zu hetzen, um das Kind abzuholen, sind Mütter heute oft zerrissen zwischen Homeoffice, Homeschooling und Homekeeping, also der Hausarbeit. Die Pandemie habe die Doppel- und Dreifachbelastung der Mütter sogar noch verstärkt, sagt Kaiser. Gleichzeitig werde auch hier die Verantwortung individualisiert, anstatt die Strukturen zu hinterfragen "Kürzlich erreichte mich eine Mail, die ein Buch mit Tipps bewarb, wie man das Homeoffice mit Kindern besser gestalten kann", so Kaiser. "Das ist genau der falsche Ansatz: Wir brauchen keinen Ratgeber, wie wir diese enorme Mehrbelastung besser hinkriegen, sondern endlich bessere Rahmenbedingungen für berufstätige Mütter."
Stattdessen werde Müttern, die ihrem Frust Luft machen, oft noch ein schlechtes Gewissen vermittelt. "Frauen hören in diesen Tagen oft, sie sollen nicht jammern, schließlich hätten sie sich doch aus freien Stücken dafür entschieden, Kinder zu haben. Aber keine von uns hat sich bewusst dafür entschieden, Mutter in einer weltweiten Pandemie zu sein, rund um die Uhr sowohl Care-Arbeit als auch Erwerbsarbeit zu leisten", so Kaiser.
Auch ihre Bestandsaufnahme in Sachen Familienpolitik in Zeiten von Corona fällt düster aus. Maßnahmen wie die einmalige Auszahlung von zusätzlichem Kindergeld sowie zehn zusätzliche Kinderkrankentage seien kurzsichtig und kosmetisch. "Es gibt ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie immer noch keine innovativen Lösungen für Kitas und Schulen. Der Diskurs ist von männlich konnotierten Dingen geprägt - hier fließen politische Ressourcen und Gelder. Die Bundesliga und die Autoindustrie genießen einen höheren Stellenwert als unser soziales Miteinander und Familien", so Kaiser. Das liege auch daran, dass es sehr wenige Mütter in Entscheidungspositionen gebe. "Unter den gegenwärtigen Bedingungen ist das faktisch auch gar nicht möglich, hohe politische Ämter lassen sich nur schwer mit Mutterschaft vereinbaren. Aber genau diese Grundlage muss geschaffen werden, damit sich etwas ändert."
Quelle: ntv.de