Unterhaltung

Lannert, Bootz und "Der Inder" Alles nur gekauft

Richy Müller alias Thorsten Lannert sucht und findet den Durchblick.

Richy Müller alias Thorsten Lannert sucht und findet den Durchblick.

(Foto: dpa)

Korrupte Politiker, inhaftierte Architekten, Killer, die selbst getötet werden und ein Bahnhofsprojekt, das längst entgleist ist - der neueste "Tatort" aus Stuttgart gerät zur vielschichtigen Lehrstunde in Sachen TV-Krimi.

Er hat ein gutes Dutzend "Tatort"-Folgen unterm Gürtel, darunter die drei ersten Fälle des unvergessenen Frankfurter Teams Dellwo/Sänger (Schüttauf/Sawatzki). Darüber hinaus hat er den Krimi-Dauerbrenner auch schon für die überaus beliebte Hörspielserie zum ARD-Klassiker umgesetzt und wurde mehrfach für den Adolf-Grimme-Preis nominiert. Anno 2004 erhielt Nikolaus Stein von Kamienski, kurz Niki Stein, den Deutschen Fernsehpreis für das Drehbuch zum Krimi-Kammerspiel "Die Quittung". Wollte man dem Regisseur und Autor selbige Quittung für den neuesten Stuttgarter "Tatort" mit dem Titel "Der Inder" ausstellen, könnte die nur lauten: Mehr davon. Weiter so. Bitte noch einmal.

Denn was da am Sonntagabend über den Schirm flimmerte, hatte endlich mal wieder die Kombi aus Suspense und Anspruch, Tiefgang und kriminaler Klasse. Und das mit ganz realem Bezug zu einem der Themen überhaupt der letzten Jahre in der Neckarmetropole, dem umstrittenen Bahnprojekt Stuttgart 21 nämlich. Hier unter dem Namen "Gleisdreieck" ausgearbeitet, steht dabei zunächst Staatssekretär Dillinger (Robert Schupp) im Fokus. Nach einer Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss bekommt der zunächst einen Farbbeutel an den Arm, später erwischt ihn auf einem entlegenen Parkplatz letales Blei. Während der Auftragskiller, selbst von einem Bodyguard angeschossen, flüchtet, versuchen Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) sich einen Überblick in der verwirrenden Gemengelage zu verschaffen.

Rubert Heinerle (Ulrich Gebauer) hat das Bauprojekt um die Karriere gebracht, der geschasste Ministerpräsident sitzt in Ballonseide im Designbungalow und kühlt sein Mütchen an teurem Cognac. Architekt Busso von Mayer (imposant und raumgreifend wie stets: Thomas Thieme) sitzt derweil ein, auch er ist ein Opfer des "Inders", jenem titelgebenden Hochstapler, dessen vermeintliche Millionenspritze sich als Luftschloss entpuppte. Kein Idealzustand für den Städtebauer, aber es könnte schlimmer sein. Das Schließpersonal versorgt ihn mit seinen geliebten Zigarillos, zudem ist er Freigänger. Von Mayer hat dennoch allen Grund, Rachegefühle zu hegen. Er sieht sich selbst als Bauernopfer, dem Untersuchungsausschuss um die Vorsitzende Petra Keller (Katja Bürkle) traut er die Aufklärung der Affäre in keinster Weise zu.

Wer jetzt? Und wie viele?

Dann ist da noch der schwerverletzte Killer Franc Lefevre (Stephane Lalloz), seine tschechische Komplizin, die wortkarge Mira (Gabriela Lindlova), und deren Vater Josef (Janusz Cichocki), ein Landarzt, der Lefevre zunächst versorgt, um ihn später in Notwehr zu erschießen und in einem Koffer zu verstauen. Lannert und Bootz bekommen so auf zwei Ebenen jede Menge Arbeit. Wer zieht die Fäden rund um das verworrene Bauprojekt? Wer hat Dillinger auf dem Gewissen? Und wie hängt das alles zusammen?

Der Fall erweist sich als äußerst vertrackt und als wäre das nicht schon aufmerksamkeitsfordernd genug, springt Niki Stein auch noch unablässig zwischen den Zeitebenen. Ändert die Blickwinkel und den jeweiligen Wissensstand, legt hier einen Köder aus, wird dort explizit. Nimmt mal das Tempo mit langen Einstellungen heraus, um dann wieder mit wackelnder Handkamera und nervösem Fokus den Druck zu erhöhen. Ein meisterhaftes Stück Politkrimi, das sich den Luxus nimmt, die Leine zum Zuschauer mal locker zu lassen, dann wieder schmerzhaft anzuziehen.

Hier ist kein Platz für Ironie, Insiderwissen oder private Petitessen. Dass Bulle Bootz die Frau vom Ausschuss kennt, findet einen dramaturgisch adäquaten Platz ebenso wie von Mayers Knast-Allüren oder des Pathologen sporadisch aufflammende Schwäche für Ibsen und Goethe. Steins Drehbuch gerät gerade deshalb ganz unalbern rund, weil die Geschichte hier eben nicht per silbenstarken Erklärdialogen bis ins Letzte ausformuliert wird, sondern Teile des Plots vom hohen Tempo der Stellungswechsel fast ein wenig verwischen. So entsteht eine vage Spannung, etwas Lauerndes im Unterboden der Story. Eine Qualität, die man so im "Tatort", mit seinem oft zwanghaften Hang zum Auserzählen, leider viel zu selten sieht. Auch der Schachzug vom SWR, den offenen Bezug zu den Verstrickungen im Fall Stuttgart 21 ganz bewusst und explizit zu benennen, hat durchaus Chuzpe. Kurzum: ein bravouröses Stück Sonntagskrimi, Herr Stein.

Quelle: ntv.de

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