"Tatort" aus der Schweiz Schutzlos. Hoffnungslos. Tot.
05.07.2015, 22:09 Uhr
Kommissarin Liz Ritschards (Delia Mayer, r) und ihre Kollegen Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser, l) und der Drogenfahnder Franz Hofstetter (Andreas B. Krämer) stürmen eine Drogenwerkstatt in einer Szene des Schweizer "Tatort - Schutzlos".
(Foto: dpa)
Vor die "Tatort"-Sommerpause hat das Erste die Arbeit gestellt. "Schutzlos", der siebte Fall um den Schweizer Kommissar Reto Flückiger und sein Team, gerät zur düsteren Momentaufnahme aus dem Luzerner Asylanten- und Drogenmilieu.
Mal wieder so ein "Tatort", der in Sachen Timing fast schon punktgenau in die Zeit passt, hatte eine umstrittene Praxis zur Festsetzung des Alters von jungen Flüchtlingen gerade in den letzten Tagen doch für Diskussionen gesorgt. Qua Intimuntersuchung, vulgo Schwanzlängentest, versucht man in Hamburg etwa herauszufinden, ob die "Unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge", kurz die UMAs, denn auch tatsächlich minderjährig sind.
"Schutzlos", der letzte neue "Tatort" bis Anfang August, beleuchtet nun das Schicksal jener Asylanten, jener UMAs, die in einem Wohnheim in Luzern gestrandet sind. Im Mittelpunkt steht der junge Nigerianer Ebi West (Charles Mnene). Zwei Jahre sind seit seinem Asylantrag vergangen. Seine Nächte verbringt er in einem nüchternen Raum mit Etagenbett, sein täglich Brot verdient er sich als Kokskurier inmitten des florierenden Tagesgeschäfts im Drogenmilieu der Stadt. Als seine Bande eines Tages ausgenommen wird, kommt er noch mit einer Beule am Kopf davon. Kurze Zeit später liegt er tot auf dem Rasen, seinen Stichverletzungen in der Brust erlegen.
Kommissar Reto Flückiger (Stefan Gubser) nimmt die Ermittlungen auf und wäre selbst doch viel lieber an jedem anderen Ort der Welt. Flückiger wird von höllischen Kopfschmerzen heimgesucht, muss sich zuweilen übergeben und leidet unter Halluzinations-Attacken. Am Fundort der Leiche sieht er Ratten, schemenhafte Gestalten dringen in sein Blickfeld und das vom Psychologen empfohlene Gesichtsmuskeltraining zur Entspannung sieht ebenso albern aus, wie es wirkungslos ist.
Im Team ist die Stimmung brenzlig, das Milieu, in dem Flückiger, Liz Ritschard (Delia Mayer) und Franz Hofstetter (Andreas Krämer) ermitteln, ist ebenso fremd wie schwer durchschaubar. Im Fokus stehen Ebis Zimmernachbar, der junge Navid (Rauand Taleb), und die geheimnisvolle Jola (Marie-Hélène Boyd), bei der es sich - das wird erst im Verlauf der Ermittlungen klar - um Ebis Schwester handelt.
Typisch Schweiz?
Es ist eine trostlose Studie, die Regisseur Manuel Flurin Hendry, zusammen mit Josy Meier, seinem Co-Autor von "Schutzlos", hier entspinnt. Für Ironie oder Leichtigkeit ist da ebenso wenig Platz wie für Hoffnung oder Perspektive. Die Bilder, die Kameramann Felix Novo de Oliveira (u.a. "Wir wollten aufs Meer") findet, dokumentieren das gnadenlos. Die Innenaufnahmen sind in wasserleichengrün getaucht, draußen gehen Grau und Braun eine morbide Verbindung ein, der sparsame Score von The Notwist und Beat Solér unterbaut die Atmosphäre mit schwärendem Klang.
Abgesehen von Flückigers Visionen gibt es zudem nichts an Privatsphären-Seitensträngen und auch die befeuern noch die Orientierungslosigkeit im Gewirr der Ermittlungen. Hier gibt es keine Atempause, kein Innehalten, dem Sujet entsprechend bewegt sich der Plot durchweg im trüben Parallelkosmos. Wo an anderer Stelle dann gern einmal einem Steppke in einer jener unwirtlichen Unterkünfte vom Dutzi-Dutzi-Kommissar ein Teddy in die Hand gedrückt, mit einem knopfäugigen Dreikäsehoch mal ein Scherz gemacht wird, um zumindest den Hauch von "Na, das wird schon wieder" zu vermitteln, bleiben Hendry und Meier hier konsequent auf der Schattenseite. Und lösen den Fall auch noch mit einer düsteren Pointe auf. Das ist stimmig und konsequent und so weit von den Borowskis und Münsteranern und Schweigers entfernt wie "Breaking Bad" von der "Schwarzwaldklinik"; kurzum eine der am konsequentesten durcherzählten "Tatort"-Folgen der letzten Monate.
Die Sommerpause hat der Zuschauer sich danach durchaus verdient.
Quelle: ntv.de