Femme fatale, Opfer, Verräterin Stella Goldschlag beschäftigt weiterhin die Gemüter


Die Frage lautet auch: Wer bin ich, mir ein Urteil erlauben zu wollen? Wie hätte ich denn in der Situation gehandelt?
(Foto: dpa)
Noch ein Nazi-Historienschinken. Angucken oder nicht? Gute Jüdin oder böse Jüdin? Die Entscheidung müssen Sie schon selbst für sich treffen, Sie sind ja erwachsen. Hier trotzdem ein paar Gedanken zum Film "Stella. Ein Leben", der auf einer wahren Geschichte beruht und wahrscheinlich sehr gut gemeint ist.
Man kommt aus dem Kino ein bisschen so heraus, als wäre man selbst verprügelt worden, so viel wurde da geprügelt. Auf dem Weg zum Parkhaus schaue ich immer wieder hinter mich, ob mir auch ja nicht ein Typ mit langem Ledermantel und Schlapphut folgt. Immerhin habe ich blond gefärbtes Haar (momentan eher schlecht als recht, weil rausgewachsen) und dicke dunkle Augenbrauen, die auf die Ursprungsfarbe hinweisen. Im Parkhaus selbst mache ich mich auf jeden Fall darauf gefasst, dass hinter jedem Pfeiler ein Nazi hervorspringen könnte und mich an den Haaren ziehend irgendwo hin schleift. Das ist nicht so ungewöhnlich in Parkhäusern, dafür gibt es Frauenparkplätze, doch die waren alle bereits besetzt (zu 70 Prozent von Männern), und meine Paranoia vor Nazis jeder Couleur ist leider durchaus berechtigt. Aber ansonsten war das ein recht normaler Kino-Abend in Berlin-Prenzlauer Berg.
Obwohl - ich saß im Gang, weil die Vorführung brechend voll war, was sicher daran lag, dass im Anschluss an die Vorführung zwei sehr bekannte Personen über den Film, die Historie, unsere Verantwortung und den ganzen Müll auf der Welt, der aktuell passiert, sprechen sollten: Michel Friedman und Düzen Tekkal. Zwei Allzweckwaffen, die zielgenau ihre Pfeile setzen. Beifall bei allem, was sie sagten, zu Recht, denn besser kann man es kaum formulieren als der jüdische Publizist, Philosoph und Medienmann Friedman und die allgegenwärtige Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Tekkal. Einer und eine muss den Job eben machen. Und das sind nun mal diese beiden im Moment: Friedman, der sich einsam fühlt in Deutschland und das Schweigen der Mehrheit immer noch als unglaublich empfindet, und Tekkal, die für ihre Solidarität mit Jüdinnen und Juden angefeindet und dennoch nicht müde wird, für ein größeres Miteinander zu kämpfen.
Männer fallen um wie die Fliegen
Jetzt mal eben zum Film, das können wir nämlich schnell abhaken: Die Jüdin Stella Goldschlag spürte ab 1943 als sogenannte Greiferin Hunderte untergetauchter Juden und Jüdinnen auf und lieferte sie der Gestapo aus. So weit, so mies. In "Stella. Ein Leben" erzählt Regisseur Kilian Riedhof ("Meinen Hass bekommt ihr nicht") ihre wahre Geschichte. Er begibt sich damit auf sehr dünnes Eis. Eins steht fest: Paula Beer ist eine hervorragende Schauspielerin und auch wenn sie immer so krasse Augenringe hat, ist sie wunderschön. Selbst wenn sie verprügelt wird, ist sie schön, und selbst dann ist sie immer noch begehrenswert. Das kommt in dem Film jedenfalls so rüber, ich persönlich spür' das jetzt nicht so, aber die Männer fallen vor ihr um wie die Fliegen.
Von Anfang ist aber auch klar, dass die reale Person Stella Goldschlag im Film zu einer mittelmäßig begabten Sängerin wird, die mehr Swing in der Hüfte als in der Stimme hatte und ein Luder war, das nur zu schnippen brauchte und sowohl Mutti, Vati, Männer, Frauen, Juden Nazis - einfach alle – um die schlanken Finger wickelte. Mutti ist dabei noch am widerborstigsten, kein Wunder, sie wird von Katja Riemann gespielt, der man eine bessere Perücke wünscht oder keine, auch weil sie doch eigene Haare hat, die viel cooler wären.
Es fällt tatsächlich nicht leicht, eine Frau, die auch ein Opfer ist, ein Luder zu nennen. Eine Jüdin, die für die Gestapo arbeitet, die andere Juden verpfeift - das kann man bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Weil es um ihr Leben geht, das sie retten will, um das ihrer Eltern, anfänglich vielleicht sogar ein wenig auch um das ihres Mannes, der aber ein Weichei ist, wie Stella im Film durchblicken lässt. Eine solche Stella wäre wahrscheinlich so oder so über Leichen gegangen, um ihre Ziele zu verwirklichen, auch wenn kein Krieg und kein Holocaust gewesen wären. Sie wäre einfach so eine Frau gewesen, die nicht viel auf die Meinung anderer gibt, wenn sie ihrer eigenen widerspricht.
Wie würden wir uns verhalten?
Und darüber wurde nun auch echt schon viel geschrieben, gefilmt, gespielt: Über Stella, ihre Rolle - was war sie mehr, Opfer oder Verräterin? Brauchte es ein Musical oder unzählige schriftstellerische Neuinterpretationen zu einer einzigen Frau? Es gibt doch schließlich noch so viele andere Geschichten zu erzählen. Zum Beispiel die von Margot Friedländer, die der Familie Goldschlag in den 40ern begegnet ist und ihre eigene Theorie dazu hat, warum ihre Mutter und ihr Bruder verpfiffen wurden. Diese Geschichten von Juden und Jüdinnen, die selbst zu Tätern wurden, sind ein extrem heikles Thema und man fragt sich durchaus, warum die Story immer wieder neu erzählt werden muss. Von einem deutschen Regisseur. Sicher, Kilian Riedhof weiß um diese Fallhöhe, um die moralische Unmöglichkeit des Themas. Der Film ist schon recht lang, aber interessanter wäre dann noch gewesen, etwas intensiver zu beleuchten, wie die echte Stella Goldschlag mit ihrer Vergangenheit lebte. Riedhof deutet ihre spätere Entwicklung, ihr Konvertieren zum Christentum und ihre antisemitische Haltung an (Paula Beer ist auch auf alt geschminkt immer noch wunderschön), aber das alles ist zu blass. Zu wenig.
Ja, Stella Goldschlag hat auf jeden Fall gelitten, wie Millionen anderer Juden auch. Sie hat es geschafft, durchzukommen - den Preis, den sie bis zu ihrem wahrscheinlichen Freitod gezahlt hat, kannte nur sie allein ganz genau. Die Frage allerdings - und dazu ist ein neuer Film und die Diskussion drumherum dann doch wieder gut, gerade in diesem Moment unserer Geschichte - ist: Wie würden wir uns an Stella Goldschlags Stelle verhalten? Leider sehr aktuell.
Quelle: ntv.de