"Gott ist erstmal scheißegal" TV-Pfarrer Jürgen Fliege - ewig umstritten
30.03.2017, 16:51 Uhr
Er mag es weiter ungemütlich: Jürgen Fliege.
(Foto: imago stock&people)
Mit seiner nachmittäglichen Talkshow wird Jürgen Fliege ab Mitte der 90er-Jahre zum Seelsorger der Nation. Doch der evangelische Pfarrer eckt mit seinen provokanten Thesen auch an. Jetzt wird er 70 - und kein bisschen angepasster.
Wenn die Menschen auf der Straße ihn erkennen, so erzählt Jürgen Fliege, dann fragen sie nicht nach einem Autogramm. Sie fragen, welchen Arzt er empfiehlt. Er sei der Tröster, sagt der frühere TV-Pfarrer. Nun, da an diesem Donnerstag sein 70. Geburtstag ansteht, begibt sich der Pastor mit angeknackstem Ruf wieder einmal in das Feld zwischen Provokation und ewigem Missverständnis. Denn Jürgen Fliege will noch einmal heilen - und zwar besser als die Kirche. Deshalb hat er gerade noch einmal ein Buch geschrieben. "Beten: Anleitungen für Dein Gespräch mit Gott".
An diesem Buch soll die Beziehung der Betenden zu Gott gesunden - und damit am Rat eines Mannes, der sich schon oft mit der Kirche angelegt hat. Seine ARD-Talk-Show "Fliege" hatte fast zwölf Jahre lang die Nachmittage der Zuschauer geprägt. Genauso lange ist es nun her, dass sie abgesetzt wurde, weil es nicht mehr genug von diesen Zuschauern gab.
Freche Sätze, fragwürdige Produkte
Seelsorge oder Schwafelei, Gefühl oder Geschäft. Ganz sicher konnten sich diese Zuschauer nie sein bei den Auftritten des evangelischen Pfarrers, der mit seiner Frau in Feldafing in der Nähe des Starnberger Sees wohnt - wenn er nicht, wie mehrmals im Jahr, in seinem Haus auf La Palma ist. Leisten kann er sich das, er bekommt seine Pfarrerspension auf Lebenszeit.
Bisweilen aber trieb Fliege es bis an die Grenze dessen, was seine Dienstherren aushalten mochten. Freche Sätze und fragwürdige Produkte brachten ihm 2011 ein Disziplinarverfahren ein. Die Evangelische Kirche im Rheinland hegte den Verdacht, Fliege habe gegen seine Amtspflichten verstoßen. Gegenüber einem jungen Brautpaar soll er gesagt haben, Gott und die Kirche seien "erstmal scheißegal", es komme auf die Seele an.

Trotz aller Kritik an ihm - er sei ein Kirchenmann von A bis Z, versichert Fliege.
(Foto: imago/epd)
Auch eine "Fliege-Essenz" vermarktete er. Fast 40 Euro zuzüglich Versandkosten kosteten die 95 Milliliter Flüssigkeit, die er "mit Trost und Kraft" aufgeladen haben wollte. Nach zwei Jahren war das Verfahren beendet. Fliege sagt: ohne Schuldspruch. Die Kirche sagt: Wenn er das so meint ... Weiter will sie sich dazu nicht äußern. "Es würde mich treffen, wenn es irgendwann so weit käme, dass ich aus der Kirche geschmissen würde", sagt Fliege heute. "Ich bin ein Kirchenmann von A bis Z, aber ich bin links, der Linksaußen Fliege."
Schlagermusik und Pfarrer
Ein paar kurzlebige Versuche mit Nischensendern folgten auf das Ende seiner ARD-Show und ziemlich viel Stille um ihn herum, doch gerade hat der Pietist wieder ein Plätzchen gefunden. Für das Deutsche Musik Fernsehen besucht er Dorfkirchen im Raum Berlin. Schlagermusik und Pfarrer haben die Heilsversprechen gemeinsam, die Liebe, den Himmel, die Erlösung.
Für seine "Fliege-Essenz" warb der Pfarrer damals, sie habe ihre Kraft durch Handauflegen bekommen. Sein Buch über das Beten soll ein Plädoyer sein für das Gespräch mit Gott. "Aber bitte mit den richtigen Erwartungen", sagt Fliege. Ein "Ave Maria" in der Kirche lenke ab von den eigenen Worten, ein Gebet für den Frieden sei naiv.
"Da fangen die Leute an zu spinnen"
Gott, sagt Fliege, werde nicht Syrien befrieden, Mehl zu den Hungernden schicken oder Krebs verschwinden lassen. "Heilen ist elementar - aber im Sinne von Jesus. Ich muss mich fragen: Kann ich Handauflegen?" Fliege weiß, dass aufgeklärten Menschen da der Atem stockt; dass sie an Esoterik und Scharlatanerie denken. Und er erklärt: Wenn er seine Hand in liebevoller Zuwendung einem anderen auflege, spüre dieser eine andere Energie als beim normalen Handschlag in der Straßenbahn. Um diese Bedeutung gehe es ihm.
Die Sektenexpertin Ursula Caberta sagte über ihn einmal, er sei zum Esoteriker mutiert. Für Fliege ist das ein Kampfbegriff, kein Missverständnis. Er zitiert den verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau: Die Sekten seien die Sünden der Kirchen. Er wandle das ab, sagt Fliege, Esoterik sei die Sünde der Kirche. "Wo die Kirchen nicht hingehen, keine Zeremonie bieten, kein Sich-auf-den-Boden-Werfen wie Jesus, da fangen die Leute an zu spinnen." In diese Lücken will Fliege. Um die Menschen bei Trost zu halten.
Quelle: ntv.de, Sophie Rohrmeier, dpa