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Männer mit fremden Federn Über geniale, beklaute Frauen

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Rosalind Franklins kurzes Leben wurde verfilmt: "Das Geheimnis des Lebens" heißt der Film mit Asia Argento.

Rosalind Franklins kurzes Leben wurde verfilmt: "Das Geheimnis des Lebens" heißt der Film mit Asia Argento.

(Foto: imago images/Historical Views)

Frauen lassen sich nicht mehr von "Tittenverordnungen" einschüchtern - zum Glück. Dass Frauen sich früher allerdings mit solch "scherzhaften" Vorschriften und noch viel mehr Müll abgeben mussten, erzählt Autorin Leonie Schöler in ihrem spannenden Buch "Beklaute Frauen".

Das Buch beginnt in der Steinzeit, sensationelle Funde wurden gemacht: Frauen waren gar nicht immer nur die Sammlerinnen, sondern gelegentlich auch mal die Jägerinnen - wahrscheinlich einfach deswegen, weil sie es mussten. Der Typ war abgehauen oder von einem Mammut aufgespießt worden, die Brut hatte trotzdem Hunger und keinen Bock auf "jeden Tag Salat".

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Und aus der Kupferzeit stammend wurde ein Mann ausgebuddelt, der "Ivory Man" genannt wurde. Nur, dass der eiserne Kerl gar keiner war, sondern eine Kupfer-Lady. Unglaublich? Aber wahr! Denn die Gebeine, die mit den Waffen allerlei Art gefunden wurden, wiesen weibliche DNA auf. Und so geht es munter weiter in "Beklaute Frauen", 321 Seiten lang. Die Geschichte der Menschheit ist also von Anfang an ein reiner Beschiss, wie uns Leonie Schöler zum Glück und zu unserer großen Lesefreude aufklärt.

Langsam arbeitet sie sich vor: "Ich werde immer wieder gefragt, warum ich mich so für Geschichte interessiere. Ich antworte dann meistens damit, dass mich die Vergangenheit so fasziniert, weil sie unsere Gegenwart erklärt. Alles ist, wie es ist, weil alles so war, wie es war. Wenn wir ganz genau hinschauen, dann bietet uns die Geschichte viele Antworten auf heutige Fragen. Wir können beobachten, wie sich Konflikte und Debatten wiederholen. Wir können vergleichen, welche Lösungen wir Menschen in der Vergangenheit für Herausforderungen gefunden haben und uns fragen, ob wir es heute genauso oder lieber anders machen sollten."

Wieder nichts gelernt

Lise Meitner und Otto Hahn im Labor. Beide verband eine lange Zusammenarbeit - und Freundschaft.

Lise Meitner und Otto Hahn im Labor. Beide verband eine lange Zusammenarbeit - und Freundschaft.

(Foto: imago stock&people)

Klingt gut, aber warum lernen wir Menschen dann so wenig aus der Geschichte? In Bezug auf Krieg, Rechtsextremismus, linken Terror, Hass und Vorurteile? Und ist Leonie Schöler vielleicht auch nur wieder eine dieser Frauen, die Geschichte so lange zurechtbiegen, bis endlich Frauen darin vorkommen? Einfach, weil ihr nicht in den Kram passt, dass die Welt von weißen Männern gemacht, gestaltet und erfunden wurde und noch heute auf diese Art und Weise betrieben wird? (Was auch erklärt, warum wir so wenig aus der Vergangenheit lernen, aber das führt an dieser Stelle zu weit.) Nein, es gibt immer mehr Menschen, neben der Autorin, die etwas genauer hinsehen: die nachfragen, Antworten suchen und sie auch finden.

Und jetzt, in dem Buch der Historikerin, Podcasterin, Filmemacherin und Instagramerin geht es eben vor allem um die Frauen, die tatsächlich "beklaut" wurden. Und zwar um ihren Anteil an der Geschichte. Um ihren Anteil an Geld, Macht und Anerkennung. Darum, wie Männer sich ganz selbstverständlich mit fremden - weiblichen - Federn schmücken, Nobelpreise einheimsen und sich breitbeinig und breitschultrig vor die Frau stellen, denen die Anerkennung eigentlich gebührt.

Die "Tittenverordnung" - eine Schmach für alle Frauen

Angefangen hat Leonie Schöler mit einem Video über Rosalind Franklin, das sie auf ihren Kanälen postete: Eine Biochemikerin, der von zwei - eigentlich sogar drei - Männern der ihr zustehende Nobelpreis "geklaut" wurde: James Watson und Francis Crick, die zusammen mit Maurice Wilkins 1962 den Nobelpreis dafür erhielten, dass sie dem Geheimnis der DNA auf die Spur kamen. Dafür bedienten sie sich ungeniert der Unterlagen von Rosalind Franklin, die von den Männern herablassend nur "Rosy" genannt und als verbitterte Frau dargestellt wurde. Auch in dem Buch, das Watson ein paar Jahre später (1968) schrieb - "Die Doppelhelix", ein Meilenstein unter den Sachbüchern der Moderne - erwähnt er sie nur wie einen lästigen Gast.

Lise Meitner (r) bei einem Treffen der Nobelpreisgewinner in Lindau 1962. Sie "durfte" teilnehmen, obwohl sie diesen Preis nie erhalten hatte. Es war jedoch allgemein bekannt, dass ihre Arbeit für Otto Hahn, der ausgezeichnet wurde, essenziell war.

Lise Meitner (r) bei einem Treffen der Nobelpreisgewinner in Lindau 1962. Sie "durfte" teilnehmen, obwohl sie diesen Preis nie erhalten hatte. Es war jedoch allgemein bekannt, dass ihre Arbeit für Otto Hahn, der ausgezeichnet wurde, essenziell war.

(Foto: IMAGO/Pond5 Images)

Genau so muss sich Franklin seit ihrem Studium in Cambridge (dort gab es eine Sonderreglung für Frauen seit 1869, von den männlichen Kommilitonen scherzhaft "Tittenverordnung" genannt) bis zu ihrem Tod 1958 gefühlt haben. Ja, stimmt, sie hätte posthum 1962 keinen Nobelpreis erhalten können, das spricht gegen die Regeln des Komitees, aber nicht einmal dankend erwähnt zu werden von denen, die mit ihren Forschungsergebnissen dann ausgezeichnet wurden, ist eine Verhöhnung ohnegleichen. Fast kann man sagen, zum Glück musste sie das nicht miterleben. Obwohl - wer weiß, was Rosalind Franklin noch alles entdeckt hätte …

"Der große weiße Mann"

Franklins Geschichte liest sich spannend wie ein Roman – und leider gibt es noch mehr dieser Erzählungen: Warum bekam die Physikerin Lise Meitner keinen Nobelpreis? Obwohl Otto Hahn sie "gleichgestellt" behandelte? Was hat der Krieg damit zu tun, was die Nazis, und was die ganz normalen hinterwäldlerischen Ansichten der breiten Masse und der führenden - männlichen - Köpfe?

Lucia Moholy, fotografiert von Lószló Moholy-Nagy.

Lucia Moholy, fotografiert von Lószló Moholy-Nagy.

(Foto: imago images/Historical Views)

Warum arbeitete Chemikerin Clara Immerwahr trotz Doktortitel nur als Assistentin? Warum schlichen Frauen sich durch Hintertüren an ihre Arbeitsplätze? Warum wurden Frauen in Familien oft wie die Angestellten der Väter und Söhne behandelt und warum traute man ihnen nichts zu? Obwohl sie das Gegenteil bewiesen, immer wieder, vor allem wenn es darauf ankam und kein anderer Mann zur Hand war.

Warum wissen wir von Lucia Moholy, der meist publizierten Fotografin des Bauhauses, so gut wie nichts? Warum arbeiteten Frauen unter männlichen Pseudonymen? Leonie Schöler stellt unsere Vorstellung der letzten 200 Jahre gehörig auf den Kopf und würdigt so, in dem sie die unsichtbaren Frauen in den Fokus rückt, deren Leistungen, die uns tatsächlich - auch weiterhin - nicht geläufig sind.

Der "große weiße Mann" bekommt sein Fett weg, ja, aber das muss niemandem leidtun, denn wirklich "große weiße Männer" wissen, zu welchen Leistungen Frauen fähig waren. Und sind.

Quelle: ntv.de

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