"Das Lächeln der Königin" Wie James Simon die Nofretete nach Berlin brachte


Bis heute zieht die ägyptische Königin Besucherinnen und Besucher in ihren Bann.
(Foto: picture alliance/dpa)
Vor 100 Jahren konnten die Berlinerinnen und Berliner zum ersten Mal einen Blick auf die ägyptische Königin Nofretete werfen. Zu verdanken haben sie das dem Mäzen und Unternehmer James Simon, der die Ausgrabungen in Ägypten finanzierte und der trotzdem kaum bekannt ist.
Im Neuen Museum auf der Berliner Museumsinsel steht sie allein im Nordkuppelsaal - Nofretete, die ägyptische Königin, die vermutlich gemeinsam mit dem Pharao Echnaton regierte. Die Büste, die der Deutsche Ludwig Borchardt am 6. Dezember 1912 im ägyptischen Tell el-Amarna ausgrub, hat auch nach Jahrtausenden nichts von ihrer Schönheit verloren. Seit inzwischen 100 Jahren ist sie im Museum zu sehen.
Aber wie kam eines der berühmtesten Kunstwerke der Welt überhaupt nach Berlin? Die Autorin und Übersetzerin Stefanie Gerhold hat aus dieser Geschichte einen Roman gemacht, der tief in die deutsche Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts eindringt. "Das Lächeln der Königin" verwebt das Leben des jüdischen Berliner Unternehmers und Mäzens James Simon mit dem kolonialen Grabungsrausch jener Jahre und unschätzbaren archäologischen Erkenntnissen über das Alte Ägypten.
Alles beginnt mit einem Telegramm, das Simon bei der Firmen-Weihnachtsfeier von Borchardt bekommt. "Bedeutenden Fund gemacht. Beschreiben nutzlos. Brief folgt. Borchardt", schreibt der Architekt und Ägyptologe, der ebenso wie Simon aus einer Kaufmannsfamilie stammt. Während Simon grandiose wirtschaftliche Erfolge feiert und seiner Belegschaft den Lohn erhöht, wartet er auf Details aus Ägypten.
"Man muss sie sehen"
In dem Brief, der kurz darauf eintrifft, gerät Borchardt regelrecht ins Schwärmen. In der Werkstatt von Oberbildhauer Thutmes in P 47, Haus 2 auf dem Grabungsfeld in Tell el-Amarna hätten sich die Arbeiter durch Schutt und Sand gegraben, als an der Ostwand, in Kniehöhe, zunächst ein weiblicher Nacken hervorgetreten sei. Kurz darauf sei "mit aller Vorsicht eine vollständige Büste der Königin aus dem Sand" gehoben worden. "Was soll ich noch sagen. Diese Königin zu beschreiben, ist nutzlos. Man muss sie sehen."
Von nun an sind Simons und Borchardts Schicksal mit der Nofretete verbunden. Doch die Zeiten sind unruhig. Zunächst geht alles seinen Gang, wie bei ausländischen Ausgrabungen in Ägypten zu jener Zeit üblich. Gegen Ende der Grabungskampagne werden die Funde nach den Statuten der Altertümerverwaltung geteilt. Jeweils sieben Fundgruppen von ähnlicher Bedeutung gehen an Ägypten und Deutschland. Am Ende unterzeichnet der Ägyptologe und zuständige Grabungskommissar Gustave Lefèbvre, dass Ägypten den "Klappaltar von Kairo" erhält, Deutschland, genauer gesagt Simon, die Nofretete.
Doch auch damals kommt etwas in Bewegung, die verschiedenen Kolonialmächte versuchen, einander bedeutende Funde streitig zu machen. Zeitgleich führt Ägypten eine verschärfte Fundteilung ein, die sicherstellen soll, dass alle einzigartigen Stücke automatisch Ägypten zugesprochen werden. Das macht die Reise der Nofretete nach Berlin kompliziert. Im Roman wie im Leben kann Simon nicht selbst nach Ägypten fahren, weil seine Frau Agnes erkrankt und auch seine eigene Gesundheit die strapaziöse Reise nicht zulässt. Er schickt seinen Sohn Heinrich, der den gerade mal 49 Zentimeter hohen Kopf schließlich in das Haus der Familie in der Tiergartenstraße bringt.
Unfassbare Schönheit
Es ist vermutlich der Höhepunkt des Romans, als die Skulptur schließlich in Simons Arbeitszimmer steht. Blickt er von rechts auf den Kopf, ist er von der Schönheit und der Handwerkskunst überwältigt, schaut er von links, sieht er die versehrte Seite der Königin, die schließlich unerklärlich von Echnatons Seite verschwand und deren Mumie nie gefunden wurde. Beim Lesen ahnt man, dass Gerhold diesen Moment nutzt, um der Faszination Ausdruck zu verleihen, die die Nofretete bis heute ausstrahlt.
1920 vermacht Simon die Büste aus Kalkstein, bemaltem Stuck, Wachs und Bergkristall schließlich zusammen mit zahlreichen anderen Kunstwerken den Berliner Museen, die ihm bis heute zutiefst dankbar sind. Bis zur ersten Präsentation bleibt sie weitere vier Jahre unter Verschluss, erst am 1. April 1924 wird sie erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Lediglich der Kaiser hatte zuvor im Simonschen Arbeitszimmer einen Blick auf die Königin werfen können.
Zu diesem Zeitpunkt hat Simon nicht nur seine Frau an den Krebs, sondern auch große Teile seines Vermögens in der Weltwirtschaftskrise verloren. Die unheilvollen Entwicklungen, die schließlich in der systematischen Auslöschung der Jüdinnen und Juden in Deutschland enden, sind schon nicht mehr zu übersehen. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten erlebt James Simon nicht mehr, er stirbt 1932. Er hinterlässt Sohn Heinrich und Tochter Helene, die behinderte Tochter Marie-Luise war schon als Kind gestorben - und zahlreiche soziale Stiftungen für die Bildung lediger Mütter, für verwaiste Kinder und in Not geratene Menschen. Und natürlich unschätzbare Kulturgüter, mit denen die Berliner Museen bis heute Millionen Besucherinnen und Besucher begeistern.
Einladung zu mehr
Es ist Gerholds Verdienst, dass sie Simon, dessen Namen die Nazis zu tilgen versuchten, ein Denkmal gesetzt hat. Beim Schreiben stützte sie sich auf Originaldokumente wie Borchardts Grabungstagebuch, zeitgenössische Zeitungsartikel und die inzwischen zur Nofretete vorliegende umfangreiche Forschung.
Das größte Manko des Romans ist nicht der ganz offenbar vorhandene Respekt und die Zuneigung gegenüber Simon, sondern die Tatsache, dass dies zu einer erstaunlich flachen Darstellung einer vermutlich sehr viel komplexeren Persönlichkeit führte. Obwohl sich das Buch zeitweise wie ein Krimi und an anderen Stellen wie ein Gesellschaftsroman liest, sind bestimmte Beschreibungen unkommentiert nur schwer zu verstehen. Das betrifft das Thema Raubkunst, aber auch das von kolonialen Herrschaftswünschen getriebene Interesse am Orient oder den Status der sogenannten Kaiserjuden. Die Autorin Gerhold ist nie klüger oder weiter als ihre Figuren und so liest man staunend und auch erschüttert, wie selbstverständlich unschätzbare Kostbarkeiten der Menschheit in die Hände anderer Länder oder Privatpersonen gelangen konnten.
Der Ansatz, Simons Leben und den Weg der Nofretete nach Berlin ausschließlich in der historischen Perspektive zu erzählen, muss scheitern, wenn man die Erfahrungen der nächsten 100 Jahre komplett ausklammert. Insofern darf der Roman als Einladung verstanden werden, sich in diese Themen an anderer Stelle zu vertiefen.
Quelle: ntv.de