"The Way of Water" Wird "Avatar" zu James Camerons Titanic?
16.12.2022, 15:56 Uhr (aktualisiert)
Keine Frage: "Avatar: The Way of Water" ist bombastisch. Über drei Stunden feuert James Cameron aus allen Rohren, was die Filmtechnik heutzutage so hergibt. Doch für einen guten Film braucht es auch eine gute Geschichte, sonst droht Schiffbruch. Dem Regisseur scheinen die Ideen bereits auszugehen.
"Mehr Kino geht nicht", verspricht die Werbung zu "Avatar: The Way of Water". Und in der Tat: Der Film ist zweifelsohne das Kino-Highlight des Jahres. 13 Jahre sind vergangen, seit der Originalfilm "Avatar - Aufbruch nach Pandora" die Leinwände im Sturm eroberte. 13 Jahre, seit Regisseur James Cameron das Publikum in die fantastische Welt der Na'vi entführte. 13 Jahre, seit er mit bis dato einmaliger Animationskunst und 3D in Perfektion das Kino zu revolutionieren schien. Und 13 Jahre, in denen der Streifen zum erfolgreichsten Film aller Zeiten avancierte.
Die Erwartungshaltung an den Nachfolger ist aber nicht nur deshalb riesig. Geschürt haben sie auch der Regisseur und sein Team selbst, die den Eindruck vermittelten, als verfügten sie über ein schier unendliches Reservoir an genialen Ideen, um "Avatar" noch locker für Jahrzehnte fortzuführen. Die Teile 3 und 4 sollen teilweise bereits im Kasten sein. Auch ein fünfter Film ist schon in Planung. Theoretisch könne er "Avatar" bis zum Sankt-Nimmerleinstag fortsetzen, erklärte Cameron sinngemäß, gäbe es da nicht eine biologische Grenze für ihn. Der Regisseur ist mittlerweile 68 Jahre alt.
Doch schon 13 Jahre sind eine lange Zeit. Was 2009 revolutionär wirkte, ist heute bereits von gestern. Zugleich hat seit der damaligen "Avatar"-Premiere eine Art Konterrevolution um sich gegriffen. Der 3D-Hype jedenfalls ist inzwischen ziemlich abgekühlt. Aus dem "Aufbruch nach Pandora" ist kein allgemeiner Aufbruch in die dritte Dimension geworden.
Filmdauer von mehr als drei Stunden
Cameron jedoch scheint mit "Avatar: The Way of Water" alle anderen Lügen strafen zu wollen. Wie das Original wurde natürlich auch der Nachfolger bereits in "echtem" 3D für das XXL-IMAX-Format gedreht und nicht etwa erst nachträglich konvertiert. Was die 3D-Technik angeht, hat sich - zumindest aus Zuschauersicht - allerdings seit 2009 nicht allzu viel getan, egal, wie viele Frames pro Sekunde seither zusätzlich durchrattern. Anders sieht das in den Bereichen Animation und Performance Capture - der computergestützten Erfassung von Bewegungsabläufen und Gesichtsausdrücken - aus. Hier macht die Entwicklung nach wie vor gefühlte Quantensprünge.
Quantensprünge, die man in "Avatar: The Way of Water" dann auch sieht. Ein bisschen mutet der Film wie ein Rundgang über die IFA an, bei dem man sich mal anguckt, was gerade der heißeste Scheiß auf dem Elektronikmarkt ist. Cameron feuert wirklich aus allen Rohren, mit dem, was die Filmtechnik aktuell so hergibt. Und das ist nicht weniger als das endgültige Hinübergleiten von Computerspielästhetik in Fotorealismus. Als wären die blauen Na'vi-Geschöpfe mit den Kulleraugen, spitzen Ohren und Schwänzen tatsächlich Wesen aus Fleisch und Blut, denen man ihre vierfingerigen Hände schütteln kann. Oder als könnte die fantastische Bilderbuchwelt von Pandora wirklich irgendwo auf einem Nachbarplaneten vorzufinden sein. Das Ganze hochaufgelöst in 4K - und über eine Gesamtfilmdauer von mehr als drei Stunden.
Die Frage, ob man sich bei einem dreistündigen IFA-Spaziergang amüsieren kann oder nicht, muss jede und jeder für sich selbst beantworten. Doch Cameron tut wirklich alles, dass einem dabei nicht langweilig wird. Insbesondere die Unterwasserwelten, die er kreiert hat, sind wirklich phänomenal. Ein besonderer Coup ist sicher auch, dass er der inzwischen 73-jährigen Sigourney Weaver, deren Charakter im ersten "Avatar"-Film gestorben war, ein Comeback in der Rolle eines Na'vi-Teenagers (!) beschert. Das Einzige, was er über dieser ganzen technischen Leistungsschau vollkommen vergessen zu haben scheint, ist das, was zu einem wirklich großen Film eben zwangsläufig auch gehört: eine gute Geschichte und sinnstiftende Handlung.
Wild-West-Geschichte auf Pandora
Die sucht man in "Avatar: The Way of Water" aber leider vergebens. Stattdessen verlegt sich der Film im Wesentlichen darauf, die Geschichte seines Vorgängers in vereinfachter Form nochmal zu erzählen. Die große Folie, in der "Avatar" einst Spiritualität und Materialismus, friedliche Zivilisation und brutale Unterdrückung, den Einklang mit der Natur und die kapitalistische Ausbeutung aufeinandertreffen ließ, schrumpft dabei auf die persönliche Fehde zwischen Jake Sully (Sam Worthington) und Colonel Miles Quaritch (Stephen Lang), der nach seinem Tod im ersten Teil als geklonter Bösewicht ebenfalls zurückkehren darf. Übrig bleibt am Ende eine eher schlichte Wild-West-Geschichte, als würde Santer mit der gesamten Kavallerie zu seinem Rachefeldzug gegen Winnetou blasen. Nur mit dem Unterschied, dass die Erzählung nicht etwa im Tal des Todes, sondern auf Pandora spielt, mit blauen Na'vis statt "Bleichgesichtern" und "Rothäuten".
Dabei mangelt es nicht nur an Originalität, sondern auch an Logik. Denn ebenso wie sich die Kavallerie nicht Santer angeschlossen hätte, stellt sich die Frage, weshalb sich eigentlich der gesamte Konzern, der doch eigentlich nur Pandora ausbeuten will, in den Dienst der Rachegelüste eines Klons stellt. Zumal Sully eigentlich längst klein beigegeben hat und sich mit seiner Frau Neytiri (Zoe Saldana) und seinen Kindern bei dem mit dem Meer verbundenen Volk der Metkayina ins Exil geflüchtet hat …
Mit "Avatar" stieß sich Cameron einst selbst vom Thron. Schließlich ist er auch der Schöpfer von "Titanic", der zuvor jahrelang die Liste der erfolgreichsten Filme aller Zeiten angeführt hatte. Im Wasser ist Cameron in seinem Element. Zu verraten, dass "Avatar: The Way of Water" auch so manche "Titanic"-Erinnerung wachruft, dürfte nicht allzu viel gespoilert sein.
Bleibt nur zu hoffen, dass Cameron mit "Avatar" keinen persönlichen Titanic-Moment erlebt. Vielleicht haben er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter ja ihr schwächstes Drehbuch mit Teil zwei nun bereits verschossen und die wirklich zündenden Einfälle kommen noch, um das Franchise abseits technischer Höchstleistungen mit Leben zu füllen. Oder mit Seele, wie es die Na'vi sicher formulieren würden. Sollte es aber darauf hinauslaufen - und ein Stück weit lässt "Avatar: The Way of Water" dies befürchten -, die Geschichte einfach nur wieder und wieder zu reproduzieren, droht Cameron der Schiffbruch. Mehr Kino geht nicht? Das wäre wirklich jammerschade.
(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 14. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de