Film und Serien

Wie August Diehl ans Limit ging "Es gibt auch heute Josef Mengeles"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Großes, aber auch verzehrendes Kino: August Diehl in "Das Verschwinden des Josef Mengele".

Großes, aber auch verzehrendes Kino: August Diehl in "Das Verschwinden des Josef Mengele".

(Foto: Lupa Film / CG Cinema / Hype Studios)

Der Film "Das Verschwinden des Josef Mengele" ist eine Tour de Force. Wie August Diehl darin den "Todesengel von Auschwitz" mimt, ist ebenso brachial wie brillant. Mit ntv.de spricht er nicht nur über das Monster Mengele, sondern auch über das Monströse im Menschlichen selbst.

ntv.de: Ich frage mich: Was ist die erste Reaktion, wenn man das Angebot bekommt, Josef Mengele zu spielen - "Ja, super Herausforderung" oder "Ach, du sch…"?

August Diehl: Zweiteres. Erst einmal habe ich tatsächlich gesagt: "Nein, irgendwo ist auch mal Schluss. Das ist jetzt das Limit." Wenn man als Schauspieler eine Rolle spielt, muss man versuchen, seine Figur zu verstehen. Es geht gar nicht anders. Man kann nicht sagen: "Er ist ein Monster, er ist nicht zu verstehen und ich will es auch gar nicht." Ansonsten braucht man ihn gar nicht erst zu spielen. Also stand wirklich die grundsätzliche Frage im Raum: Machst du es oder machst du es nicht?

Die Antwort darauf kennen wir nun …

Ja, weil ich mich dann gefragt habe, ob so ein Schubladendenken richtig ist: "Das ist ein Monster, der ist unmenschlich, damit will ich mich nicht beschäftigen." Leben wir nicht in einer Zeit, die eher eine Vergessenskultur als eine Erinnerungskultur ist? Es scheint ja so zu sein: Wir hatten gedacht, wir hätten was gelernt. Aber plötzlich haben wir wieder Kriege, die wir nicht mehr für möglich gehalten hätten. Neben diesen Gedanken war natürlich (der Regisseur) Kirill Serebrennikow für mich ausschlaggebend. Mit ihm zusammenzuarbeiten, hat mich als Künstler sehr gereizt. Ich bereue überhaupt nicht, den Film gemacht zu haben.

Die Publizistin Hannah Arendt hat im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus von der "Banalität des Bösen" gesprochen - dass Monster letztlich eben auch nur gewöhnliche Menschen sind. Hat sich mit Ihrer Arbeit an dem Film Ihr Blick auf Mengele verändert?

Nein, im Grundsatz nicht. Es bleibt monströs. Aber genau dahinter verbirgt sich etwas, das uns zu zeigen wichtig war. Viele sagen ja: "Der ist unmenschlich. Der hat nichts Menschliches." Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Kein Tier kann so grausam sein wie der Mensch. Es ist etwas, das ein Teil des Menschen ist und in ihm schlummert. Das Monströse liegt also im Menschlichen selbst. Ich bin im Zuge der Vorbereitung auf den Film auf die Aussage einer Frau gestoßen, die ein Liebesverhältnis mit dem alten Mengele in Südamerika hatte …

Was hat sie darüber gesagt?

Dass sie überhaupt nicht gewusst habe, wer er sei und was er getan habe. Und dass er ihr, nachdem ihr im Leben niemals jemand zugehört hatte, sein Ohr geschenkt und ihr eine nie gekannte Wärme gegeben habe. Das hat mich hellhörig gemacht. Dann habe ich darüber nachgedacht, wie Mengele wohl als Kind war. So ein Monster ist eben nicht immer nur ein Monster. Das menschliche Leben ist ein Puzzle aus vielen verschiedenen Teilen.

Seit 28 Jahren sieht man Diehl in vielen enorm unterschiedlichen Rollen.

Seit 28 Jahren sieht man Diehl in vielen enorm unterschiedlichen Rollen.

(Foto: picture alliance / Eventpress)

Der Film orientiert sich am gleichnamigen Buch des Franzosen Olivier Guez, das als Roman verfasst wurde. Wie dicht ist Ihre Darstellung Ihrer Ansicht nach an der Realität?

Das weiß ich nicht. Aber das ist für mich auch gar nicht wichtig. Wenn uns das interessiert hätte, hätten wir versucht, einen Dokumentarfilm zu machen. Meiner Meinung nach ist das nicht die Aufgabe eines Spielfilms. Und ich finde, auch eine schauspielerische Interpretation nähert sich einer Sache nicht unbedingt dadurch an, dass sie sich anmaßt, alles ganz genau so zu machen, wie es war. Das können wir gar nicht.

Auch weil es über Mengeles Zeit in Südamerika nur wenige Belege gibt …

Ja, das ist alles äußerst schwammig. Es gibt auf jeden Fall Berichte darüber, dass er nie bereut hat. Sein Sohn Rolf etwa hat das erzählt. Aber noch mal: Zu zeigen, was tatsächlich passiert ist, ist nicht der Anspruch des Films. Es geht vielmehr um das Kaleidoskop eines monströsen Menschen, der aber letztlich hinter seiner Grausamkeit und dem Bösen, das er repräsentiert, total flach, banal und langweilig ist. Jemand, der der Welt eigentlich nichts zu geben hat, weder als Arzt noch als Mensch. Der nichts beizutragen hat. Das ist genau die Definition eines Psychopathen.

Mengele bereut nicht nur nicht. Im Film versinkt er auch im Selbstmitleid. Zugleich können wir ihn dabei beobachten, wie er vereinsamt, verbittert, vergreist und eben "verschwindet" - bis das Nazi-Monster nur noch ein jämmerliches Häufchen Elend ist. Gibt es Ihrer Ansicht nach an irgendeinem Punkt Grund, Mitleid mit ihm zu haben?

Nein. Schon deswegen nicht, weil er selbst derjenige ist, der am meisten Mitleid mit ihm hat. Ich würde sagen, damit ist das ausgeschöpft. Es geht nicht um Mitleid, sondern um das Verstehen. Die wirklich bösen Menschen zeichnen sich vor allem dadurch aus, dass sie überhaupt nichts Besonderes sind. Das weiß man auch von Serienkillern oder anderen Psychopathen - und Mengele gehört sicher dazu. In Kriegssituationen oder Diktaturen werden sie dann plötzlich begünstigt, weil sie gebraucht werden. Mengele ist nur Teil eines Phänomens. Es gab schon vor ihm Mengeles. Und es gibt sie ganz sicher auch heute.

Regisseur Kirill Serebrennikow lebt als Russe selbst im Exil, weil er in Putins Regime verfolgt, schikaniert und drangsaliert wird. Der Krieg in der Ukraine ist einer der von Ihnen erwähnten Kriege, in dem es - mal ganz abgesehen vom eigentlichen Kriegsgeschehen - zu Grausamkeiten, Folter und Kriegsverbrechen kommt. Stirbt das Böse nie aus?

Ich denke, solange der Mensch nicht ausstirbt, wird auch das Böse nicht aussterben. So wie es (der Psychiater) C.G. Jung sinngemäß einmal gesagt hat: Die größte Gefahr für den Menschen ist der Mensch selbst. Ich glaube, genau deshalb ist es gut, auch heute einen Film über Josef Mengele zu machen - weil wir weltweit wieder dahin rutschen, Systeme und Kriegssituationen zuzulassen, die wir überwunden glaubten. Weil sich die Simplifizierung der Welt, die Einteilung in Schwarz und Weiß, in Gut und Böse wiederholt. Weil die sprachliche Zuspitzung mit Begriffen wie "Drecksarbeit" oder "Achse des Bösen" wiederkommt. Es ist letztendlich immer das Gleiche. Und Josef Mengele ist dafür ein sehr, sehr gutes Beispiel.

Sie wirken oft in Filmen mit historischem Hintergrund mit - ob es um die NS-Zeit geht oder in einem Film wie "Wer wenn nicht wir" um die RAF. Weil Ihnen das so oft angetragen wird, Sie selbst historisch so interessiert sind oder Sie Rollen mit einem historischen Hintergrund einfach reizen?

Da kommt alles Mögliche zusammen. Ich bekomme sicher auch Angebote von Menschen, die mich in solchen Rollen sehen. Wenn wir ein ähnliches geschichtliches Interesse teilen, passt das dann auch. In den 28 Jahren, die ich das inzwischen mache, sind aber auch sehr viele Filme ohne so einen Hintergrund entstanden. Am Ende des Tages interessieren mich ein gutes Script, der Regisseur und die Menschen, mit denen ich zusammenarbeite. Da ist also auch viel Zufall dabei.

Auch in "Inglourious Basterds" spielte Diehl einen Nazi - nur halt eben komplett anders.

Auch in "Inglourious Basterds" spielte Diehl einen Nazi - nur halt eben komplett anders.

(Foto: imago stock&people)

Eine Nazi-Rolle, in der Sie ganz sicher viele in Erinnerung haben, ist die in Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" - ganz andere Baustelle, ganz anderer Zusammenhang, ganz andere Darstellung. Im Vergleich zu einer Tour de Force, wie Sie sie jetzt als Josef Mengele abliefern, wirkt das geradezu spielerisch einfach. Täuscht das?

Nein, gar nicht, weil Tarantino keinen wirklichen Film über Nazi-Deutschland mit dem Anspruch einer geschichtlichen Aufarbeitung gemacht hat, sondern eine opereske, fast comichafte Erzählung - wie Tarantino das eben so wunderbar macht. Das ist natürlich ein ganz anderes Genre. Es ist wie eine ganz andere Musikart, wie mit einer komplett anderen Band zu spielen.

Was macht Ihnen denn am meisten Spaß - so eine Arbeit wie mit Tarantino, eine intensive Rolle wie die des Josef Mengele oder vielleicht auch das Theater, wo man Sie ebenfalls häufig sieht?

Die Unterschiedlichkeit macht mir am meisten Spaß, die verschiedenen Menschen mit ihren verschiedenen Fantasien und ganz verschiedenen Zugängen zu vielleicht durchaus ähnlichen Themen. Das ist etwas, das ich nicht missen möchte.

Mit August Diehl sprach Volker Probst.

"Das Verschwinden des Josef Mengele" läuft aktuell in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen