Polarisierendes Sequel "Joker 2" sprengt Grenzen zwischen Thriller und Musical
03.10.2024, 15:14 Uhr Artikel anhören
Lernen sich in der Psychiatrie kennen und lieben: Harley Quinn und der Joker.
(Foto: IMAGO/Landmark Media)
Mit "Joker" kam 2019 ein viel diskutierter Film in die Kinos. Fünf Jahre später erscheint nun ein mutiger Versuch, die umstrittene Figur des Jokers weiterzuentwickeln. Die künstlerische Vision ist einzigartig, doch nicht alle Zuschauer dürften den experimentellen Ansatz von "Folie à Deux" schätzen.
2019 sorgte Todd Phillips "Joker" schon vor seinem Kinostart für hitzige Diskussionen. Im Zentrum der Kritik stand die vermeintliche Verherrlichung eines Amokläufers - allen voran die eskalierende Gewalt, die der gesellschaftlich isolierte und psychisch instabile Protagonist Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) schließlich als Joker in einem Akt der Selbstermächtigung auslebt. Der Vorwurf, dass der Film Flecks Wahnsinn und Brutalität romantisiere und damit eine gefährliche Botschaft vermittle, rief sogar die US-Bundespolizei FBI auf den Plan.
Die Frage, was sich diese Zuschauer bei ihrer Kritik gedacht haben, scheint berechtigt. Schließlich handelte es sich bei "Joker" um einen Thriller, der in der fiktiven, von Korruption und Verfall geprägten Welt von Gotham City spielt. Soll ein Film über den Joker - eine der wohl ikonischsten und gefährlichsten Figuren des DC-Universums - ein friedliches und moralisch unbedenkliches Drama werden? Wohl kaum. So ist es kaum verwunderlich, dass die Figur, die als Sinnbild für Chaos und Anarchie steht, hier in voller Härte gezeigt wurde. Phoenix' Darstellung des an Schizophrenie leidenden Clowns, der zunehmend den Bezug zur Realität verliert, war fesselnd und brachte die tragische Seite seiner Figur zum Vorschein.
Mit "Joker: Folie à Deux" (französisch für "gemeinsame psychotische Störung") liefert Phillips nun nicht nur eine eindrucksvolle Fortsetzung, sondern auch eine weitere Gelegenheit, das Publikum in zwei Lager zu spalten. Die Geschichte setzt nach seiner spektakulären Mordserie des ersten Teils an: Arthur Fleck sitzt im Arkham Asylum, während vor Gericht seine mögliche Todesstrafe verhandelt wird. Während er von den Bürgern Gotham Citys, die in Scharen vor dem Gerichtsgebäude stehen, noch immer als Befreiungssymbol gefeiert wird, mutiert er in der Anstalt wieder zum gepiesackten Opfer, das er sein Leben lang war. Erst als er in der psychiatrischen Abteilung seiner Einrichtung bei einer Gesangstherapiestunde auf die Patientin Dr. Harleen "Lee" Quinzel (Lady Gaga) trifft, nimmt sein Leben eine plötzliche Wendung. Zwischen ihm und Lee entfaltet sich eine Liebesgeschichte, die von ihrer geteilten Leidenschaft für Chaos und Zerstörung lebt. Und während seine Anwältin versucht, vor Gericht auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren, setzt Fleck sich - bestärkt durch seine neue Freundin - immer mehr mit seiner Doppelidentität auseinander.
Die Chemie stimmt
Die schauspielerischen Leistungen sämtlicher Darstellerinnen und Darsteller sind unbestritten großartig - etwa Catherine Keener als Anwältin Maryanne Stewart, die Arthur Fleck im Laufe des Films in seinem Größenwahn feuert, um sich als Joker selbst zu vertreten. Harvey Lawtey als arroganter Staatsanwalt Harvey Dent und Brendan Gleeson als gemeiner Gefängniswärter Jackie Sullivan. Joaquin Phoenix, der für seine Darbietung im ersten Teil mit einem Oscar ausgezeichnet wurde, brilliert einmal mehr in seiner Rolle als Antiheld, der tief in Wahnsinn und Verzweiflung gefangen ist. Er schafft es, die inneren Kämpfe seiner Figur auf sowohl beängstigende als auch tragische Weise darzustellen. Auch Lady Gaga verleiht ihrer Lee eine charmante Mischung aus Wahnsinn und Verletzlichkeit. Jedoch bietet ihr der Film nicht viele Möglichkeiten, ihre schauspielerischen Fähigkeiten vollends unter Beweis zu stellen.

Von den Bürgern Gotham Citys wird der Joker gefeiert. Im Knast dagegen wird er schikaniert.
(Foto: IMAGO/ZUMA Press)
Das ist besonders schade, weil Gagas und Phoenix' Chemie wirklich großartig funktioniert - vor allem in ihren dynamischen Gesangs- und Tanzszenen, die immer wieder zwischen Realität und Fantasie oszillieren. In ebendieser titelgebenden gemeinsamen psychotischen Störung bewegt sich der Film kunstvoll zwischen den Ebenen und schafft faszinierende visuelle und emotionale Momente. Joker und Harley Quinn, wie sie sich fortan nennt, sorgen in ihrer Traumwelt, in der sie für ein imaginäres Publikum performen, für eine fast hypnotische Atmosphäre und bringen eine ungewöhnliche, aber interessante Dimension in den Film.
Für Arthouse-Liebhaber mag die Kombination aus Psychodrama und surrealem Musical sowie der Fokus auf das Innere der Figuren in ihrer Traumwelt ein ästhetischer Hochgenuss sein - machen sie den Film doch zu einer außergewöhnlichen cineastischen Erfahrung. Und vermutlich wären ohne sie gemeinsame Szenen der Hauptdarsteller rar gewesen, schließlich sitzt der Joker im Gefängnis. Viel Raum für die Entfaltung einer Beziehung bietet dieser Umstand nicht. Doch die Entscheidung von Regisseur Phillips, einen Superstar wie Lady Gaga zu engagieren, nur um sie dann in den Hintergrund eines Gerichtssaals zu verbannen, bezeichnet das US-Portal "IndieWire" zu Recht als "viel krimineller als alles, was Arthur Fleck jemals in diesem Film macht".
Gemischte Reaktionen sind gewiss
Der Schwerpunkt auf der visuellen Ästhetik dieser Szenen nimmt der düsteren, destruktiven Geschichte allerdings auch viel von ihrer erzählerischen Wucht. Für Fans, die sich auf eine Fortsetzung des ersten Teils gefreut haben, könnte genau das ein Problem sein. Der Film verliert durch das häufige Abgleiten in die Fantasie seiner beiden Hauptdarsteller an Tempo und Spannung. Die ursprüngliche Anziehungskraft des ersten Films, der eine rohe und brutale Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen und gesellschaftlicher Vernachlässigung bot, weicht hier einer fast opernhaften Inszenierung. Das bedeutet nicht, dass der Film keine gewalttätigen und düsteren Momente hat - sie sind da und wenn sie auftreten, sind sie intensiv. Doch wer erwartet hat, dass "Folie à Deux" den psychologischen Thriller-Pfad des ersten Teils weitergeht, wird wahrscheinlich enttäuscht werden. Stattdessen wird das Sequel zu einem hybriden Werk, das versucht, die Grenzen zwischen Thriller, Psychodrama und Musical zu sprengen.
Insgesamt bleibt "Joker: Folie à Deux" mutig und originell, was ihm zweifellos erneut durchwachsene Reaktionen bescheren wird. Er wagt es, Genres zu vermischen und radikale artistische Entscheidungen zu treffen. Für manche wird er als künstlerisches Meisterwerk gefeiert, für andere bleibt er ein kontroverser Film, der mehr Fragen aufwirft als beantwortet. "Joker: Folie à Deux" ist alles andere als konventionell und bietet ein Kinoerlebnis, das entweder begeistert oder verwirrt - aber sicherlich niemanden kaltlässt. Und das ist vielleicht das größte Kompliment, das man dem Film machen kann.
"Joker: Folie à Deux" läuft ab sofort in den Kinos.
Quelle: ntv.de