Musik

Jan-Josef Liefers und Radio Doria "Man wird seine Seele niemals los!"

Immer schön für Privatheit sorgen: die Jungs von Radio Doria.

Immer schön für Privatheit sorgen: die Jungs von Radio Doria.

Jan Josef Liefers alias "Tatort"-Rechtsmediziner Professor Boerne macht seit vielen Jahren auch Musik und spielte mit dem Programm "Der Soundtrack meiner Kindheit" mehr als 250 Konzerte. Seine Band Oblivion musste er indes nun in Radio Doria umbenennen: Die US-Metalband Oblivion hatte sich den Namen schon vor Jahren schützen lassen. Bei Facebook und Twitter gab es schon Ende August verwunderte Kommentare: Fans hatten im Radio "Verlorene Kinder" von Radio Doria gehört und erst mit Verspätung gemerkt, dass sich Jan Josef Liefers mit neuem Bandnamen dahinter verbirgt. Der Schauspieler und Musiker selbst findet es toll, namentlich nicht mehr im Vordergrund seiner Truppe zu stehen, wie er im Interview mit n-tv.de sagt. Im Gespräch über sein neues Album "Die freie Stimme der Schlaflosigkeit" verriet er außerdem, warum er gerne nachts mal nicht schläft, was John Cage mit der Platte zu tun hat und wieso er einen Kriegsreporter nach Syrien begleitete.     

n-tv.de: Hat es dich getroffen, den Namen Oblivion abgeben zu müssen?

Schlaflosigkeit ist nicht unbedingt ein Problem.

Schlaflosigkeit ist nicht unbedingt ein Problem.

Jan Josef Liefers: Nein. Da stand als vollständiger Bandname ja immer: Jan Josef Liefers und Oblivion. Das hat mich sowieso gestört. Und die markenrechtlichen Probleme waren ein guter Anlass, zu sagen: Wir machen den Jan Josef weg und sind ab jetzt schlicht und einfach Radio Doria. Es ist wie ein Neustart für uns. Und was mich sehr amüsiert: Wir machen seit mehr als zehn Jahren zusammen Musik, haben ohne Ende Konzerte gespielt, und kommen jetzt mit unserem ersten komplett selbst geschriebenen Album um die Ecke - sozusagen dem Debütalbum.

Dann wartete der Name Radio Doria schon fertig in der Schublade?

So war es nicht ganz. Aber der Name lag nahe. Die Idee, aus diesem Kopfradio, das einen nachts am Schlafen hindert, einen Abend zu machen, hatte ich schon länger. Und Radio und Doria, das sind dieselben Buchstaben, einfach durcheinander gewürfelt. So wie das passiert, wenn man nicht mehr ganz wach ist, aber auch noch nicht richtig schläft. Viele Leute empfinden Schlaflosigkeit als Problem. Aber es kann auch toll sein, nachts mal nicht zu schlafen.     

Du bist also jemand, der sehr nachtaktiv ist?

Ja, und deswegen habe ich gedacht, die Schlaflosigkeit braucht nicht nur Ärzte, sondern auch eine freie Stimme.

Dann hast du die Songs vermutlich auch nachts geschrieben?

Einige sind tatsächlich nachts geschrieben worden. Aber es passiert selten, dass man ein Lied von Anfang bis Ende in einem Rutsch schreibt. Du hast eine Idee, dann hast du ein paar Zeilen, dann liegt es wieder ein paar Tage. Dann gefällt dir eine Zeile noch nicht, und du überlegst, wie man die besser machen kann, und das findet nicht unbedingt bei Nacht statt. Aber sehr oft haben die Themen und die Ideen zu den Texten viel mit der Nacht zu tun.

Wie einfach oder wie schwer ist das Songwriting, wenn man es erstmals selbst macht?

Du musst eine Reise antreten, hin zu deinen Möglichkeiten und auch zu deinem Geschmack. Für mich ist es nicht einfach gewesen, einen deutschen Text zu schreiben. Ich will keine Plattitüden von mir geben, es soll kein Schlager-Allerlei sein. Du willst spezieller sein in den Dingen, die du sagst, aber auch nicht zu verkopft. Du willst Dinge möglichst einfach sagen, aber mit ungewöhnlichen Worten oder Bildern. Das dauert ein bisschen. Und ich habe gelernt, dass ich mir auch mal Hilfe holen kann.

In einem Lied heißt es bei dir "In meinem Kopf spielt Radio Doria". Welche Musik läuft auf diesem Sender?

Ändern Menschen sich wirklich nicht?

Ändern Menschen sich wirklich nicht?

Da läuft tatsächlich unsere Platte. Dinge, die man bei Tag verdrängt, kommen nachts wie ein Bumerang zurück. Die Nacht ist eine seltsame Zeit und wie ein Vergrößerungsglas für alles Mögliche - Ängste, Sorgen, aber auch Euphorie. Nachts ist aber auch eine Zeit, in der dich die Leute in Ruhe lassen. Die Nacht ist außerhalb der Geschäftszeiten. Wenn man mal nicht schlafen kann, ist es auch möglich, aufzustehen und sich die Nacht zum Freund zu machen. Die Ruhe und die Zeit, die man sich nehmen kann, um eine komplexe Sache, wie zum Beispiel eine Beziehung zu überdenken. Das geht bei Tag nicht, da musst du von A nach B rennen und einkaufen und die Kinder abholen und so weiter.

Ich brauche ein bisschen Nachhilfe: Ich höre diesen Nachtbezug gar nicht so deutlich aus den Songs heraus.

Auch nicht beim "Mondlied"? Na gut. Nicht alles, was dich nachts beschäftigt, hat auch mit der Nacht zu tun. Es muss nicht automatisch nach Gruselfilm und Angst und Melancholie klingen. Es ist viel Fröhlichkeit im Spiel, man erlebt ja auch die wildesten und lustigsten Nächte.

In "Verlorene Kinder" singst du "Wir sind, wer wir sind. So wie wir waren als Kind": Hast du das Gefühl, dich nicht verändert zu haben?

Ich habe mich natürlich verändert, vor allem in meinem Verhalten. Aber nicht wirklich charakterlich. Inzwischen glaube ich nicht recht daran, dass Menschen sich grundsätzlich ändern. Man wird seine Seele niemals los. Wir können unser Verhalten modifizieren, uns vielleicht verstellen, anpassen, wir können uns über Jahre komplett verleugnen, wohl auch unsere Überzeugungen verkaufen, aber das alles kommt zurück und wir landen irgendwann auf der Couch eines Seelenklempners.

Einige Songs entstanden in Halberstadt neben der Kirche, in der das Orgelstück "Organ2/ASLP" von John Cage aufgeführt wird, das so langsam wie möglich gespielt werden soll. Das waren vermutlich schräge Klänge in der Nachbarschaft.

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Ein Grund, warum wir nicht wie andere Bands täglich im Probenraum abhängen, bin ich. Es sind eben so viele andere Sachen zu tun, Filme, Theater, und deshalb kann ich nicht jeden Tag Musik machen. Also haben wir beschlossen, wir nehmen uns regelmäßig ein, zwei Wochen Auszeit und sagen Adios, die Handys bleiben aus, wir fahren irgendwo in die Pampa, wo uns keiner stören kann. Halberstadt war so ein Fleckchen, da kannte jemand ein ehemaliges Nonnenkloster, und dort konnten wir laut sein und unseren Kram machen. Was wir nicht wussten: Nebenan war diese stillgelegte Kirche, in der John Cages "As Slow As Possible" aufgeführt wurde, das sich nach dem Willen der örtlichen Veranstalter über eine Zeit von 639 Jahren hinziehen soll. Frühestens in ein paar Jahren wird es wieder zu einem Tonwechsel kommen. Dann wird eine treue Gemeinde aus der ganzen Welt angefahren kommen, um den neuen Ton als Erster zu hören. Danach wird wieder über viele Jahre nichts passieren. Alles geht so langsam wie möglich. Wir dachten, wir fahren ans Ende der Welt, wo vielleicht ein paar Kühe herum stehen. Stattdessen kamen wir an einen Hotspot der Avantgarde, in ein Biotop, wo der totale Kultur-Punk abging.

Du bist auch mit einem US-Kriegsreporter in Aleppo gewesen. Wie kam es dazu, dass du nach Syrien fährst?

Robert King, der seit Jahren mitten in Kriegsgebiete geht, um zu dokumentieren, was Krieg wirklich bedeutet, hat mir seine Bilder aus Syrien gezeigt. Mir fiel auf, dass hier in Deutschland so eine gelassene Entfernungsmentalität herrscht, nach dem Motto: tragisch, aber nicht unser Bier. Und dann dachte ich mir, wenn du darüber laut reden willst, brauchst du eine Art "Mandat", du musst dich mindestens dorthin trauen, wohin Journalisten - aus guten Gründen - kaum noch gehen. Eigene Eindrücke gewinnen. Wir leben hier - Gott sei Dank - seit fast 70 Jahren im Frieden. Sowohl ich als auch die meisten meiner Landsleute kennen Kriege nur von Weitem, nur aus Nachrichten. Und dann dachte ich, wenn sich die Gelegenheit bietet, über vertrauenswürdige Kontakte nach Aleppo und möglichst heil wieder herauszukommen, dann machst du das.

Ich war mit einer winzigen Gruppe von Eingeweihten einen Tag in Aleppo. Diesen Tag werde ich nie vergessen. Wir hatten einen Laster Babymilch von Human Plus e.V. dabei, der aber aus Sicherheitsgründen eine andere Route nahm. Ich habe versucht, eine Debatte über unsere Rolle in diesem Konflikt anzustoßen, kam aber nicht weit. Niemand hier hat im Entferntesten eine Ahnung, was es bedeutet, in Syrien zu überleben, aufgerieben zu werden zwischen dem Terror von Assads Truppen und dem Terror der IS. Bombardiere mal zwei Jahre lang Prenzlauer Berg (Stadtbezirk Berlins, Anm.d.Red.) und dann frage die Leute, was noch übrig ist an Kultur des zivilen Lebens.

Auf der Republica warst du als Datenschutzaktivist im Einsatz. Wie hältst du es privat, verschlüsselst du Mails und Dokumente, bist du zurückhaltend im Netz unterwegs?

Ich bin nicht fit genug in diesen Fragen. Ich verschicke die meisten E-Mails unverschlüsselt. Ich benutze verschlüsselnde Nachrichtendienste wie Threema oder Hoccer und wenn ich erfahre, dass die auch nicht mehr für Privatheit sorgen können, dann sehe ich weiter. Ich tue das nicht, weil ich geheime, subversive Dinge schreibe, sondern weil ich Datenschutz wichtig finde. Ich will nicht überwacht und ausspioniert werden. Wenn ich dran denke, klebe ich an Rechnern die Kameras zu. Ich hab' nichts zu verbergen. Aber das heißt nicht, dass ich jedem, der dazu in der Lage ist, gestatte, mich zu überwachen. Das wird sicher eine große Frage der nahen Zukunft sein: wie halte ich wirksam Fremde aus meinem Privatleben heraus. Ich könnte lange mit dir über die Kehrseiten des Internets diskutieren. Aber das machen wir beim nächsten Album!

Mit Jan-Josef Liefers sprach Nadine Emmerich

"Die freie Stimme der Sprachlosigkeit" erscheint am 12. September - bei Amazon bestellen

Quelle: ntv.de

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