"Nach der Musik kommt der Tod" Matthias Reim hat genug vom Blabla
23.03.2018, 15:00 Uhr
"Ich fühle mich großartig": Matthias Reim.
(Foto: Sven Sindt / Sony Music)
Als im Frühling 1990 in Berlin die letzten Mauersteine besprüht wurden und die gesamtdeutsche Teens- und Twens-Community erstmals im Hand-in-Hand-Modus in die Wochenenden feierte, pumpten satte Bässe und zuckende Rhythmen aus den Boxen der Ost-und-West-Jugendzimmer: Snap!, Technotronic und Ice MC. Aber auch für Stimmungen abseits der brodelnden Tanzflächen von Kiel bis Leipzig präsentierten sich passende Kurzzeit-Soundtracks auf dem Silbertablett. Wer Liebeskummer hatte, der teilte sein Leid mit Sinéad O'Connor. Wer sich nach mehr Lebensfreude sehnte, der tanzte Lambada. Und wer einfach nur froh darüber war, dass man das Brandenburger Tor endlich von beiden Seiten bestaunen konnte, der ging tagtäglich mit den Klängen von David Hasselhoff im Ohr spazieren.
Das Einzige, was dem wiedervereinten Land im Frühling 1990 noch fehlte, war ein Zweisamkeits-Über-Hit aus der Feder eines Musikanten aus der Nachbarschaft. Am 2. April 1990 war es dann endlich so weit. Aus dem hessischen Nirgendwo schwappte sie plötzlich über die gesamte Republik: die musikgewordene Riesenwelle namens "Verdammt, ich lieb dich!".
Mit seiner ersten Solo-Single schoss Matthias Reim sogleich an die Charts-Spitze. Praktisch über Nacht katapultierte sich der blonde Vokuhila-Nerd auf den Deutschpop-Thron. Knapp 30 Jahre später ist Matthias Reim immer noch am Start. Während die Damen und Herren von Snap! und Co heute nur durch die Dorfdiskos tingeln, singt Matthias Reim im kommenden Dezember in der proppenvollen Berliner Mercedes-Benz-Arena. n-tv.de traf sich anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Studioalbums "Meteor" mit Matthias Reim zum Interview über künstlerische Selbstprüfungen, das Deutschpop-Dilemma und die Rolling Stones.
n-tv.de: Matthias, nach einer mehr als 25-jährigen Pop-Achterbahnfahrt erscheint dieser Tage dein 17. Studioalbum "Meteor". Was macht das Album für dich zu einem besonderen Werk?
Matthias Reim: Ich hatte nach meinem letzten Album das Gefühl, meine Arbeit wird zur Routine - die Reisen, die Konzerte, die Interviews, die Studioarbeit, all das. Und Routine ist der Tod eines Künstlers. Deshalb habe ich mir zwei Jahre lang eine Auszeit genommen - keine Interviews, keine TV-Shows, nur ein paar Konzerte. Ich wollte Abstand zu meiner Musik und zu meinem Beruf gewinnen. Das Ergebnis dieser Selbstprüfung ist ein neues Tourneeprogramm - und eben dieses Album "Meteor". Die Musik ist moderner, transparenter geworden.
Du hast diesmal wieder viele Balladen mit an Bord.
Ja, ich glaube, dass meine neuen Balladen persönlicher wirken. Diese rockigen Balladen sind immer ein wichtiger Teil meiner Musik gewesen - ich bin ein Geschichtenerzähler. Und ich habe den Eindruck, diese Balladen sind mir diesmal besonders gut gelungen: Songs wie "Verdammt noch mal gelebt" oder "Niemals zu müde", das sind Lieder in der Tradition von "Träumer" oder auch "Hallo, ich möcht' gern wissen". Aber natürlich gibt es auf dem Album auch die typischen Reim-Hits. Das sind die Songs, die leicht ins Ohr gehen, die man mitsingt, die gute Laune verbreiten - in der Art wie "Einsamer Stern". So ein Ohrwurm ist der Titelsong des Albums: "Meteor".
Popmusik mit deutschen Texten steht seit ein paar Jahren ja bei vielen Künstlern hierzulande ganz oben auf der Liste. Neben der feiernden Masse stehen am anderen Ufer aber auch viele Kritiker, die der neuen deutschen Popkultur jedweden Tiefgang absprechen. Auf welcher Seite stehst du?
Ich kann die Leute schon verstehen, die mit der Entwicklung nichts oder nur wenig anfangen können. Ich frage mich bei vielen Veröffentlichungen auch: "Warum ist das so erfolgreich?" Da gibt es viele Kollegen, deren Songs mich persönlich langweilen.
Gibt es Ausnahmen?
Von den deutschsprachigen Sängern packen mich eigentlich nur wenige. Da gibt es Sänger wie die urigen Typen von Santiano oder Sarah Connor. Oder Udo Lindenberg. Bei dem habe ich das Gefühl: Der tickt ähnlich wie ich. Der erzählt Geschichten, der ist authentisch. Aber die meiste deutsche Schlagermusik sagt mir nichts. Mir ist das alles zu niedlich, zu lieb, zu weich. Ich bin wirklich kein arroganter Mensch. Aber wenn ich mir all diese Songs anhöre, die gerade so im Radio laufen, dann frage ich mich oft: "Was will der mir eigentlich jetzt überhaupt erzählen?" Das ist oft musikalisch und textlich ein unglaubliches Blabla. Aber wenn es Menschen gibt, denen das gefällt, dann haben auch diese Kollegen ihre Existenzberechtigung.
Was fehlt der deutschsprachigen Popmusik?
Persönlichkeiten, die einen eigenen Stil haben, die interessante Texte singen und die sich nicht mit dem üblichen Blabla zufriedengeben, auch wenn sie damit billigen Applaus ernten. Mir ist das einfach zu weich.
Mir kam zu Ohren, dass zwei deiner sechs Kinder (Marie und Julian) in deine Fußstapfen treten wollen. Inwieweit nimmst du Einfluss, dass am Ende auch der "richtige" Pfad eingeschlagen wird?
Ich mische mich da überhaupt nicht ein. Was Marie genau macht, weiß ich, ehrlich gesagt, auch gar nicht so richtig. Und Julian habe ich lediglich den Tipp gegeben, auf Deutsch zu singen. Mir ist es wichtig, dass die beiden ihre eigenen Erfahrungen machen. Ich will ihnen da nicht reinreden. Das wollen die auch gar nicht - die haben ihren eigenen Kopf und ihre eigene Musik. Wenn sie mich brauchen, bin ich zur Stelle. Auch mit meiner Erfahrung in der Branche. Aber die sollen ihren eigenen Weg gehen. Ich dränge ihnen meinen Rat nicht auf.
Apropos Erfahrungen: Deine Karriere meinte es nicht immer nur gut mit dir. Gibt es irgendeine getroffene Entscheidung in deinem Leben, die du im Nachhinein bereust?
Es gibt bestimmt einige Situationen in meinem Leben, die ich mit meinem heutigen Wissen vielleicht anders angehen würde. Aber ich habe auch gelernt, dass alles, was ich getan und gelassen habe, dazu geführt hat, dass ich jetzt der bin, der ich bin. Und ich fühle mich großartig. Insofern hat das alles irgendwie auch Sinn gehabt. All die Umleitungen, die ich genommen habe, haben mir letztlich auch sehr gut getan. Ich musste in meinem Leben oft improvisieren. Ich musste mich verändern und wurde dazu gezwungen, intensiv über vieles nachzudenken. Das hat mich geprägt und mir in meiner Entwicklung als Mensch weitergeholfen.
Die Rolling Stones haben vor Kurzem bekannt gegeben, dass sie mal wieder nach Deutschland kommen werden. Du hast im vergangenen Jahr deinen 60. Geburtstag gefeiert. Träumst du auch von einer "ewigen" Karriere à la Jagger und Richards?
Auf jeden Fall. Ich bin ein Rock'n'Roller durch und durch. Was anderes kann ich auch gar nicht. Nach der Musik kommt der Tod, ganz einfach. Ich finde es großartig, wie die Stones ihr Ding durchziehen. Ich gucke lieber einem Keith Richards als einem Dieter Bohlen zu. Da ist alles echt. Kein Botox, kein elektronisches Tralala: Das ist Authentizität pur. Und genau so lebe und fühle ich auch.
Mit "Verdammt, ich lieb dich!" auf den Lippen in den Himmel?
Warum nicht? Das ist einfach ein toller Song, den ich immer noch super gerne spiele. Als ich den Song damals fertig hatte, sagten mir die Leute in den Rundfunkanstalten: Der Song fängt langsam an, wird dann viel zu schnell, und dann haust du auch noch ein Gitarrensolo rein. Das wird nichts, Matthias! Ich war der Einzige, der an diesen Song geglaubt hat. Gut, dass ich damals nicht lockergelassen habe. (lacht)
Mit Matthias Reim sprach Kai Butterweck
Das Album "Meteor ist ab sofort erhältlich.
Quelle: ntv.de