Gebären für Putins Russland Moskau wünscht sich Sex in der Mittagspause


Wladimir Putin hat 2024 zum "Jahr der Familie" erklärt.
Russland kämpft gegen eine Geburtenkrise. Zu wenige Kinder werden geboren. Ein Gesetz gegen Kinderlosigkeit soll die Gebärlust steigern. Sogar Sex in der Mittagspause ist ein erwünschtes Mittel.
Wladimir Putin hält Anfang Dezember in einem Moskauer Behindertenzentrum die Hand eines kleinen Jungen. Putin, umringt von kleinen Tänzerinnen in Blumenkleidern, im September in der Mongolei. Putin zwischen jungen Leuten auf der Bühne eines Kinder- und Jugendkongresses im Februar in Moskau.
Der russische Machthaber lässt sich gern mit Kindern fotografieren - so wie andere autoritäre Herrscher auch. Er inszeniert sich als "Vater der Nation" - mittlerweile auch als "gütiger Opa".
Kinder gibt es aber gerade viel zu wenige in Russland. Die Geburtenrate ist auf dem niedrigsten Stand seit 25 Jahren. 2023 hat jede russische Frau im gebärfähigen Alter 1,4 Kinder zur Welt gebracht. Dieses Jahr sind die Zahlen weiter gesunken. Bis September wurden nach offiziellen Daten 920.000 Kinder geboren, 3,4 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.
Nötig wäre eine Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau, um Russlands Bevölkerungszahl von 144 Millionen zu halten. Bis 2050 könnte diese Zahl laut Statistikern auf 133 bis 136 Millionen schrumpfen.
Tausende Russen sterben an der Front
Gleichzeitig gehen die Sterberaten hoch: An der ukrainischen Front sind bisher laut BBC über 70.000 russische Soldaten gestorben. Derzeit sind es besonders viele: mehr als 1000 pro Tag. Die unabhängigen Medienportale Medusa und Mediazona schätzen sogar, dass allein bis Juli 120.000 Russen gefallen sind.
Russland benötigt dringend Nachwuchs - für die Armee und den Arbeitsmarkt, dort fehlen die Männer, die auf dem Schlachtfeld kämpfen. Hunderttausende Männer sind zudem ins Ausland geflohen, um nicht eingezogen zu werden.
Kinderlosigkeits-Werbung steht unter Strafe
Ein demografisches Desaster - aber das Putin-Regime hat einen Plan. Es greift immer stärker ins Privatleben ein. Mit einem neuen Gesetz will der Staat das traditionelle Familienbild schützen. Das russische Parlament hat sich dieses Mal die "Childfree"-Bewegung vorgeknöpft und für ein Verbot gestimmt - eine Bewegung, die laut der unabhängigen russischen Zeitung "Nowaja Gaseta" gar nicht existiert. Damit ist Werbung für Kinderlosigkeit ab sofort verboten. Wer andere im Internet, in Medien, Filmen und in der Werbung dazu ermutigt, keine Kinder zu bekommen, wird bestraft. Es drohen hohe Geldstrafen von umgerechnet knapp 4000 Euro für Privatmenschen bis zu rund 48.000 Euro für juristische Personen.
Die "Ideologie der Kinderlosigkeit" führe zu einem Verfall der traditionellen Wertvorstellungen in der Gesellschaft und zu einem Aussterben der Bevölkerung, hieß es. Vor allem unter Jugendlichen dürfe nicht für eine Verweigerung des Kinderkriegens geworben werden, sagte Parlamentschef Wjatscheslaw Wolodin, eine neue Generation solle mit "traditionellen Familienwerten" aufwachsen.
Der Staat mache selbst vor der Gebärmutter nicht halt, kritisiert "Nowaja Gaseta" das Gesetz. Die strafrechtliche Verfolgung von "Childfree-Propaganda" eröffne ein weites Feld für Improvisationen. Allein der "Propaganda"-Begriff sei abstrakt und der Paragraf absichtlich schwammig formuliert. Damit könne man jeden belangen, auch jeden beliebigen Aktivisten, wenn sich nichts anderes gegen ihn finden lasse.
Putin wünscht sich "sieben, acht und noch mehr Kinder"
Seit Jahren versucht Russland, die sinkende Geburtenrate in den Griff zu bekommen. Auch, weil es dringend Soldaten für seine Kriege braucht. Die traditionelle Familie wird propagiert - Gegenentwürfe wie ein queeres Leben sind extremistisch. Die russische Regierung mischt sich zunehmend ins Privatleben der Menschen ein.
Putin will, dass russische Familien standardmäßig drei oder mehr Kinder haben. Auch von acht bis neun Kindern hat er schon gesprochen: "Lasst uns daran erinnern, dass unsere russischen Großmütter und Urgroßmütter oft sieben, acht und noch mehr Kinder hatten. Lasst uns diese wunderbare Tradition bewahren und wiederbeleben", hatte der Kremlchef im November 2023 gesagt.
Putin hat dieses Jahr zum "Jahr der Familie" erklärt. Eltern sollen mehr staatliche Unterstützung bekommen, wenn sie mindestens drei Kinder bekommen. Seit Jahren bekommen Mütter, die Kinder für Russland gebären, Zuschüsse. Seit 2007 gibt es bei der Geburt das "Mutterschaftskapital", gedacht für die Ausbildung der Kinder oder den Hauskauf. Außerdem gibt es auch eine vergünstigte Familienhypothek. Studentinnen in inzwischen elf russischen Regionen bekommen ab nächstem Jahr umgerechnet 1000 Euro, wenn sie ein Baby bekommen.
Abtreibungen werden eingeschränkt
Zumindest kurzfristig haben diese Strategien die Geburtenrate verbessert. Die Hypothekenprogramme hat der Staat inzwischen aber zurückgefahren und die Bedingungen seit Juli verschärft, weil die Ergebnisse enttäuschend waren und der Ukraine-Krieg zu teuer ist. Für nächstes Jahr seien für das "Mutterschaftskapital" nur rund fünf Milliarden Euro eingeplant, was nur 0,27 Prozent des BIP enspreche, schreibt das Journal für Internationale Politik und Gesellschaft (IPG).
Geld ist jedoch einer der wichtigsten Anreize, um Kinder zu bekommen. Verbote, die traditionelle Werte stärken sollen, kosteten dagegen kaum etwas, heißt es in dem IPG-Artikel, und ließen sich in einem autokratischen System leicht umsetzen.
So wie auch Abtreibungen. Diese schränkt Russland immer weiter ein. In einigen Regionen führen private Kliniken keine mehr durch. Und Patientinnen werden teils falsche Informationen gegeben, die Angst machen sollen: zum Beispiel, dass Schwangerschaftsabbrüche Brustkrebs auslösen können, berichtet Medusa.
Minister schlägt Sex in den Pausen vor
Und es wird noch kurioser: Russische Politiker machen absurde Vorschläge, damit mehr russische Babys geboren werden. Der Gesundheitsminister der Region Primorje, Jewgeni Schestopalow, hat der britischen Zeitung "Metro" in einem Interview gesagt, die Russinnen und Russen sollten während der Arbeitszeit Babys zeugen - sie sollen Sex in der Mittagspause haben. "Wir müssen uns dringend umeinander kümmern."
Die sinkende Geburtenrate in Russland hat viele Ursachen. In den 1990er Jahren sind wenige Kinder zur Welt gekommen, die heute selbst Nachkommen zeugen können. Die Gesellschaft altert, die jungen Leute stellen den Beruf vor die Familie. Auch Russlands Krieg gegen die Ukraine macht junge Russinnen und Russen nicht gerade zuversichtlich, was eine Familiengründung angeht. Paare verschieben ihren Kinderwunsch auch, weil sie mit dem politischen Kurs unzufrieden sind, steht in einer Studie der Moskauer Higher School of Economics (HSE), die "Forbes" ausgewertet hat.
"Putin gibt indirekt wirtschaftliche Probleme zu"
"Die Menschen wollen Kinder, aber sie haben kein Geld", erzählt eine russische Mutter bei ntv. Der Angriffskrieg in der Ukraine kostet den russischen Staat viele Milliarden. Rüstung und Militär sind teuer. Gleichzeitig verdient Russland mit Öl und Gas weniger Geld. Der Rubel ist schwach, die Zinsen explodieren, die Inflation zieht an.
"Die hohen Preise machen vielen Russen zu schaffen. Präsident Putin gibt sich als Kümmerer und fordert die Zentralbank auf, die hohe Inflation zu bekämpfen und gibt damit indirekt auch wirtschaftliche Probleme zu. Das sagen hinter vorgehaltener Hand auch viele Unternehmer, die nicht zum florierenden Rüstungsbereich gehören. Bei 21 Prozent Zinsen machen Investitionen einfach keinen Sinn mehr", berichtet ntv-Russland-Korrespondent Rainer Munz.
Das Riesenreich hat eine der weltweit höchsten Scheidungsraten und nach Zahlen von 2018 die höchsten in ganz Europa - infolgedessen gibt es auch viele Alleinerziehende. Gewalt, auch gegen Frauen und Kinder, ist allgegenwärtig. Der Alkoholkonsum steigt insbesondere seit Beginn des Ukraine-Kriegs an. Die Realität in Russland ist lange nicht so rosig, wie Putin sie gern hätte. Sie passt kaum zum traditionellen Familienbild und der Frau als Gebärmaschine für den Staat, was der Kreml momentan verstärkt propagiert.
Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?
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Quelle: ntv.de