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Habeck, Scholz und Lindner in Meseberg: Nur der Vize Kanzler ist nach drei Landtagswahlen zufrieden.
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Eine herbe Klatsche für die FDP und zumindest ein enttäuschendes Ergebnis für die SPD und Bundeskanzler Scholz: Die Wahl in Nordrhein-Westfalen ist ein Stimmungskiller für die so ambitioniert gestartete Ampelregierung. Ihr bleiben nun fünf Monate Zeit, sich zu berappeln.
"Die Tränen sind getrocknet", verkündet FDP-Chef Christian Lindner tapfer am Tag danach. Wie sehr die Liberalen ihre Niederlage bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen schmerzt, verhehlt niemand in der FDP. Schließlich ist sie die einzige Partei, die am Sonntag substanziell etwas verloren hat bei dieser letzten von drei Landtagswahlen im Frühjahr 2022: ihre Regierungsbeteiligung in Düsseldorf und mehr als die Hälfte ihrer Fraktionsstärke. Der Schaden ist damit größer als bei der SPD, die der CDU zwar nicht das Ministerpräsidentenamt abspenstig machen konnte, aber Mitsprache in Land und Bund deshalb nicht geringer geworden ist. So muss Scholz und Chefstrategen Lars Klingbeil vor allem der Zustand des kleinsten Koalitionspartners FDP Kopfzerbrechen bereiten.
Denn am Tag danach unternimmt Lindner gar nicht erst den Versuch, die Stimmverluste allein der Dynamik im Land zuzuschreiben. Auch das Ansehen der Bundesregierung sei ursächlich gewesen, sagt Lindner unter Verweis auf die Energiepreispauschale der Ampel, von der Rentnerinnen und Rentner nicht profitieren - zum Schaden der FDP, wie deren Vorsitzender erläutert. Die Bundesregierung müsse ihre Entscheidungen und Kommunikation überdenken. Und dann noch ein Gruß an die in NRW massenhaft zur CDU abgewanderten FDP-Wähler: Die Ampel "war nie unser politscher Wunschtraum", sagt Lindner. "Wir regieren aus staatspolitscher Verantwortung." Das klingt doch weit weniger begeistert als etwa noch Anfang Mai, als Lindner sich im Rahmen der Ampel-Klausur im Schloss Meseberg ausgesprochen glücklich mit der Koalition zeigte. Aber das war eben vor dem für ihn enttäuschenden Abschneiden in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen.
Ein anderer FDP-Kurs im Bund?
Es wird spannend zu beobachten sein, welche Schlüsse die Partei aus diesen Niederlagen für ihr weiteres Verhalten im Bund ziehen wird. Denn eine eigenständige Rolle kann ihr da niemand absprechen: Beim Impfpflicht-Gesetz, beim Infektionsschutzgesetz, beim Energiepreis-Entlastungspaket und - in Person von Marie-Agnes Strack-Zimmermann - in der Ukraine-Politik hat die FDP der Bundesregierung durchaus ihren Stempel aufdrücken können. Dass Bundesfinanzminister Lindner wegen der Pandemie-Auswirkungen und den Folgen des Krieges in der Ukraine allerdings Rekordschulden aufnehmen muss, passt so gar nicht zum Selbstbild, die haushalterische Stimme der Vernunft zu sein.
Die Auswirkungen auf Bundesebene sind für den Moment überschaubar, wo die Liberalen bei nicht überragenden aber stabilen 9 Prozent im RTL/ntv-Trendbarometer liegen. Darauf verweist Lindner ebenso wie auf die unbestreitbare Tatsache, dass die Ampel ihre Regierungsarbeit gerade erst aufgenommen hat. So bleibt festzuhalten, dass letztlich auch SPD und FDP die Landtagswahlen mit einem blauen Augen überstanden haben (im Saarland jagte die SPD der CDU ein Ministerpräsidentenamt ab) und die Bundesregierung nun mindestens bis zur Landtagswahl im Oktober in Niedersachsen unter weniger Umfrage-Druck arbeiten kann.
Grünen-Erfolg zerrt am Zusammenhalt
Der Druck auf die Ampel rührt aber ohnehin weniger aus den Landtagswahlergebnissen von SPD und FDP sowie den Erfolgen der CDU, die die Bundesregierung eher zusammenschweißen, als aus den Zugewinnen der Grünen. Dass nur ein Koalitionspartner von seiner Regierungsbeteiligung profitiert, weckt auf Dauer unweigerlich Neid und Missgunst. Der Grünen-Erfolg kratzt an der FDP-Erzählung, dass die Bürgerinnen bei den Themen Klima, Energie, Mobilität und Corona-Management Zumutungen und Einschnitte nicht mittragen würden. Für die SPD geht es ans Eingemachte: Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen haben die Sozialdemokraten viele Wähler an die Grünen verloren. Auch im Bundestrend sind die Gewinne der Grünen die Verluste der SPD. Klingbeil rief einst ein "sozialdemokratisches Jahrzehnt" aus, weil die Begleiterscheinungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbaus SPD-Themen seien. Es könnte aber auch ein "grünes Jahrzehnt" werden.
Die Grünen finden sich deshalb in einer strategischen Zwickmühle wieder: Für ihre klimapolitischen Forderungen und ihren offensiven Ukraine-Kurs haben sie derzeit den Rückenwind der Wählerinnen. Hieraus einen inhaltlichen Führungsanspruch abzuleiten, brächte sie aber im Konflikt mit Russland in Konfrontation zur SPD. Noch heikler ist es bei Klima-Fragen: Insbesondere bei der Mobilitätswende drohen schwere Konflikte mit der FDP. Bundesverkehrsminister Volker Wissing soll in diesen Tagen als Liberaler das von den Grünen durchgesetzte 9-Euro-Ticket umsetzen, hat aber mit seiner von Bundesfinanzminister Lindner mitgetragenen Weigerung, den Ländern großzügig Mittel zur Verfügung zu stellen, das Projekt an den Rand des Scheiterns gebracht. Mehrere Länder drohen offen mit einem Veto im Bundesrat. Auch bei der Finanzierung eines massiven Ausbaus der Bahn stehen die beiden FDP-Minister zum Unmut der Grünen auf der Bremse.
Es ist noch viel Zeit
Am Wahlabend hielt sich die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang mit Triumphgesten merklich zurück und betonte die Geschlossenheit aller drei Parteien im Bund. SPD-Chef Klingbeil wiederum zeigte sich betont gelassen und versicherte, sich angesichts des Grünen-Hochs keine Sorgen zu machen. Die Bundesregierung müsse halt ihre Erfolge besser kommunizieren, was durchaus auch auf Bundeskanzler Scholz gemünzt ist.
Sowohl Klingbeil als auch Lindner werden sich nun voraussichtlich darum bemühen, die eigenen Reihen zu beruhigen. Das gemeinsame Regierungsprojekt ist, Achtung Floskel, eher Marathon als Sprint. Viele Koalitionsvorhaben sind erst auf den Weg gebracht und konnten noch keine Wirkung entfalten. Sollte Deutschland vom Krieg in der Ukraine einigermaßen unberührt bleiben, könnte das zudem langfristig Scholz beliebter machen. Der Kanzler hat genügend Zeit, Schwachpunkte wie sein Kommunikationsverhalten zu verbessern.
Zweifel an der Posten-Wahl?
Für die FDP stellt sich die Lage schon schwieriger dar: Sie hat nur begrenzten Einfluss auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, steht aber in Person von Christian Lindner für den Haushalt gerade. Die weiteren Kabinettsposten sind ebenfalls keine Garanten für positive Wahrnehmung. Wissing wird bei den Themen Digitalisierung und Verkehrswende nur schwer kurzfristige Erfolge erzielen, was insbesondere bei den vielen Bauvorhaben in der Natur der Sache liegt.
Justizminister Marco Buschmann und Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger besetzen für die Partei wichtige Themen. Bei den großen Fragen dieser Zeit - Ukraine-Krieg und europäische Friedensordnung, Klimawandel und Energiesicherheit sowie die absehbare Rückkehr der Pandemie im Herbst - sind die FDP-Bundesminister aber außen vor. Das ist allerdings nicht den jüngsten Wahlergebnissen sondern den Entscheidungen der Parteispitze im vergangenen Herbst geschuldet. Hat sich die FDP damals verkalkuliert? Bundeswirtschaftsminister Habeck und Außenministerin Baerbock sind unabhängig von ihrer Amtsführung, für die sie viel Zuspruch bekommen, gerade die maßgeblichen Akteure.
Jenseits der unterschiedlichen programmatischen Ziele ist in dem Regierungsbündnis also eine ganze Reihe von Konflikten angelegt. Deshalb zeichnet sich noch längst kein vorzeitiges Ende des Ampelprojekts ab. Die niedersächsische Landtagswahl hat da schon mehr Sprengkraft: Sollte die FDP im Herbst gegen einen Rauschmiss aus dem Landtag ankämpfen müssen oder die CDU den SPD-Ministerpräsidenten Weil abzulösen drohen, ist noch vor dem ersten Geburtstag der Ampel Feuer unterm Dach.
Quelle: ntv.de