Politik

Linke will für Frieden aufrüsten "Ich lasse mir von Ihnen keinen Pazifismus unterschieben"

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Der frühere thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow und die beiden ehemaligen Fraktionschefs im Bundestag, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch, sollen die Linke retten.

Der frühere thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow und die beiden ehemaligen Fraktionschefs im Bundestag, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch, sollen die Linke retten.

(Foto: ntv)

Der Linken droht bei der Neuwahl im Februar das Aus im Bundestag. Die "Mission Silberlocke" und thematische Klassiker wie eine Reichensteuer sollen die Wende bringen. "Die schlechten Umfragewerte liegen nicht an unseren Forderungen, sondern an unserem Bild in der Öffentlichkeit", erklären die Partei-Urgesteine Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow bei einem Live-Podcast im "ntv Salon". Auch mit einer Friedensinitiative für die Ukraine wollen sie punkten, gleichzeitig soll die Bundeswehr aufgerüstet werden. Doch der Begriff "kriegstauglich" macht die Runde wütend.

ntv.de: Die zentrale Botschaft im Wahlprogramm der Linken lautet: Wir gemeinsam gegen die da oben. Könnte dieser Slogan nicht genauso gut von der AfD stammen?

Dietmar Bartsch: Wir könnten auch nur noch weichgespülten Wahlkampf machen, sodass wir überhaupt nicht mehr in der Öffentlichkeit vorkommen. Der Punkt ist: Wir haben in Deutschland mehr Kinder in Armut als jemals zuvor. Gleichzeitig ist die Zahl der Vermögensmillionäre gestiegen und die Zahl der Milliardäre. Das ist ein Versäumnis der Ampel. Allein diese Tatsache reicht aus, um eine große Steuerreform zu fordern. Wir wollen uns mit diesem einen Prozent anlegen. Deswegen geht es gegen "die da oben".

Gregor Gysi: Seit 2020 haben die Reallöhne und Realrenten Jahr für Jahr abgenommen, weil die Preissteigerung immer höher war. In derselben Zeit hat die Zahl der Millionäre um sieben Prozent zugenommen und das Vermögen der Milliardäre hat sich fast verdoppelt. Es geht einfach nicht einheitlich bergauf und bergab, sondern für einen großen Teil bergab und für kleinen Teil bergauf. Denen wollen wir nichts weiter tun, außer angemessene Gerechtigkeit herstellen. Es gibt sogar Millionäre, die das einsehen.

Diese Umverteilungsforderungen erreichen im Netz unheimlich viele Menschen, aber an der Wahlurne spielt das doch seit Jahren keine Rolle.

Gregor Gysi: Warten Sie es doch erst einmal ab, wir kämpfen doch noch. (lacht)

Dietmar Bartsch: Sie sehen nur den Ist-Zustand. Die schlechten Umfragewerte liegen nicht an unseren Forderungen, sondern an unserem Bild in der Öffentlichkeit. Das war eine Katastrophe. Warum hatte denn die Linke mal zwölf Prozent bei der Bundestagswahl? Genau wegen solcher Slogans. Die gingen alle in diese Richtung.

Gregor Gysi: Wir waren auch als einzige gegen den Einmarsch in Afghanistan. Damals waren alle schlauer. Heute möchte niemand mehr darüber reden.

Dietmar Bartsch: Es wird auch einen Waffenstillstand in der Ukraine geben, vielleicht sogar sehr schnell. Warum? Weil es jemand in den Vereinigten Staaten veranlasst. Leider. Haben wir da als Europäer vielleicht versagt? Wir haben im Bundestag eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative verlangt, stattdessen wurde darüber diskutiert, dass eine Leopard-Lieferung oder jetzt der Taurus den Krieg entscheiden könnten. Vergessen Sie's.

Sie waren gegen jede einzelne dieser Lieferungen. Wenn Sie sich durchgesetzt hätten, würde die russische Fahne über Kiew wehen.

Dietmar Bartsch: Diese These, wird gern vertreten. Wie kommen Sie darauf? Natürlich nicht.

Weil die ukrainische Gegenwehr maßgeblich aus dem Westen unterstützt wird. Ohne Gegenwehr gibt es meistens eine Niederlage.

Dietmar Bartsch: Selbstverständlich hat die Ukraine ein Selbstverteidigungsrecht und Putin ist der Aggressor, das ist überhaupt keine Frage. Dennoch hätte es längst eine europäisch abgestimmte Friedensinitiative geben müssen. Am 23. Februar ist Bundestagswahl, dann haben wir drei Jahre Krieg in der Ukraine und alle Debatten über die schnellere Lieferung immer schwererer Waffen waren Quark. Ich war in Charkiw, ich habe ein heute russisch besetztes Dorf gesehen, wo kein Stein mehr auf dem anderen war. Das ist die eigentliche Katastrophe. Wir brauchen möglichst schnell einen Waffenstillstand. Wir haben nicht zu entscheiden, was danach passiert. Deutschland sollte Gastgeber für eine Friedenskonferenz sein. Das hätte ich mir von Annalena Baerbock gewünscht, nicht die permanente Debatte: Was können wir denn noch liefern?

Bodo Ramelow: Darf man noch erwähnen, wie viele Menschen tagtäglich in dem Krieg sterben?

Diese Zahlen werden doch von allen Seiten instrumentalisiert.

Bodo Ramelow: Für mich ist Putin ein Mörder. Er hat die Ukraine angegriffen und überfallen. Und für mich ist eine europäische Friedensordnung nur dann denkbar, wenn wir Moldau, Georgien und Armenien mitdenken. Wir haben geschwiegen, als Berg-Karabach von den Russen fallengelassen worden ist und Aserbaidschan die Armenier vertrieben hat. Wir schweigen dazu, dass die Türkei als zweitgrößter Truppensteller der NATO im Moment zwei völkerrechtswidrige Kriege in Syrien und im Irak führt. Letztes Jahr gab es 369 Kriege auf der Welt. Darüber müssen wir reden, denn am Ende lassen Menschen ihr Leben und Kapitalinteressen profitieren.

Aber Herr Ramelow …

Bodo Ramelow: Eine Bemerkung noch: Vor Sassnitz liegt ein riesiger Öltanker. Der gehört zur russischen Schattenflotte und ist bares Geld für Putin. Warum stoppen wir Europäer diese Schiffe nicht? Das sind Rostlauben der schlimmsten Art. Die bedrohen unsere Umwelt, aber füllen die Kriegskassen, damit es immer weitergeht. Darüber muss man doch reden dürfen!

Kann man, aber diese Schattenflotte existiert, weil es keine europäische Einigkeit gibt. Deswegen hätte es auch niemals eine europäische Friedensformel gegeben.

Bodo Ramelow: Waffen lösen das Problem aber auch nicht, die führen nur zu Tod.

Gregor Gysi: Wir haben doch selbst das Völkerrecht verletzt mit dem Krieg gegen Serbien und durch die Abtrennung des Kosovo. Das widerspricht einem noch heute gültigen Beschluss des Sicherheitsrates. Die USA haben das Völkerrecht beim Krieg gegen den Irak verletzt. Alle Seiten müssen zum Völkerrecht zurückkehren und wir müssen selbstkritisch zugeben, dass wir es selbst verletzt haben. Dann kann man eine neue Friedensstruktur aufbauen.

Wenn der Bundeskanzler sagt, das war eine schlechte Idee mit dem Kosovo, hört Wladimir Putin auf, die Kraftwerke der Ukraine zu bombardieren?

Gregor Gysi: So doof bin ich auch nicht. Man darf aber auch nicht so tun, als wäre man das einzig moralisch hochwertige Land der Welt.

Aktuell bombt aber nur ein Land 80 Prozent der zivilen Stromerzeugung eines anderen Landes kaputt.

Gregor Gysi: Kein NATO-Staat hat bisher einen Vorschlag für einen Waffenstillstand und für Friedensverhandlungen gemacht, die die Sicherheit der Ukraine künftig sichern könnten.

Es müsste doch nur eine Seite aufhören, diese Kraftwerke zu zerstören.

Dietmar Bartsch: Die Realität ist leider, dass Russland derzeit im Osten der Ukraine jeden Tag weitere Quadratkilometer gewinnt. Und wir wissen, dieser Krieg wird nicht so enden wie im Zweiten Weltkrieg. Das ist großer Unsinn. Es wird irgendwann zwischen Trump und Putin einen Deal geben und das wäre für Europa eine Katastrophe, weil wir unsere Unfähigkeit gezeigt haben.

Gregor Gysi: Der langjährige Chef des Generalstabs der US-Streitkräfte, der vielleicht doch etwas mehr vom Militär versteht als Herr Habeck und auch unsere Außenministerin Frau Baerbock, der hat gesagt von Anfang an, weder Russland noch die Ukraine kann den Krieg siegreich beenden. Wenn das stimmt, dann muss man sich doch Gedanken machen, wie man ihn beendet. Wieso versuchen wir es nicht?

Vielleicht ist der Unterschied, dass die USA oder Donald Trump mit etwas drohen können, womit Europa nicht drohen kann: Etwas, was Putin ernst nimmt.

Bodo Ramelow: Wir wollen, dass die Menschen in der Ukraine in Frieden leben können. Das ist der Kern, und zwar übers Kriegsende hinaus. Wir haben aber noch ein paar andere Baustellen: In Moldau, also in Transnistrien, liegen die ganzen Waffen der Sowjetarmee aus der DDR. Wir haben Südossetien und Georgien. Armenien hat Angst davor, erneut von Aserbaidschan angegriffen zu werden. Ich sage deutlich: Ich bin für eine gut ausgerüstete Bundeswehr, aber für eine Landverteidigungsarmee, keine Interventionsarmee.

Gegen wen würden wir uns verteidigen? Benelux oder Italien?

Bodo Ramelow: Es geht um das Gewaltmonopol unseres Staates. Ich lasse mir von Ihnen keinen Pazifismus unterschieben, ich stehe auf der Seite der Bundeswehr. Die hat in Thüringen hervorragende Arbeit geleistet, als die Geflüchteten gekommen sind, auch bei jedem Hochwasser. Wie wir mit dieser Bundeswehr als Gesellschaft umgehen, halte ich für eine Katastrophe. Die Bundeswehr ist aber keine Institution, die per se Krieg will. Die Bundeswehr soll notfalls unser Land verteidigen. Und wenn unsere Nachbarstaaten ebenfalls Landverteidigungsarmeen hätten, könnten wir Europa gemeinsam friedenstauglich machen, nicht kriegstauglich.

Mit Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow sprachen Nikolaus Blome und Sebastian Huld. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das vollständige Gespräch können Sie sich vollständig im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" anhören oder hier anschauen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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