Politik

Eine Großmacht meldet sich zurück Ohne Putins Russland geht nichts

Harte Machtpolitik: Wladimir Putin.

Harte Machtpolitik: Wladimir Putin.

(Foto: dpa)

Die unruhige Weltlage zwingt den Westen zur Kooperation mit Russland. So erfährt das Riesenreich eine politische Aufwertung. Präsident Putin nutzt die Gunst der Stunde und will sein Land zu alter Stärke zurückführen.

Irgendwann in den 90er-Jahren war es, als sich Boris Jelzin sehr unwohl gefühlt hat. Der russische Präsident war Gast bei einer Sitzung der EU-Staats- und Regierungschefs und hat sichtlich Probleme mit dem Auftreten seiner Gesprächspartner. Jelzin ergriff unter dem Konferenztisch die Hand von Bundeskanzler Helmut Kohl und flüsterte ihm zu: "Helmut, die mögen mich nicht." Kohl erzählte später einmal, wie er mit dem Russen fühlte, als seine europäischen Kollegen diesen skeptisch und herablassend anschauten und musterten. Das beschäftigte den deutschen Kanzler, für den Russland stets ein "großes und stolzes Land" war, sehr. Und er bemühte sich sehr, die Moskauer Besorgnisse über eine Öffnung von Europäischer Union und Nato nach Osten zu zerstreuen.

"Helmut, die mögen mich nicht."

"Helmut, die mögen mich nicht."

(Foto: picture-alliance / dpa)

War die Äußerung von Jelzin, der die russische Seele wie kaum ein anderer Moskauer Politiker in dieser Zeit verkörperte, ein Zeichen von Schwäche? Wahrscheinlich. Russland lag zu diesem Zeitpunkt ökonomisch am Boden und im Land ging es auch politisch drunter und drüber. Fakt ist aber auch, dass Jelzins Nachfolger Wladimir Putin selbst in dieser Situation einen solchen Satz nicht geäußert hätte. Der ehemalige Geheimdienstler ist aus anderem Holz geschnitzt als sein mittlerweile verstorbener ehemaliger Chef. Aber die Zeiten haben sich auch geändert. Russland, das sich nach dem Zerfall der Sowjetunion Ende 1991 unsicher präsentierte, unter zum Teil blutigen Nationalitätenkonflikten litt und seine neue Rolle in der Weltpolitik suchte, gibt sich heute wiedererstarkt.

"Moderne Weltmacht"

Die flapsige Äußerung von US-Präsident Barack Obama während der Ukraine-Krise, das ständige UN-Sicherheitsratsmitglied Russland sei allenfalls eine Regionalmacht, hat die Russen zweifellos verletzt, ist ihr Land doch nach wie vor neben den Vereinigten Staaten die wichtigste Nuklearmacht. Aber Putin ist kein Mann mit Minderwertigkeitskomplexen. Der Kremlchef antwortet auf seine Weise. So zückt er zum Beispiel bei den Krisen in der Ukraine und in Syrien einerseits den Säbel und spielt die militärische Karte, andererseits das Florett für diplomatische Aktionen. Ergebnis: Putin macht klar, dass Russland eine seiner Ansicht nach gebührende Rolle auf der Weltbühne zu spielen gedenkt.

Putin und Medwedjew mit neuer außenpolitischer Konzeption.

Putin und Medwedjew mit neuer außenpolitischer Konzeption.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der Präsident weiß dabei den größten Teil der Russen hinter sich. Im Selbstverständnis der Menschen zwischen Ostsee und Beringsee ist ihr Land eine Großmacht. So wird 2008 in Moskau eine außenpolitische Konzeption vorgestellt, die Russland als "eines der einflussreichsten Zentren der modernen Welt" bezeichnet. Putins Vorgänger Dmitri Medwedjew spricht zwei Jahre später von einer "modernen Weltmacht". Obwohl zu dieser Zeit nur Ministerpräsident, ist jedoch Putin die treibende Kraft hinter dieser deutlichen Standortbestimmung.

Warum dieses Papier zu dieser Zeit? Das Verhältnis Russlands zum Westen kühlt sich merklich ab. Das Eintreten der USA für eine schnelle Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens sorgt für politisch schrille Töne in Moskau, zählt doch Russland die ehemaligen Sowjetrepubliken zu seinem Einflussgebiet. Zudem sorgen Pläne der USA, im Zuge der Atomstreits mit dem Iran Raketenabwehrsysteme in Polen zu installieren, für eine rapide Verschlechterung der amerikanisch-russischen Beziehungen. Die bereits während der Jelzin-Ära begonnene Nato-Osterweiterung wird als zunehmende Bedrohung für die russischen Interessen angesehen.

Moskau fordert Respekt

Die Haltung der Moskauer Führung ist mit der eines Raubtieres vergleichbar. Führt dieses sich bedroht, reagiert es mit zunehmender Aggressivität. Der Westen, der Russland nicht immer als bedeutende Macht angesehen hat, mit der man aber bei wichtigen politischen, militärischen und auch ökonomischen Fragen zusammenarbeiten muss, ist daran nicht schuldlos. Die ökonomische Schwäche Russlands verleitete ihn dazu, das flächengrößte Land der Erde nicht mit dem ihm gebührenden Respekt zu behandeln. Ein Koloss auf tönernen Füßen, wie das russische Zarenreich vor dem Ersten Weltkrieg. Negativer Nebeneffekt der westlichen Arroganz ist die Tatsache, dass mit diesem Verhalten Putins autokratisches System in Russland indirekt gestärkt wird.

Russische Soldaten während der Annexion der Krim.

Russische Soldaten während der Annexion der Krim.

(Foto: picture alliance / dpa)

So schreitet Putin zur Tat und arbeitet erfolgreich an Russlands Rückkehr als Global Player. Kurz nach Obamas Amtsantritt wächst auch wegen der außenpolitischen Umorientierung der USA Russlands Bedeutung bei der Lösung internationaler Konflikte. So sind die Russen neben den US-Amerikanern und Europäern ein wichtiger Partner bei Lösung des Atomstreits mit dem Iran. Die US-Amerikaner müssen dabei in Kauf nehmen, dass die zivile Nuklearkooperation zwischen Moskau und Teheran davon unberührt bleibt, sichert sie doch der russischen Atomindustrie wichtige Einnahmen.

Andererseits ist Russlands Mitwirken hinsichtlich Irans auch ein Ergebnis der Tatsache, dass für den Westen eine mögliche Nato-Mitgliedschaft der Ukraine und Georgiens an Bedeutung verliert. Russlands Zündeln im Ukraine-Konflikt, die Besetzung der Krim und die Unterstützung der Separatisten im ukrainischen Osten, die westliche Sanktionen nach sich zieht, verschlechtert die Beziehungen Russlands zum Westen zeitweise. Aber die Kriege in Syrien und im Irak, die die Terrorhorden des Islamischen Staates hervorbringen, zwingen Obama und Putin, ihre gegenseitigen Antipathien hintanzustellen.

Syrien-Engagement nutzt eigener Rüstungsindustrie

Jagdbomber vom Typ SU-34 (weitgehend baugleich mit dem für den Export produzierten Kampfjet SU-32).

Jagdbomber vom Typ SU-34 (weitgehend baugleich mit dem für den Export produzierten Kampfjet SU-32).

(Foto: REUTERS)

Seine wirtschaftliche Schwäche, die durch die jüngsten Sanktionen noch befördert wird, versucht Russland auch durch militärische Aktionen abzufedern. Unterm Strich könnte sich das militärische Engagement in Syrien sehr positiv auf die russische Rüstungsindustrie auswirken. Die wirksamen Bombardements der russischen Luftwaffe, die das fast schon geschlagene Assad-Regimes wiederbelebt, rufen Interessenten an russischen Waffen auf den Plan.

Der Krieg in Syrien habe einen "extrem positiven" Effekt für Russlands Rüstungsproduktion, äußert der Moskauer Verteidigungsexperte Ruslan Puchow im "Guardian". Länder wie Vietnam, Algerien oder Indonesien, die früher Waffen in den USA und China orderten, interessieren sich nun für russische Kampfflugzeuge des Typs SU-32. Für Puchow ist es ein Beweis für die militärische Stärke Russlands, denn "kein Volk kauft Waffen bei Verlierern". Offiziell kostet der Krieg in Syrien Russland eine halbe Milliarde US-Dollar, Experten sprechen von einer zwei- bis drei Mal so hohen Summe. Die im Gefolge des Syrien-Feldzuges im Raum stehenden Waffengeschäfte könnten Verträge im Volumen von insgesamt sechs bis sieben Milliarden Dollar erbringen. Im Gegensatz zur zivilen Industrie geht es dem militärisch-industriellen Komplex gut. Erinnerungen an die Sowjetunion werden wach.

Nato-Russland-Rat tagt wieder

Putin, der den Zerfall der UdSSR als eine Katastrophe ansieht, registriert diese Entwicklung mit Wohlwollen. Und der Kremlchef kann einen weiteren Erfolg für sich verbuchen: Der Nato-Russland-Rat erfährt nach zwei Jahren Funkstille noch in diesem Monat eine Wiederbelebung - Deutschland hat dabei kräftig mitgewirkt. "Dieses Treffen ist die Fortsetzung des politischen Dialogs", erklärt Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg: "Wir leben in einer risikoreichen Welt und wenn es Möglichkeiten gibt, durch Austausch von Informationen Risiken zu vermindern, dann sollten wir diese Möglichkeiten nutzen."

In dieser multipolaren Welt mit ihren zahlreichen Konflikten spielt die Russische Föderation wieder eine wichtige Rolle. Ohne das Mitwirken der UN-Veto-Macht gibt es keine politische Lösung bei wichtigen Konfliktherden wie im Nahen Osten oder auf der Koreanischen Halbinsel. Putin weiß das und richtet seine Politik gnadenlos danach aus. Im Gegensatz zu Jelzin ist es ihm dabei egal, ob er von den anderen Staats- und Regierungschefs gemocht wird.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen