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Kanzler blieb in EU blass In Brüssel würde Scholz niemand vermissen

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Keine größeren Projekte oder Reformvorhaben hat Scholz in Brüssel während seiner Amtszeit vorangebracht, geschweige denn initiiert.

Keine größeren Projekte oder Reformvorhaben hat Scholz in Brüssel während seiner Amtszeit vorangebracht, geschweige denn initiiert.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Die Bilanz von Scholz‘ EU-Politik ist ernüchternd. Konflikte mit Paris und eine zerstrittene Ampel-Regierung in Berlin haben es dem Kanzler zwar schwer gemacht, in Brüssel zu punkten. Allerdings wird ihm auch Führungsschwäche vorgeworfen - nicht nur von anderen Mitgliedstaaten.

Wenn der deutsch-französische Motor stottert, lahmt die Europäische Union. Seit Monaten springt er so gut wie gar nicht mehr an. In Paris hangelt sich Emmanuel Macron von einer Regierungsbildung zur nächsten; getrieben vom linken und rechten Lager stolpert der französische Präsident über die Haushaltsverhandlungen. Auch in Berlin haben die Debatten um den deutschen Haushalt die Ampel-Koalition gesprengt. Doch auch als die Bundesregierung noch intakt war, ließ Bundeskanzler Olaf Scholz in Brüssel sowohl Kooperationsbereitschaft als auch Führungsstärke vermissen. Scholz zeigte kaum Interesse an EU-Politik. Diesen Vorwurf muss er sich nicht nur von CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz im Bundestagswahlkampf gefallen lassen. Auch europäische Staats- und Regierungschefs kritisierten Scholz' mangelnde Solidarität, nicht zuletzt Macron.

Dem Vernehmen nach hält sich selbst bei den Sozialdemokraten im Europaparlament die Begeisterung über Scholz' Arbeit in Brüssel in Grenzen. Seine grünen Koalitionspartner attackieren den Kanzler deshalb sogar öffentlich. "Was wir im europäischen Umgang brauchen, ist Empathie und Fingerspitzengefühl. Diplomatisch gesagt: Das ist nicht gerade Olaf Scholz' Stärke", sagte Anna Lührmann, Staatsministerin für Europa und Klima im Auswärtigen Amt, dem "Spiegel".

Die Gräben zwischen den Grünen und Scholz wurden bereits vor knapp zwei Jahren offensichtlich. Nachdem Scholz vor den Europa-Abgeordneten im Plenarsaal in Straßburg eine eher leidenschaftslose Rede über die Zukunft der EU gehalten hatte, startete die Co-Vorsitzende der europäischen Grünen, Terry Reintke, einen Frontalangriff gegen ihn.

Grüne attackierte Scholz heftig im Europaparlament

Besonders der Vorstoß der FDP, das in der EU schon ausgehandelte Aus des Verbrennungsmotors infrage zu stellen, habe "den Ruf der deutschen Bundesregierung als verlässlicher Partner in Europa angeknackst", sagte Reintke damals. "Was macht da der deutsche Bundeskanzler? Erst sagt er gar nichts, und dann stellt er sich auch noch hinter den Koalitionspartner, der gerade das Vertrauen der europäischen Partner verspielt." Während Reintkes Rede drehten sich einige Abgeordnete ungläubig zu ihren Sitznachbarn um. Sie wunderten sich: Sitzen die Grünen und die Sozialdemokraten nicht in Berlin zusammen in der Regierung? Den Streit auf europäischer Bühne fanden viele von ihnen peinlich.

Zugegeben: Scholz hatte mit einer sich ständig zoffenden Ampel kein leichtes Spiel in Brüssel. Die FDP blamierte ihn gleich zweimal. Neben dem Verbrenner-Aus wollte sie plötzlich auch das Lieferkettengesetz der EU neu verhandeln - nachdem bereits über viele Monate Kompromisse ausgehandelt worden waren. EU-Diplomaten schäumten, weil die Liberalen damit in ihren Augen die gesamte Konsensfindung bei der europäischen Gesetzgebung zum Wanken brachten. Sie fragten sich, warum die FDP ihre Zweifel nicht vorher angemeldet hatte, als der Gesetzgebungsprozess noch in vollem Gange war. Vermutlich hätten sich viele von Scholz ein Machtwort gewünscht. Das kam aber nie.

Neben der FDP verhielten sich auch die deutschen Grünen in den Augen europäischer Partner teilweise unkooperativ. Gegen den Willen der Parteiführung in Berlin stimmten die grünen EU-Abgeordneten aus Deutschland gegen die mühsam auf den Weg gebrachte Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Es handelt sich ironischerweise um eben jene GEAS-Reform, die Grüne und Sozialdemokraten jetzt Merz vorhalten, wenn er fordert, die deutschen Grenzen zu schließen.

Bei der Verteidigungspolitik knirscht es besonders zwischen Paris und Berlin

Auch mit ihrer nationalen Gesetzgebung haben die Ampel-Partner in Brüssel für Furore gesorgt. Die anderen EU-Mitgliedstaaten fühlten sich vor den Kopf gestoßen, als Scholz 2022 mit seinem 200 Milliarden Euro schweren "Doppel-Wumms" vorpreschte, um nach Beginn des russischen Angriffskriegs die hohen Energiepreise für die deutschen Haushalte und Firmen abzufedern. Wenn Deutschland seine Wirtschaft mit Milliarden unterstütze, während andere EU-Länder sich das nicht leisten könnten, werde die europäische Solidarität infrage gestellt, monierten die damaligen EU-Kommissare für Binnenmarkt und Wirtschaft, Thierry Breton und Paolo Gentiloni. Ähnliche Kritik äußerte Macron.

Über das persönliche Verhältnis von Macron und Scholz wird viel spekuliert. Zumindest offiziell sind sich die beiden bei kaum einem europäischen Thema einig. Scholz war nicht damit einverstanden, als Macron auf EU-Ebene die Strafzölle gegen den Import chinesischer E-Autos durchgesetzt hatte. Macron dürfte sich wiederum düpiert gefühlt haben, als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Abkommen mit den Mercosur-Staaten vorläufig unterzeichnete - trotz der anhaltenden Bauernproteste in Frankreich. Scholz hatte hingegen intensiv darum geworben, das Abkommen abzuschließen.

Ob Wirtschafts-, Energie oder Finanzpolitik: Zwischen Berlin und Paris knirscht es in der EU. Nirgendwo wird die Kluft so deutlich wie in der Verteidigungspolitik. Auf Ablehnung stößt bei Scholz etwa Macrons wiederholte Forderung, europäische Bodentruppen als Ausbilder in die Ukraine zu senden. Macron wiederum versteht nicht, warum Scholz die Taurus-Lieferungen ablehnt, während Frankreich seine Scalp-Marschflugkörper schon in die Ukraine geschickt hat. Darauf kann Scholz entgegnen, Berlin überweise viel mehr Geld nach Kiew als Paris. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft belaufen sich die französischen Hilfen auf knapp fünf Milliarden Euro, während Deutschland bislang etwa dreimal so viel Geld in die Hand nahm.

Scholz wollte "Zeitenwende" auf EU-Ebene übersetzen

Der Zwist flammte beim EU-Sondergipfel am Montag schon wieder auf: Macron pochte erneut darauf, gemeinsame europäische Schulden zu machen, um einen Binnenmarkt für Rüstungsgüter aufzubauen. Und Scholz lehnte dies erneut entschieden ab. Gegen die gemeinsame Aufnahme von Schulden wie in der Corona-Pandemie gibt es berechtigte Einwände, da die wirtschaftlich stärksten Mitgliedstaaten dafür am meisten bezahlen. Eines aber fällt auf: Den mit Pathos vorgetragenen europäischen Visionen Macrons - mögen sie auch zuvorderst dem nationalen Interesse Frankreichs dienen - hat Scholz nichts entgegenzusetzen. Auf die Ablehnung von Macrons Vorstößen folgen keine Gegenangebote.

Auch Scholz' Amtsvorgängerin Angela Merkel war weit entfernt von den teilweise utopischen EU-Fantasien Macrons. Merkel regelte EU-Angelegenheiten vielleicht sogar mit zu viel Pragmatismus. Aber sie fand ihn größtenteils, den kleinsten gemeinsamen Nenner für die 27 Mitgliedstaaten. Und Merkel bewegte sich manchmal ein Stück weit auf Macron zu - zuletzt kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit, als sie gemeinsamen Schulden für den 750 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds zustimmte. Scholz wiederum musste die Fehler der Merkel-Ära teilweise ausbügeln, ausgelöst etwa durch den naiven Umgang mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Festhalten an der Nord-Stream-2-Pipeline.

Scholz hielt 2022 in der Karls-Universität in Prag eine europapolitische Grundsatzrede, in der er die "Zeitenwende" ausbuchstabieren und auf die EU-Ebene übersetzen wollte. "Der Angriff auf die Ukraine ist auch ein Angriff auf die europäische Sicherheitsordnung", sagte Scholz damals. Die EU sei die gelebte Absage an Autokratismus. Putin sei das vereinte Europa ein Dorn im Auge, weil es nicht in seine Welt passe. Es waren wuchtige Worte, die der Kehrtwende der deutschen und europäischen Politik gegenüber Russland Nachdruck verliehen.

Luftabwehrsystem "Sky Shield" stieß in Paris wieder auf Kritik

Allerdings scheiterte Scholz an dem damals angekündigten Ziel, eine EU-Eingreiftruppe bis zum Jahr 2025 aufzustellen. Umsetzen konnte er hingegen das Vorhaben, gemeinsam mit europäischen Nachbarn ein neues Luftverteidigungssystem aufzubauen. Deutschland initiierte das Luftabwehrsystem "Sky Shield" zur Stärkung des NATO-Schutzschirms für Europa. Allerdings handelte sich Scholz damit wieder Kritik von Macron ein. Paris kritisierte, das "Sky Shield" werde kein europäisches Projekt, weil auch Technologie aus Israel und den USA eingekauft würden. Frankreich macht deshalb nicht mit.

Auf europäischer Ebene wird Scholz also kaum jemand mehr als Schadensbegrenzung nach dem russischen Angriffskrieg anrechnen können. Auch der Vorschlag des Kanzlers, das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU zu lockern und stattdessen Mehrheitsentscheidungen in der Außen- und Sicherheitspolitik zu ermöglichen, verhallte - ohne erkennbare Fortschritte. Ähnlich verhält es sich mit seiner Forderung, den Staaten des Westbalkans möglichst schnell einen EU-Beitritt zu ermöglichen. Immerhin konnte unter deutscher Vermittlung im Herbst eine jahrelange Blockade des Freihandelsabkommens CEFTA für die Westbalkanstaaten gelöst werden - eine wichtige Vorbereitung für den EU-Beitritt. Aber viel mehr ist nicht passiert.

In Brüssel hat Scholz während seiner Amtszeit keine größeren Projekte oder Reformvorhaben vorangebracht, geschweige denn initiiert. Der Kanzler blieb in Brüssel blass. Deshalb würde ihn niemand dort vermissen, falls er nach der Wahl sein Amt abgeben muss.

Quelle: ntv.de

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