Als "Leader" in Washington Wenn Scholz mit Biden spricht, stehen Elefanten im Raum


Scholz und Biden im März 2023 im Oval Office. Es war der bisher letzte Besuch des Kanzlers im Weißen Haus.
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Kanzler Scholz hat sich in seiner Ukraine-Politik immer an den USA orientiert. Das funktioniert nicht mehr. Mit seinem Besuch in Washington will er Präsident Biden unterstützen und sich zugleich Unterstützung holen.
Es ist ein wenig still geworden um die drei Prinzipien, mit denen Bundeskanzler Olaf Scholz seine Ukraine-Politik immer begründet. Vor gut einem Jahr konnten die Journalisten in der Bundespressekonferenz schon mitsprechen, wenn Regierungssprecher Steffen Hebestreit sie aufzählte. "Es gelten die drei Prinzipien", sagte er dann beispielsweise. "Die massive, starke Unterstützung der Ukraine; als Zweites, dass die NATO keine eigene Kriegspartei werden darf; und als Drittes, dass es eine enge internationale Koordinierung geben muss, keinen nationalen Alleingang."
Kein nationaler Alleingang, das sollte damals heißen: Deutschland liefert keine Kampfpanzer, wenn die USA es nicht ebenfalls tun. Nachdem genau das Ende Januar 2023 geschah, wurden die drei Prinzipien seltener zitiert, aber keineswegs aufgegeben - auch das dritte nicht, "dass wir das alles in enger Koordinierung und Absprache mit unseren internationalen Partnern tun, allen voran den Vereinigten Staaten von Amerika", wie Hebestreit vor einem Monat noch einmal sagte. Da ging es nicht mehr um Leopard-Panzer, sondern um Taurus-Marschflugkörper, aber nach wie vor um die Abwehr der Vermutung, die deutsche Unterstützung der Ukraine folge eigentlich einem ganz anderen Prinzip: dem der Zögerlichkeit.
Als zögerlich wollte Scholz mit Blick auf die Unterstützung der Ukraine nie gelten. Die enge Anlehnung an die USA war dafür ein immer besseres Argument: Offiziell folgte US-Präsident Joe Biden einer "boiling the frog"-Strategie, die auf ein nur langsames Hochfahren von Waffenlieferungen setzte, um Putin von einer atomaren Eskalation abzuhalten. Faktisch versagte Biden der Ukraine die Waffen, die nötig gewesen wären, um große Offensiverfolge zu erzielen.
Was passiert, wenn Trump gewinnt?
Mittlerweile liefern die USA der Ukraine gar nichts mehr, weil die Republikaner im Kongress auf Druck von Ex-Präsident Donald Trump die dafür nötigen Beschlüsse blockieren. Für Scholz stellt sich damit die Frage, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, sich am Vorgehen der Vereinigten Staaten zu orientieren.
Es ist nicht die einzige Frage, die den Bundeskanzler begleitet, wenn er an diesem Donnerstag zu einem Arbeitsbesuch in die USA fliegt, schon gar nicht die wichtigste. Was passiert, wenn Trump die Wahl im November gewinnt? Schafft Europa es auch ohne die USA, das Überleben der Ukraine zu sichern? Und gelten dann noch die amerikanischen Sicherheitsgarantien für Europa?
All diese Themen werden als Elefanten im Raum stehen, wenn Biden Scholz am Freitagnachmittag im Weißen Haus empfängt. Eine vertiefte Diskussion über die Risiken und Nebenwirkungen einer zweiten Trump-Amtszeit wird es indessen eher nicht geben, denn Politiker haben eine chronische Aversion gegen hypothetische Fragen. Schon im Januar wollte Scholz im Interview mit der "Zeit" nicht auf die Frage antworten, ob die EU eigene Atomwaffen haben müsse. Beim Treffen im Oval Office soll es um konkrete Themen gehen: den Krieg zwischen Israel und der Hamas, die Angriffe der Huthi auf Schiffe im Roten Meer, den Jubiläumsgipfel der NATO in Washington, der im Sommer ansteht. Und, vor allem, die Ukraine. Die derzeit laufenden Diskussionen im US-Kongress über die Finanzierung der Ukraine-Unterstützung sei "ein Thema, das wir besonders aufmerksam verfolgen", hieß es im Vorfeld der Scholz-Reise aus der Bundesregierung.
"Olaf ist einer der Leader in Europa"
Wie also geht es weiter mit der Ukraine angesichts der republikanischen Blockade und der begrenzten europäischen Fähigkeiten? Konkrete Ergebnisse sind nicht zu erwarten, zu vieles ist noch unklar. Sicher ist nur, dass es für die Europäer höchste Zeit ist, sich auf das Schlimmste vorzubereiten: die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus im Januar 2025.
Das Trump-Szenario ist einer der Gründe, warum Scholz in Europa plötzlich so etwas wie Führung zeigt. Er telefoniere gerade viel mit seinen europäischen Kollegen "und bitte sie, mehr zu machen", sagte Scholz der "Zeit" über die Ukraine-Unterstützung. Diese Rolle wird auch vom ukrainischen Präsidenten anerkannt: "Olaf hat gespürt, dass er nicht nur Bundeskanzler ist, sondern einer der Leader im heutigen Europa", sagte Wolodymyr Selenskyj kürzlich der ARD.
Wenn Scholz jetzt betont, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine ist, dann ist die Botschaft dahinter nicht mehr: Wir tun genug. Die Botschaft ist: Die anderen Europäer müssen mehr Hilfe leisten. Nach dem EU-Gipfel in der vergangenen Woche sagte Scholz das ganz ausdrücklich: "Tun alle Mitgliedstaaten genug, was die Waffenhilfe betrifft? Meine persönliche Einschätzung ist: Das ist nicht der Fall." Die Mitgliedsländer der Europäischen Union müssten "relativ früh in diesem Jahr dazu kommen, dass die bilaterale Unterstützung für die Ukraine bei der Verteidigung gestärkt wird". Scholz unterschlägt dabei zwar, dass Deutschland nach dem Ukraine Support Tracker des Kieler Instituts für Weltwirtschaft nur auf Platz 13 der Unterstützerländer steht, wenn die Hilfen am Bruttoinlandsprodukt gemessen werden. Aber die USA liegen in diesem Ranking noch weiter hinten.
Zwei Ziele
Vor allem zwei Ziele hat Scholz' Besuch in den USA. Erstens: Biden Argumente gegen jene Republikaner zu liefern, die noch immer behaupten, Europa unternehme zu wenig für seine eigene Sicherheit. Scholz will in Washington deshalb auch Senatoren und Kongressabgeordnete zu einem Abendessen treffen - auch Vertreter der Republikaner. Ohnehin setzt die Bundesregierung schon seit einiger Zeit verstärkt darauf, Kontakte zu Republikanern aufzubauen, um im Fall der Fälle unterhalb des Weißen Hauses funktionierende Gesprächskanäle zu haben. Man weiß in Berlin natürlich, dass der deutsche Einfluss in Washington begrenzt ist. Aus dem Kanzleramt heißt es aber zugleich, Scholz werde dem amerikanischen Publikum verdeutlichen, dass die Europäer ihren Teil übernehmen.
Zweitens dürfte sich der Kanzler Unterstützung von Biden für seine Appelle an die anderen Europäer erhoffen. "Ich werbe sehr dafür, dass die USA und Europa sowie auch alle Mitgliedstaaten in Europa einen so großen Beitrag leisten, dass die Rechnung des russischen Präsidenten, die Sache auszusitzen, nicht aufgeht", sagte Scholz am Montag beim Antrittsbesuch des neuen französischen Premierministers Gabriel Attal.
Die "enge internationale Koordinierung" der Ukraine-Unterstützung war lange auch eine Chiffre dafür, sich ein wenig hinter den USA zu verstecken. Das ist vorbei. Zum "Leader in Europa" wurde Scholz vor allem durch den Ausfall der USA. Nationale Alleingänge will er immer noch vermeiden. Jetzt allerdings nicht mehr, indem er den USA folgt, sondern indem er die anderen europäischen Staaten drängt, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Quelle: ntv.de