Recht verständlich Immunschwäche als Kündigungsgrund?
15.03.2018, 10:30 Uhr
Einer negativen Prognose steht auch nicht entgegen, dass Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen.
(Foto: dpa)
Darf ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter, der sehr häufig krankheitsbedingt fehlt, wegen "allgemeiner Krankheitsanfälligkeit" kündigen? Oder muss der Chef Maßnahmen ergreifen, zum Beispiel eine Personalreserve vorhalten?
Krankheitsbedingte Kündigungen des Arbeitsverhältnisses sind nach ständiger Rechtssprechung nur unter engen Voraussetzungen wirksam. Insbesondere muss zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs eine negative Prognose für die Zukunft vorliegen. Negative Prognose bedeutet, dass aufgrund objektiver Tatsachen auch in Zukunft weitere, dem Arbeitgeber nicht zumutbare Krankheitszeiten im gleichen Umfang zu erwarten sind. Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG), Aktenzeichen 5 Sa 54/17, stellte dies kürzlich noch einmal für den Fall der Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen klar.
Die negative Prognose kann einmal darin liegen, dass Krankheiten nicht ausgeheilt sind und weitere Arbeitsausfälle aufgrund derselben Krankheitsursachen zu befürchten sind. Aber auch bei ausgeheilten Krankheiten kann eine negative Prognose vorliegen, wenn von einer allgemeinen Krankheitsanfälligkeit auszugehen ist, die immer wieder Fehlzeiten in dem bisherigen unzumutbaren Umfang produzieren wird.
Der Fall
Hier ging es um eine Betreuungsassistentin in einem Pflegeheim für schwerbehinderte Kinder, Jungendliche und Erwachsene. Sie fehlte immer wieder krankheitsbedingt, über den Zeitraum von 3 Jahren insgesamt an 20 (1. Jahr, Start im Mai), 88 (2. Jahr) und 51 (3. Jahr) Tagen. Damit leistete der Arbeitgeber zumindest in den letzten zwei Jahren wesentlich mehr als insgesamt 6 Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Es handelte sich um die unterschiedlichsten Krankheiten, immer wieder Infektionen, Migräne und Ähnliches. Hinzu kamen Probleme bei der Betreuung der Pflegebedürftigen, die sich an immer wieder neue Aushilfen schlecht gewöhnen konnten. Die übrigen Beschäftigten erstatteten Überlastungsanzeigen und gaben an, sich durch Mehrarbeit aufgrund der immer wieder erforderlichen Kompensation des Ausfalls der kranken Kollegin physisch und psychisch überlastet zu fühlen.
Der Arbeitgeber führte ein betriebliches Eingliederungsmanagement durch, ohne Ergebnis, und kündigte daraufhin ordentlich krankheitsbedingt.
Das Urteil
Im Prozess stand fest, dass alle einzelnen Krankheiten ausgeheilt waren. Dies bestätigte die von der Schweigepflicht entbundene Ärztin der Mitarbeiterin. Da Arbeitgeber häufig den Grund für die Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters nicht wissen, sondern sich aus dem ärztlichen Attest nur die Dauer der Erkrankung ergibt und der Mitarbeiter auf Nachfrage auch grundsätzlich nicht zur Auskunft verpflichtet ist, stellt eine krankheitsbedingte Kündigung immer ein Risiko dar. Denn im Prozess kann sich durch ärztliches Gutachten immer ergeben, dass es jedenfalls jetzt keine negative Prognose mehr gibt.
Dennoch erachtete das LAG die Kündigung hier für wirksam. Einer negativen Prognose steht nach Auffassung der Richter nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhen. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert. Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen - etwa Erkältungen - ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage.
Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zum Beispiel eine Operation) ergriffen wurden. Das LAG führte aus, dass die Mitarbeiterin im Durchschnitt rund 6 Kalendertage pro Monat krank gewesen sei, also etwa zu 20 Prozent eines Monats abwesend war – in den letzten zwei Jahren seien die 6 Wochen Entgeltfortzahlung weiter überschritten worden. Die Mitarbeiterin hatte im Prozess selbst angegeben, dass sie sich häufig bei ihrer Arbeit infiziert habe. Davon sei ja dann auch weiterhin auszugehen.
Zudem lag hier die Besonderheit vor, dass die betrieblichen Abläufe im Pflegeheim erheblich gestört waren durch die häufigen, ungeplanten kurzfristigen Abwesenheiten der Mitarbeiterin. Ein Austausch des Betreuungspersonals ist im Interesse der Pflegebedürftigen aufgrund deren Behinderung und der Besonderheiten der persönlichen Beziehung grundsätzlich auf das unabdingbar notwendige Mindestmaß zu beschränken. Das LAG stellte fest, dass das Pflegeheim auch nicht verpflichtet war, eine Personalreserve vorzuhalten.
Abschließend folgte eine Interessenabwägung, die zugunsten des Arbeitgebers ausging: Das Abeitsverhältnis dauerte erst drei Jahre, die Störungen durch Fehlzeiten traten von Anfang an auf. Nach Auffassung des LAG überwiegen das höhere Lebensalter der Mitarbeiterin und die damit verbundenen Schwierigkeiten, eine neue Beschäftigung zu finden, nicht das Interesse der Arbeitgeberseite an einer kontinuierlichen und möglichst geregelten Betreuung der pflegebedürftigen Heimbewohner. Eine weniger belastende Maßnahme als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses steht nicht zur Verfügung, nachdem der Arbeitgeber zweimal ein Betriebliches Eingliederungsmanagement mit der Mitarbeiterin durchgeführt hat, bei dem sich keine Möglichkeiten ergeben haben, die Fehlzeiten zu verringern.
Rechtsanwältin Dr. Alexandra Henkel MM ist Partnerin der Kanzlei FPS.
Quelle: ntv.de