Deutschlands mauer Heizplan "Wieso hat eine Industrienation kein Geld für mehr Wärmepumpen?"
16.12.2022, 16:00 Uhr
In Deutschland wird vor allem mit Gas geheizt. Eine Alternative muss her, sagen die Forscher von E3G.
(Foto: picture alliance / Rolf Kosecki)
Die Aussagen von Maria Pastukhova und Mathias Koch sind unmissverständlich: "In Deutschland werden die Gasrechnungen bis 2030 doppelt so hoch bleiben", erklären die beiden Forscher der Denkfabrik E3G im "Klima-Labor" von ntv. Denn das günstige Gas aus russischen Pipelines wird nie wiederkommen, sind sie überzeugt. Deswegen sollte Deutschland nicht versuchen, alte Kapazitäten mit neuer Infrastruktur für Flüssiggas wieder aufzubauen, sondern seinen Verbrauch deutlich reduzieren. Wie? "Vor allem mit Wärmepumpen und Sanierungen", sagen Pasthukova und Koch im zweiten Teil des Interviews. Dafür brauche es politische Kreativität, klare Vorgaben und Planungssicherheit für Unternehmen. Doch davon ist bisher nur sehr wenig zu sehen.
ntv.de: Sie haben bereits einige Argumente genannt, warum die deutschen Gasmengen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nicht mehr auf alte Kapazitäten erhöht werden können. Sie fänden es auch nicht besonders schlau, das zu versuchen. Stattdessen sollten wir unseren Verbrauch reduzieren. Sie sagen, im Gebäudesektor kann man extrem viel einsparen. Wie?
Mathias Koch: Vor allem mit Wärmepumpen und Sanierungen. Das strebt die Bundesregierung zum Teil auch an, es gibt Wärmepumpen-Gipfel im Bundeswirtschaftsministerium. Aber die Frage, die wir uns stellen, ist: Warum gibt es so ein starkes Missverhältnis zwischen dem 200 Milliarden Euro schweren Doppelwumms, wie es der Bundeskanzler Comic-haft genannt hat, und einem Treffen mit der Industrie, um ein paar Wärmepumpen mehr zu finanzieren? Auf der zweiten Seite müsste viel mehr passieren. Innerhalb von einem Jahr wird man den Gasverbrauch nicht entscheidend senken können. Mittelfristig geht das, aber dafür braucht es entsprechende Signale für die Hersteller.
Vielleicht gibt es Zweifel am Zeithorizont. Wie wollen wir den Umschwung bis Ende des Jahrzehnts schaffen?
Mathias Koch: Bei den Wärmepumpen liegt das aktuelle Ziel der Bundesregierung bei 500.000 pro Jahr ab 2025. Wärmepumpen-Verbände sagen, es wäre mehr drin. Letztlich sind es verschiedene Hersteller, die ihre Investitionszyklen haben und Fachkräfte anstellen, um diese Wärmepumpen herzustellen. Aber dafür brauchen sie Planungssicherheit. Aktuell gibt es die nicht - nur gut gemeinte Appelle, die zum Teil von gegenläufigen Entwicklungen konterkariert werden. Zum Beispiel soll ab 2024 jede neu eingebaute Heizung einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien haben. Das käme de facto einer Wärmepumpenpflicht gleich. Wir könnten aber viele Ausnahmen sehen, sodass man vielleicht auch 2026 noch einen Gaskessel einbauen kann. Wenn man mit solchen gemischten Signalen agiert, werden sich Heizungshersteller natürlich fragen, worin genau sie eigentlich investieren sollen. Bei den Sanierungen sieht es ähnlich aus.
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Maria Pastukhova: Wir haben uns zu sehr auf diesen Winter fokussiert. Das viel ernstere Problem sind die nächsten zwei oder drei Winter. Denn dieses Jahr haben wir die Gasspeicher noch zur Hälfte mit russischem Gas gefüllt. Nächstes Jahr wird das nicht mehr möglich sein. Das heißt, je früher wir anfangen, unseren Verbrauch zu reduzieren, umso besser. Es wäre möglich gewesen, in ein oder zwei Jahren erste Effekte zu sehen. Aber dafür hätten wir dieses Jahr anfangen müssen.
In Berlin sollen knapp 20.000 Gaslaternen auf LED-Betrieb umgerüstet werden. Alle sind sich einig, dass es gemacht werden muss, weil es den Energieverbrauch um 95 Prozent reduziert. Trotzdem wird die Umrüstung mindestens zehn Jahre dauern, denn die Betriebe schaffen nur 2000 Leuchten pro Jahr. Das sind acht pro Arbeitstag. Für mehr fehlen die Leute. Aber wenn es um Wärmepumpen geht, der komplette Gebäudebestand saniert und gedämmt werden soll … Wie soll das in einer angemessenen Geschwindigkeit klappen, wenn es schon an 20.000 Gaslaternen scheitert, bei denen Planungssicherheit gegeben ist.
Mathias Koch: Bei den Lampen kann ich es nicht sagen, aber bei den anderen Dingen ist klar: je mehr Planungssicherheit, desto besser. Vielleicht gehen wir auch noch mal einen Schritt zurück. Sollten wir nichts tun, weil es Schwierigkeiten geben könnte? Das ist eine Frage des Gestaltungswillens und der politischen Kreativität. Bei der Sanierung besteht die Lösung in einer zielgerichteten Förderung, damit die Menschen, die ihr Haus sanieren möchten, entsprechende Mittel bekommen. Man kann aber auch mit dem Ordnungsrecht arbeiten und Sanierungen vorschreiben. Idealerweise beides zusammen.
Wo ist in diesen Bereichen der politische Gestaltungswille der Ampel? Die hat sich dem Fortschritt verschrieben, das steht so auf dem Koalitionsvertrag. Wie kann es sein, dass eine wohlhabende Industrienation nicht ausreichend Ressourcen für 800.000 oder eine Million Wärmepumpen im Jahr mobilisieren kann?
Es scheint komplizierter zu sein, das vorhandene Potenzial zu nutzen, als neue Dinge wie LNG-Terminals aufzubauen.
Maria Pasthukova: Das stimmt leider tatsächlich. Wenn man sich anschaut, innerhalb welcher Zeit ein LNG-Terminal gebaut werden kann, geht das um einiges schneller, als eine Bauerlaubnis für eine Windkraftanlage oder einen Solarpark zu erhalten. Diese Diskrepanz ist katastrophal. Das ist auch ein europäisches Problem, Deutschland ist nicht alleine. Aber das müsste dringend gelöst werden, denn wir müssen ja schnell dekarbonisieren, Verteilernetze und Erneuerbare ausbauen … Das klappt nur mit Investitionssicherheit. Die haben wir nicht.
Aber der Fachkräftemangel ist real, das ist ein Flaschenhals. Wie wollen Sie bis zum Ende des Jahrzehnts genug Menschen zum Solar- oder Wind-Techniker umschulen?
Mathias Koch: Zum Glück leben wir in einer Marktwirtschaft, die ideal dafür ist, solche Probleme zu lösen - wenn sie die richtigen Vorgaben bekommt. Das ist das Entscheidende. Wenn die Vorgaben stimmen, wird die Industrie aus eigenem Interesse alles an die Umsetzung setzen. Das klappt nicht von heute auf morgen und natürlich nicht ohne Einwanderung und Weiterbildungen. Wir sehen aktuell die Diskussion um das Thema Zuwanderung von Fachkräften. Aber die entscheidende Ansage muss kommen. Es braucht einen Plan, wie es mit dem Gasverbrauch in den Gebäuden und der Industrie weitergeht.
Woran scheitert es denn? Ob Wärmepumpen, Windkraftanlagen oder Solarenergie - in diesen Branchen können mit der entsprechenden Förderung viele Arbeitsplätze entstehen. Eigentlich genau das, womit Parteien gerne werben.
Mathias Koch: Vielleicht liegt es daran, dass bei der Klimapolitik aktuell eine Oppositionspartei Teil der Regierung ist. Das muss man einfach so klar benennen. Man sieht es auch an den Nicht-Anstrengungen der FDP im Verkehrssektor. Nicht nur Umweltverbände und Denkfabriken, sondern auch der unabhängige Expertenrat für Klimafragen stellt fest, dass die FDP nicht einmal in Ansätzen versucht, gesetzlich vorgeschriebene Klimaziele zu erreichen. Das ist ein riesiges Problem.
Aber die Signale sind deutlich zu spüren, die Nachfrage ist da. Trotzdem sagen Solarinstallateure: Wir können keine weiteren Arbeiten durchführen, weil die Auftragsbücher voll sind und es keine Leute gibt. Dasselbe gilt für Windkraftanlagen und für Leute, die dämmen sollen.
Mathias Koch: Zum Glück sehen wir die steigende Nachfrage. Aber ist das politische Signal ausreichend stark? Nein. Ist die Förderung ausreichend hoch und unterlegt mit dem Ordnungsrecht? Nein. Das verleitet einen Handwerksbetrieb unter Umständen immer noch dazu, beim Thema Sanierungen zu zögern. Wie gesagt, das ist politischer Gestaltungswille: Es ist kein Problem gewesen, in sechs Monaten ein LNG-Terminal aufzubauen und Pipelines zu legen. Diese Entschlossenheit brauchen wir auch bei Wärmepumpen und Sanierungen.
Maria Pastukhova: Wir haben in den frühen 2000er Jahren auch gesehen, dass es funktioniert. Damals ist die Solarindustrie in Deutschland extrem stark gewachsen. Es sind viele Arbeitsplätze dazugekommen. Dann hat die Bundesregierung die Subventionierung gestoppt und der Ausbau ist im Flop geendet. Hätten wir das durchgezogen, stünden wir heute ganz anders da.
Mit Maria Pastukhova und Mathias Koch sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de